Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Idee, einen Staat von unten aus aufzubaue", für eine Chimäre; wir
glauben, daß er im Ganzen mehr Böses als Gutes gestiftet hat; wir stellen
uns, sehr wol die Möglichkeit vor, daß er einmal in einem Lustspiel als ko¬
mische Figur anstritt! -- aber daß Männer mit dieser zähen Energie aus
Italien hervorgegangen sind, ist wiederum ein nicht unbedeutender Beleg für
die Fähigkeit Italiens, eine Rolle in der Geschichte zu spielen.

Aber wo bleibt die Moral? -- Die deutsche Tugend hat in den letzte"
Jahren finster über diesen Machiavellismus den Kopf geschüttelt. -- Erstens
ist es an sich schon sehr unmoralisch, fremden Leuten das Ihrige zu nehmen;
und dann, welche Mittel! Erst verspricht man, den Franzosen nichts zu
geben; dann gibt man ihnen Nizza und Savoyen! Wie der Wolf in
der Fabel zeigt man dem Papst an, daß er dnrch seine Söldner das
Wasser trübe, und ohne eine Antwort abzuwarten, fällt man über ihn
her! Man unterhandelt mit dem König von Neapel über ein Bündniß,
und unterstützt heimlich den Garibaldi! Ja zuletzt überzieht man das
Reich Neapel ohne Kriegserklärung mit einer Armee und treibt den unglück¬
lichen König zur Flucht!

In der That, das Alles ist nicht fein. -- Die Tugcndprediger freilich
sollten ihr eignes Gepäck untersuchen. Daß am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts deutsche Fürsten ihre Landeskinder nach Amerika verkauften, war wol
moralisch und "correct". sie gehörten ihnen'ja. Die Unterhandlungen der
einzelnen deutschen Höfe mit dem großen Napoleon sind vielleicht auch noch
unvergessen. Und seitdem hat in Deutschland Niemand sein Wort gebrochen.
Nur in Italien, dem Vnterlande Machiavells, wird gelogen. --

Also wo bleibt die Moral? -- Wir wollen es sagen.

Denn allerdings haben wir noch ein ganz anderes Interesse für die
italienische Sache, als das uneigennützige, objective, ästhetische, das Wohl¬
gefallen an einem hübschen Schauspiel. -- Wir nehmen an den Erfolgen der
Italiener Theil, weil durch sie ein neues Princip der politischen Moral ins
Leben geführt wird.

Unsere heutige Staatenbildung beruht auf dem Wiener Congreß. Der Wiener
Congreß war eine Fortsetzung des Friedens von Luneville. Nach welchem Princip
wurden auf diesem Congreß die Staaten gebildet? -- Man berechnete, auf wie viel
Seelen jeder Souverän Ansprüche habe: Seelen d. h. Steuer und Rekruten
stellende Subjecte. Wo nun die Seelen herkamen, danach wurde nicht weiter
gefragt; noch viel weniger, ob die Seelen Lust hätten, diesem oder jenem
Staat anzugehören. Denn Seelen und Subjecte haben keinen Willen, >>-'
wenig wie die "Seelen" der russischen Magnaten. Wenn die russischen Mag¬
naten Pharao spielen, so bestimmen sie den Point zu fünfzig, sechzig "Seelen"
oder wie es kommt -- jetzt scheint es freilich auch dort anders zu werden.


seine Idee, einen Staat von unten aus aufzubaue», für eine Chimäre; wir
glauben, daß er im Ganzen mehr Böses als Gutes gestiftet hat; wir stellen
uns, sehr wol die Möglichkeit vor, daß er einmal in einem Lustspiel als ko¬
mische Figur anstritt! — aber daß Männer mit dieser zähen Energie aus
Italien hervorgegangen sind, ist wiederum ein nicht unbedeutender Beleg für
die Fähigkeit Italiens, eine Rolle in der Geschichte zu spielen.

Aber wo bleibt die Moral? — Die deutsche Tugend hat in den letzte»
Jahren finster über diesen Machiavellismus den Kopf geschüttelt. — Erstens
ist es an sich schon sehr unmoralisch, fremden Leuten das Ihrige zu nehmen;
und dann, welche Mittel! Erst verspricht man, den Franzosen nichts zu
geben; dann gibt man ihnen Nizza und Savoyen! Wie der Wolf in
der Fabel zeigt man dem Papst an, daß er dnrch seine Söldner das
Wasser trübe, und ohne eine Antwort abzuwarten, fällt man über ihn
her! Man unterhandelt mit dem König von Neapel über ein Bündniß,
und unterstützt heimlich den Garibaldi! Ja zuletzt überzieht man das
Reich Neapel ohne Kriegserklärung mit einer Armee und treibt den unglück¬
lichen König zur Flucht!

