Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.lind Mäßigung gezeigt, wie vielleicht noch kein anderes Volk der Geschichte. Jedes Volk ohne Ausnahme besteht aus einer Mischung von Guten und Ueber die Entschlossenheit, wilde Energie und rücksichtslose Thatkraft des Garibaldi hat gewiß sehr viel Phantastisches: wenn der König "ut lind Mäßigung gezeigt, wie vielleicht noch kein anderes Volk der Geschichte. Jedes Volk ohne Ausnahme besteht aus einer Mischung von Guten und Ueber die Entschlossenheit, wilde Energie und rücksichtslose Thatkraft des Garibaldi hat gewiß sehr viel Phantastisches: wenn der König »ut <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111288"/> <p xml:id="ID_1315" prev="#ID_1314"> lind Mäßigung gezeigt, wie vielleicht noch kein anderes Volk der Geschichte.<lb/> Allgemein war die Ueberzeugung, der Localgeist werde die Vaterlandsliebe<lb/> unterdrücken; Mailand, Florenz, Neapel, jedes werde den Anspruch darauf<lb/> macheu, der Mittelpunkt Italiens zu sein; die Republikaner würden sich aus<lb/> die Monarchisten werfen, eine Hand würde sich gegen die andere heben. Die<lb/> Thatsachen sprechen: der Reichstag ist versammelt und jede Partei wetteifert<lb/> uut der andern, ihre Sondcrgcfühle dem Gedanken der Einheit unterzuordnen.<lb/> Die Ereignisse waren wahrlich nicht der Art. daß das Blut unter dem Ge¬<lb/> frierpunkt stehen konnte; und daß inmitten einer solchen Aufregung ein conser-<lb/> vativcs Parlament zu Stande kam, ein Parlament, welches den besonnenen<lb/> und müßigen Worten des Königs zujauchzt, das ist ein unabweisbares Zeug'<lb/> riß für die Fähigkeit Italiens, einen Staat zu bilden. — Wir sind nicht<lb/> etwa so unpatriotisch, uns gegen die Italiener herab zu sehen: — aber wenn<lb/> wir an die Paulskirche zurückdenken, so finden wir keinen Grad übermüthig<lb/> zu sein! und ob für eine neue Paulskirche die Zeiten viel günstiger sein wür¬<lb/> den, das bleibt, wenn man sich das Publicum ansieht, noch heute zweifelhaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1316"> Jedes Volk ohne Ausnahme besteht aus einer Mischung von Guten und<lb/> Schlechte«, von Edlen und von Lumpen. Es ist möglich, ja wahrscheinlich<lb/> und sehr begreiflich, daß Italien, besonders Süditalien von Lumpen einen<lb/> größern Vorrat!) auszuweisen hat als irgend eine andere Natron. Aber den<lb/> Geist und die Kraft einer Nation berechnet man nicht so, daß man die ein¬<lb/> zelnen Individuell mißt und den mittleren Durchschnitt zieht, sondern man<lb/> erkennt den Geist der Nation aus ihren wirklichen Führern. Die typischen<lb/> Figuren Italiens sind heute Victor Emanuel, Garibaldi, Cavour und<lb/> Mazzini.</p><lb/> <p xml:id="ID_1317"> Ueber die Entschlossenheit, wilde Energie und rücksichtslose Thatkraft des<lb/> Königs ist es nicht nöthig, ein Wort zu verlieren. Die Zuavcn haben bei<lb/> Mngenta und Svlseriuo ein Urtheil gesprochen, das in seinem Ausdruck M'<lb/> lächerlich klingt, aber doch sehr zur Sache gehört. Alle Achtung vor dem Pa¬<lb/> triotismus der Italiener: aber ohne diesen „Zuavcn-Corporal" wäre aus der<lb/> Sache nichts geworden. Mit diesem kühnen Mull> des Soldaten verbindet<lb/> aber Victor Emanuel eine Eigenschaft, die sich sehr selten in dieser Mi-<lb/> schung findet: die Fähigkeit, seinen Willen seiner eigenen Einsicht und der<lb/> Einsicht Anderer unterzuordnen. Wir vermuthen bei ihm keine herzliche<lb/> Zuneigung zu dem gewiegten Diplomaten Cavour, kein erhebliches Interesse<lb/> für langweilige Kammerverhandlungen; und doch läßt er Cavour die Leitung,<lb/> und doch bindet er sich streng an die Gesetze der parlamentarischen Verfaljung-<lb/> Den einen Hauptpunkt vor Augen, läßt er sich durch leinen Nebengedanke»<lb/> irren. So werden in der Geschichte die großen Dinge ausgeführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Garibaldi hat gewiß sehr viel Phantastisches: wenn der König »ut</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
lind Mäßigung gezeigt, wie vielleicht noch kein anderes Volk der Geschichte.
