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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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bei dem es sehr feierlich zugeht, darf keins der Mädchen stillstehen, sondern
alle müssen sich fortwährend singend drehen.

Ein Gebrauch schreibt vor, am Todtensonntag Erbsen zu rösten, von denen
Jeder, der ins Haus kommt, wenigstens einen Löffel voll bekommt. Auch hat
der Tag- sein eigenthümliches Gebäck, das in einer Art Kolatschen besteht und
Druzbance oder Druzebne heißt.

Eine Erklärung der Sitte des Todaustragens hat Grimm gegeben. Die
Puppe, welche den Tod vorstellt, ist der Winter, der grüne, mit Eiern und
Bändern geschmückte Baum das Bild des neuen sommerlichen Lebens, das
Ganze das Ueberbleibsel eines heidnischen Ritus, der zu Ehren der um die
Zeit der ersten Veilchen und der Wiederkehr der Wandervögel wiedererwachen¬
den Natur stattfand, und bei dem einst auch die Namen von Göttern genannt
wurden. Jetzt ist die Feier ein Kinderspiel geworden, und die Götter haben
sich, ore anderwärts, davon zurückgezogen oder in Heilige verwandelt.

Andere Reste der alten Feier finden sich mit neueren Bildungen der Volks¬
sitte gemischt an andern Tagen der Monate, in welchen der Frühling beginnt.
Dahin gehört der Gregoriustag, der nach-dem alten Kalender um die Früh-
lingsnachtgleiche siel, und den noch jetzt verschiedene Bauernregeln der Czechen.
z. B. "an Gregori öffnet der Frosch das Maul", "an Gregori fliegt der Storch
übers Meer", als Ende des Winters bezeichnen. An diesem Tage z-ichen in ganz
Böhmen die Schulknaben in Verkleidung von Soldaten, geführt von Offizieren,
Trommler voraus, durch die Dörfer, um geistliche Liederzu singen, und zum Schluß
mit einem Bettelvers Geld und Lebensmittel einzusammeln, wovon dann in der
Schulstube ein Mahl ausgerichtet wird. Im Klattauer Kreise feiert man um
Gregori den Beginn des Ackerns, indem sich die jungen Leute in einem bestimm¬
ten Gehöft versammeln, einen der Burschen vom Kopf bis zu den Füßen in
Stroh einflechten, ihm eine zuckerhutförmige Strvhmütze aufsetzen, ihm das
Gesicht schwärzen und ihn dann mit Musik und Jauchzen durch das Dorf füh¬
ren. In jedem Hause tanzen sie mit dem Strohmann und den Mädchen des
Gehöfts herum, worauf sie sich von dem Besitzer desselben mit einem Glück¬
wunsch verabschieden, der von letzterem mit einigen Kreuzern, von der Frau
mit Eiern vergolten wird. Der Wunsch lautet: "Lieber Herr Vater und liebe
Frau Mutter! Wir wünschen euch, Gott der Herr möge euch in diesem Som¬
mer viel Getreide auf den Feldern, viele Mandeln in den Scheunen, viele
hundert Scheffel auf dem Schüttboden und viel Gras auf den Wiesen besche¬
ren. Mögen eure Ställe voll von Kleinvieh und Großvieh, euer Hof voll von
Geflügel, als Hühner. Enten und Gänse, euer Garten voll von Obst sein.
Möge euch Alles reichlich zuwachsen und Gott es vor Frost, Trockenheit und
Nässe, Hagel und Wetterschlag, Verderben und Schaden bewahren und geben,
daß ihr das ganze Jahr hindurch keinen Mangel an Brot. Kolatschen und


bei dem es sehr feierlich zugeht, darf keins der Mädchen stillstehen, sondern
alle müssen sich fortwährend singend drehen.

Ein Gebrauch schreibt vor, am Todtensonntag Erbsen zu rösten, von denen
Jeder, der ins Haus kommt, wenigstens einen Löffel voll bekommt. Auch hat
der Tag- sein eigenthümliches Gebäck, das in einer Art Kolatschen besteht und
Druzbance oder Druzebne heißt.

Eine Erklärung der Sitte des Todaustragens hat Grimm gegeben. Die
Puppe, welche den Tod vorstellt, ist der Winter, der grüne, mit Eiern und
Bändern geschmückte Baum das Bild des neuen sommerlichen Lebens, das
Ganze das Ueberbleibsel eines heidnischen Ritus, der zu Ehren der um die
Zeit der ersten Veilchen und der Wiederkehr der Wandervögel wiedererwachen¬
den Natur stattfand, und bei dem einst auch die Namen von Göttern genannt
wurden. Jetzt ist die Feier ein Kinderspiel geworden, und die Götter haben
sich, ore anderwärts, davon zurückgezogen oder in Heilige verwandelt.

Andere Reste der alten Feier finden sich mit neueren Bildungen der Volks¬
sitte gemischt an andern Tagen der Monate, in welchen der Frühling beginnt.
Dahin gehört der Gregoriustag, der nach-dem alten Kalender um die Früh-
lingsnachtgleiche siel, und den noch jetzt verschiedene Bauernregeln der Czechen.
z. B. „an Gregori öffnet der Frosch das Maul", „an Gregori fliegt der Storch
übers Meer", als Ende des Winters bezeichnen. An diesem Tage z-ichen in ganz
Böhmen die Schulknaben in Verkleidung von Soldaten, geführt von Offizieren,
Trommler voraus, durch die Dörfer, um geistliche Liederzu singen, und zum Schluß
mit einem Bettelvers Geld und Lebensmittel einzusammeln, wovon dann in der
Schulstube ein Mahl ausgerichtet wird. Im Klattauer Kreise feiert man um
Gregori den Beginn des Ackerns, indem sich die jungen Leute in einem bestimm¬
ten Gehöft versammeln, einen der Burschen vom Kopf bis zu den Füßen in
Stroh einflechten, ihm eine zuckerhutförmige Strvhmütze aufsetzen, ihm das
Gesicht schwärzen und ihn dann mit Musik und Jauchzen durch das Dorf füh¬
ren. In jedem Hause tanzen sie mit dem Strohmann und den Mädchen des
Gehöfts herum, worauf sie sich von dem Besitzer desselben mit einem Glück¬
wunsch verabschieden, der von letzterem mit einigen Kreuzern, von der Frau
mit Eiern vergolten wird. Der Wunsch lautet: „Lieber Herr Vater und liebe
Frau Mutter! Wir wünschen euch, Gott der Herr möge euch in diesem Som¬
mer viel Getreide auf den Feldern, viele Mandeln in den Scheunen, viele
hundert Scheffel auf dem Schüttboden und viel Gras auf den Wiesen besche¬
ren. Mögen eure Ställe voll von Kleinvieh und Großvieh, euer Hof voll von
Geflügel, als Hühner. Enten und Gänse, euer Garten voll von Obst sein.
Möge euch Alles reichlich zuwachsen und Gott es vor Frost, Trockenheit und
Nässe, Hagel und Wetterschlag, Verderben und Schaden bewahren und geben,
daß ihr das ganze Jahr hindurch keinen Mangel an Brot. Kolatschen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/494>, abgerufen am 24.08.2024.