In der That, das Alles ist nicht fein. — Die Tugcndprediger freilich
sollten ihr eignes Gepäck untersuchen. Daß am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts deutsche Fürsten ihre Landeskinder nach Amerika verkauften, war wol
moralisch und „correct". sie gehörten ihnen'ja. Die Unterhandlungen der
einzelnen deutschen Höfe mit dem großen Napoleon sind vielleicht auch noch
unvergessen. Und seitdem hat in Deutschland Niemand sein Wort gebrochen.
Nur in Italien, dem Vnterlande Machiavells, wird gelogen. —

Also wo bleibt die Moral? — Wir wollen es sagen.

Denn allerdings haben wir noch ein ganz anderes Interesse für die
italienische Sache, als das uneigennützige, objective, ästhetische, das Wohl¬
gefallen an einem hübschen Schauspiel. — Wir nehmen an den Erfolgen der
Italiener Theil, weil durch sie ein neues Princip der politischen Moral ins
Leben geführt wird.

Unsere heutige Staatenbildung beruht auf dem Wiener Congreß. Der Wiener
Congreß war eine Fortsetzung des Friedens von Luneville. Nach welchem Princip
wurden auf diesem Congreß die Staaten gebildet? — Man berechnete, auf wie viel
Seelen jeder Souverän Ansprüche habe: Seelen d. h. Steuer und Rekruten
stellende Subjecte. Wo nun die Seelen herkamen, danach wurde nicht weiter
gefragt; noch viel weniger, ob die Seelen Lust hätten, diesem oder jenem
Staat anzugehören. Denn Seelen und Subjecte haben keinen Willen, >>-'
wenig wie die „Seelen" der russischen Magnaten. Wenn die russischen Mag¬
naten Pharao spielen, so bestimmen sie den Point zu fünfzig, sechzig „Seelen"
oder wie es kommt — jetzt scheint es freilich auch dort anders zu werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111290"/>
          <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> seine Idee, einen Staat von unten aus aufzubaue», für eine Chimäre; wir<lb/>
glauben, daß er im Ganzen mehr Böses als Gutes gestiftet hat; wir stellen<lb/>
uns, sehr wol die Möglichkeit vor, daß er einmal in einem Lustspiel als ko¬<lb/>
mische Figur anstritt! &#x2014; aber daß Männer mit dieser zähen Energie aus<lb/>
Italien hervorgegangen sind, ist wiederum ein nicht unbedeutender Beleg für<lb/>
die Fähigkeit Italiens, eine Rolle in der Geschichte zu spielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324"> Aber wo bleibt die Moral? &#x2014; Die deutsche Tugend hat in den letzte»<lb/>
Jahren finster über diesen Machiavellismus den Kopf geschüttelt. &#x2014; Erstens<lb/>
ist es an sich schon sehr unmoralisch, fremden Leuten das Ihrige zu nehmen;<lb/>
und dann, welche Mittel! Erst verspricht man, den Franzosen nichts zu<lb/>
geben; dann gibt man ihnen Nizza und Savoyen! Wie der Wolf in<lb/>
der Fabel zeigt man dem Papst an, daß er dnrch seine Söldner das<lb/>
Wasser trübe, und ohne eine Antwort abzuwarten, fällt man über ihn<lb/>
her! Man unterhandelt mit dem König von Neapel über ein Bündniß,<lb/>
und unterstützt heimlich den Garibaldi! Ja zuletzt überzieht man das<lb/>
Reich Neapel ohne Kriegserklärung mit einer Armee und treibt den unglück¬<lb/>
lichen König zur Flucht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1325"> In der That, das Alles ist nicht fein. &#x2014; Die Tugcndprediger freilich<lb/>
sollten ihr eignes Gepäck untersuchen. Daß am Ende des vorigen Jahrhun¬<lb/>
derts deutsche Fürsten ihre Landeskinder nach Amerika verkauften, war wol<lb/>
moralisch und &#x201E;correct". sie gehörten ihnen'ja. Die Unterhandlungen der<lb/>
einzelnen deutschen Höfe mit dem großen Napoleon sind vielleicht auch noch<lb/>
unvergessen. Und seitdem hat in Deutschland Niemand sein Wort gebrochen.<lb/>
Nur in Italien, dem Vnterlande Machiavells, wird gelogen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1326"> Also wo bleibt die Moral? &#x2014; Wir wollen es sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1327"> Denn allerdings haben wir noch ein ganz anderes Interesse für die<lb/>
italienische Sache, als das uneigennützige, objective, ästhetische, das Wohl¬<lb/>