Allgemein war die Ueberzeugung, der Localgeist werde die Vaterlandsliebe
unterdrücken; Mailand, Florenz, Neapel, jedes werde den Anspruch darauf
macheu, der Mittelpunkt Italiens zu sein; die Republikaner würden sich aus
die Monarchisten werfen, eine Hand würde sich gegen die andere heben. Die
Thatsachen sprechen: der Reichstag ist versammelt und jede Partei wetteifert
uut der andern, ihre Sondcrgcfühle dem Gedanken der Einheit unterzuordnen.
Die Ereignisse waren wahrlich nicht der Art. daß das Blut unter dem Ge¬
frierpunkt stehen konnte; und daß inmitten einer solchen Aufregung ein conser-
vativcs Parlament zu Stande kam, ein Parlament, welches den besonnenen
und müßigen Worten des Königs zujauchzt, das ist ein unabweisbares Zeug'
riß für die Fähigkeit Italiens, einen Staat zu bilden. — Wir sind nicht
etwa so unpatriotisch, uns gegen die Italiener herab zu sehen: — aber wenn
wir an die Paulskirche zurückdenken, so finden wir keinen Grad übermüthig
zu sein! und ob für eine neue Paulskirche die Zeiten viel günstiger sein wür¬
den, das bleibt, wenn man sich das Publicum ansieht, noch heute zweifelhaft.
Jedes Volk ohne Ausnahme besteht aus einer Mischung von Guten und
Schlechte«, von Edlen und von Lumpen. Es ist möglich, ja wahrscheinlich
und sehr begreiflich, daß Italien, besonders Süditalien von Lumpen einen
größern Vorrat!) auszuweisen hat als irgend eine andere Natron. Aber den
Geist und die Kraft einer Nation berechnet man nicht so, daß man die ein¬
zelnen Individuell mißt und den mittleren Durchschnitt zieht, sondern man
erkennt den Geist der Nation aus ihren wirklichen Führern. Die typischen
Figuren Italiens sind heute Victor Emanuel, Garibaldi, Cavour und
Mazzini.
Ueber die Entschlossenheit, wilde Energie und rücksichtslose Thatkraft des
Königs ist es nicht nöthig, ein Wort zu verlieren. Die Zuavcn haben bei
Mngenta und Svlseriuo ein Urtheil gesprochen, das in seinem Ausdruck M'
lächerlich klingt, aber doch sehr zur Sache gehört. Alle Achtung vor dem Pa¬
triotismus der Italiener: aber ohne diesen „Zuavcn-Corporal" wäre aus der
Sache nichts geworden. Mit diesem kühnen Mull> des Soldaten verbindet
aber Victor Emanuel eine Eigenschaft, die sich sehr selten in dieser Mi-
schung findet: die Fähigkeit, seinen Willen seiner eigenen Einsicht und der
Einsicht Anderer unterzuordnen. Wir vermuthen bei ihm keine herzliche
Zuneigung zu dem gewiegten Diplomaten Cavour, kein erhebliches Interesse
für langweilige Kammerverhandlungen; und doch läßt er Cavour die Leitung,
und doch bindet er sich streng an die Gesetze der parlamentarischen Verfaljung-
Den einen Hauptpunkt vor Augen, läßt er sich durch leinen Nebengedanke»
irren. So werden in der Geschichte die großen Dinge ausgeführt.
Garibaldi hat gewiß sehr viel Phantastisches: wenn der König »ut
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