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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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er seine weitreichenden Pläne langer Hand vorbereiten müsse. Auf dem Pariser
Kongreß theilte er als erster Bevollmächtigter Sardiniens den Vertretern Eng¬
lands und Frankreichs am 27. März eine Denkschrift über die Zustände Mittel¬
italiens mit, worin er die Befestigung Pinccnzas und die fortdauernde Besetzung
der Legationen durch Oestreich als eine Verletzung der Wiener Verträge an¬
griff und administrative Trennung der Legationen, Säcularisirung und Reform
der Verwaltung im Kirchenstaate selbst empfahl. An dies Memorandum knüpfte
Graf Walewski die Beleuchtung der italienischen Frage in der berühmten
Sitzung des Congresses vom 8. April. Es kam bei dem Widerspruch Oest¬
reichs zwar zu keinem positiven Beschluß, aber Cavour durfte nach seiner Rück¬
kehr in der Kammer sagen, daß es wol ein Gewinn sei, wenn von den ersten
Staatsmännern Europas die Nothwendigkeit anerkannt sei, den Uebeln, die
auf Italien lasteten, wirksame Heilmittel entgegenzusetzen. Das Parlament
votirte ihm seinen Dank und sprach das Vertrauen aus, "daß die Regierung
des Königs in der nationalen Politik, die sie auf dem Kongresse zu Paris
entwickelt, mit Festigkeit beharren werde." Aus allen Theilen Italiens ström¬
ten Dankadressen und Ehrenbezeugungen dem Staatsmanne zu, der die natio¬
nale Sache mit offnem Visir vertheidigt.

Aber noch einen andern Gewinn hatte Cavour in Paris erreicht, er hatte den
früher mit Napoleon begonnenen Verkehr wieder angeknüpft und ausgebildet.
Die Kaiserin war damals im Wochenbette, der sardinische Premier speiste oft¬
mals mit dem Kaiser allein und entwickelte ihm auf langen Spaziergängen
im Garten des ElrMe seine Ideen über eine gemeinsame Befreiung Italiens,
seine eminenten Fähigkeiten gewannen die aufrichtige Bewunderung des un¬
umschränkten Gebieters von Frankreich, den der kluge Schüler Macchiavelli's
zum Sturmbock gegen die östreichische Herrschaft sich ausersehen. Diese Be¬
ziehungen wurden um so intimer, als die unkluge Politik des Wiener Cabinets
in den Fragen, welche sich an die orientalischen Angelegenheiten knüpften, na¬
mentlich in der der Donaufürstenthümer eine immer größer werdende Spannung
mit Frankreich hervorrief. Cavour wurde, da Sardinien als Theilnehmer am
Congresse hierin mit zu sprechen hatte, Napoleon ein nützlicher Bundesgenosse',
zugleich aber bot sich ihm darin die Gelegenheit Rußland, das mit Frankreich
zusammenging, zu dienen. Fürst Gortschakoff in seinem tiefen.Hasse gegen
Oestreich vol gerne die Hand zu einem freundlichen Einvernehmen mit einem
Staate, welcher der natürliche Gegner der Habsburgischen Monarchie war, und
Cavour, die ganze Wichtigkeit einer günstigen Neutralität des Petersburgs
Cabinets bei dem Kampfe mit Oestreich voraussehend, verstand sich im Som¬
mer 1858 sogar dazu, den sardinischen Hafen von Villafranca an die russische
Regierung abzutreten. Aber der Sommer brachte viel entscheidender seinen
Hauptplan zur Reife. Das Attentat Orsini's hatte auf Napoleon einen tiefen


er seine weitreichenden Pläne langer Hand vorbereiten müsse. Auf dem Pariser
Kongreß theilte er als erster Bevollmächtigter Sardiniens den Vertretern Eng¬
lands und Frankreichs am 27. März eine Denkschrift über die Zustände Mittel¬
italiens mit, worin er die Befestigung Pinccnzas und die fortdauernde Besetzung
der Legationen durch Oestreich als eine Verletzung der Wiener Verträge an¬
griff und administrative Trennung der Legationen, Säcularisirung und Reform
der Verwaltung im Kirchenstaate selbst empfahl. An dies Memorandum knüpfte
Graf Walewski die Beleuchtung der italienischen Frage in der berühmten
Sitzung des Congresses vom 8. April. Es kam bei dem Widerspruch Oest¬
reichs zwar zu keinem positiven Beschluß, aber Cavour durfte nach seiner Rück¬
kehr in der Kammer sagen, daß es wol ein Gewinn sei, wenn von den ersten
Staatsmännern Europas die Nothwendigkeit anerkannt sei, den Uebeln, die
auf Italien lasteten, wirksame Heilmittel entgegenzusetzen. Das Parlament
votirte ihm seinen Dank und sprach das Vertrauen aus, „daß die Regierung
des Königs in der nationalen Politik, die sie auf dem Kongresse zu Paris
entwickelt, mit Festigkeit beharren werde." Aus allen Theilen Italiens ström¬
ten Dankadressen und Ehrenbezeugungen dem Staatsmanne zu, der die natio¬
nale Sache mit offnem Visir vertheidigt.

Aber noch einen andern Gewinn hatte Cavour in Paris erreicht, er hatte den
früher mit Napoleon begonnenen Verkehr wieder angeknüpft und ausgebildet.
Die Kaiserin war damals im Wochenbette, der sardinische Premier speiste oft¬
mals mit dem Kaiser allein und entwickelte ihm auf langen Spaziergängen
im Garten des ElrMe seine Ideen über eine gemeinsame Befreiung Italiens,
seine eminenten Fähigkeiten gewannen die aufrichtige Bewunderung des un¬
umschränkten Gebieters von Frankreich, den der kluge Schüler Macchiavelli's
zum Sturmbock gegen die östreichische Herrschaft sich ausersehen. Diese Be¬
ziehungen wurden um so intimer, als die unkluge Politik des Wiener Cabinets
in den Fragen, welche sich an die orientalischen Angelegenheiten knüpften, na¬
mentlich in der der Donaufürstenthümer eine immer größer werdende Spannung
mit Frankreich hervorrief. Cavour wurde, da Sardinien als Theilnehmer am
Congresse hierin mit zu sprechen hatte, Napoleon ein nützlicher Bundesgenosse',
zugleich aber bot sich ihm darin die Gelegenheit Rußland, das mit Frankreich
zusammenging, zu dienen. Fürst Gortschakoff in seinem tiefen.Hasse gegen
Oestreich vol gerne die Hand zu einem freundlichen Einvernehmen mit einem
Staate, welcher der natürliche Gegner der Habsburgischen Monarchie war, und
Cavour, die ganze Wichtigkeit einer günstigen Neutralität des Petersburgs
Cabinets bei dem Kampfe mit Oestreich voraussehend, verstand sich im Som¬
mer 1858 sogar dazu, den sardinischen Hafen von Villafranca an die russische
Regierung abzutreten. Aber der Sommer brachte viel entscheidender seinen
Hauptplan zur Reife. Das Attentat Orsini's hatte auf Napoleon einen tiefen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/458>, abgerufen am 24.08.2024.