gefallen an einem hübschen Schauspiel. &#x2014; Wir nehmen an den Erfolgen der<lb/>
Italiener Theil, weil durch sie ein neues Princip der politischen Moral ins<lb/>
Leben geführt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328"> Unsere heutige Staatenbildung beruht auf dem Wiener Congreß. Der Wiener<lb/>
Congreß war eine Fortsetzung des Friedens von Luneville. Nach welchem Princip<lb/>
wurden auf diesem Congreß die Staaten gebildet? &#x2014; Man berechnete, auf wie viel<lb/>
Seelen jeder Souverän Ansprüche habe: Seelen d. h. Steuer und Rekruten<lb/>
stellende Subjecte. Wo nun die Seelen herkamen, danach wurde nicht weiter<lb/>
gefragt; noch viel weniger, ob die Seelen Lust hätten, diesem oder jenem<lb/>
Staat anzugehören. Denn Seelen und Subjecte haben keinen Willen, &gt;&gt;-'<lb/>
wenig wie die &#x201E;Seelen" der russischen Magnaten. Wenn die russischen Mag¬<lb/>
naten Pharao spielen, so bestimmen sie den Point zu fünfzig, sechzig &#x201E;Seelen"<lb/>
oder wie es kommt &#x2014; jetzt scheint es freilich auch dort anders zu werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] seine Idee, einen Staat von unten aus aufzubaue», für eine Chimäre; wir glauben, daß er im Ganzen mehr Böses als Gutes gestiftet hat; wir stellen uns, sehr wol die Möglichkeit vor, daß er einmal in einem Lustspiel als ko¬ mische Figur anstritt! — aber daß Männer mit dieser zähen Energie aus Italien hervorgegangen sind, ist wiederum ein nicht unbedeutender Beleg für die Fähigkeit Italiens, eine Rolle in der Geschichte zu spielen. Aber wo bleibt die Moral? — Die deutsche Tugend hat in den letzte» Jahren finster über diesen Machiavellismus den Kopf geschüttelt. — Erstens ist es an sich schon sehr unmoralisch, fremden Leuten das Ihrige zu nehmen; und dann, welche Mittel! Erst verspricht man, den Franzosen nichts zu geben; dann gibt man ihnen Nizza und Savoyen! Wie der Wolf in der Fabel zeigt man dem Papst an, daß er dnrch seine Söldner das Wasser trübe, und ohne eine Antwort abzuwarten, fällt man über ihn her! Man unterhandelt mit dem König von Neapel über ein Bündniß, und unterstützt heimlich den Garibaldi! Ja zuletzt überzieht man das Reich Neapel ohne Kriegserklärung mit einer Armee und treibt den unglück¬ lichen König zur Flucht! In der That, das Alles ist nicht fein. — Die Tugcndprediger freilich sollten ihr eignes Gepäck untersuchen. Daß am Ende des vorigen Jahrhun¬ derts deutsche Fürsten ihre Landeskinder nach Amerika verkauften, war wol moralisch und „correct". sie gehörten ihnen'ja. Die Unterhandlungen der einzelnen deutschen Höfe mit dem großen Napoleon sind vielleicht auch noch unvergessen. Und seitdem hat in Deutschland Niemand sein Wort gebrochen. Nur in Italien, dem Vnterlande Machiavells, wird gelogen. — Also wo bleibt die Moral? — Wir wollen es sagen. Denn allerdings haben wir noch ein ganz anderes Interesse für die italienische Sache, als das uneigennützige, objective, ästhetische, das Wohl¬ gefallen an einem hübschen Schauspiel. — Wir nehmen an den Erfolgen der Italiener Theil, weil durch sie ein neues Princip der politischen Moral ins Leben geführt wird. Unsere heutige Staatenbildung beruht auf dem Wiener Congreß. Der Wiener Congreß war eine Fortsetzung des Friedens von Luneville. Nach welchem Princip wurden auf diesem Congreß die Staaten gebildet? — Man berechnete, auf wie viel Seelen jeder Souverän Ansprüche habe: Seelen d. h. Steuer und Rekruten stellende Subjecte. Wo nun die Seelen herkamen, danach wurde nicht weiter gefragt; noch viel weniger, ob die Seelen Lust hätten, diesem oder jenem Staat anzugehören. Denn Seelen und Subjecte haben keinen Willen, >>-' wenig wie die „Seelen" der russischen Magnaten. Wenn die russischen Mag¬ naten Pharao spielen, so bestimmen sie den Point zu fünfzig, sechzig „Seelen" oder wie es kommt — jetzt scheint es freilich auch dort anders zu werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/396>, abgerufen am 15.01.2025.