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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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den Flecken seiner subjectiv ebenso rohen und geschmacklosen, als objectiv tüch¬
tigen und poetischen Zeit, und stellt unsre vaterländischen Dichter, Goethe und
Schiller, schon deswegen zu jenem nicht in das einseitig negative Verhältniß,
nur kleiner und schwächer zu sein, weil sie eme ini Sinne der Humanität fort¬
geschrittene Bildung, wenn auch nicht so mächtig und vollständig wie Shake¬
speare die seiner Zeit, poetisch in sich verarbeitet haben.

Die zweite neu hinzugekommene Abhandlung des Heftes beschäftigt sich
mit der Idee und Komposition des Hamlet, welcher der Verfasser mittelst einer
Prüfung der bisher darüber aufgestellte" Ansichten, von Goethe's Auslassungen
im Wilhelm Meister an, auf die Spur zu kommen sucht. In der Voraus¬
setzung, daß der Leser den gehaltvollen Aufsatz selbst zur Hand nehmen werde,
enthalten wir uns eines näheren Berichts, und bemerken nur, daß durch seine
Art. den gesuchten Begriff Schritt sür Schritt immer enger einzukreisen, ihn
erst ungefähr und blos formell, dann allmälig immer genauer auch seinem In"
halte nach zu bestimmen, durch die Anschaulichkeit seiner Sprache, das Ein¬
schneidende und Behältliche seiner Ausdrücke, seinen Reichthum an Beispielen,
uns der Verfasser eine hohe Vorstellung von seiner Gabe des lehrhaften aka¬
demischen Vortrags gibt. Und mit dieser Gabe, die der erste" deutsche" Hoch¬
schule zum Schmuck und Gewinn gereichen würde, sitzt Fr. Bischer gleichwol
noch immer in der Schweiz.

Sprachen wir oben unsere Freude darüber aus, daß Bischer sich entschlossen
hat, seine kritischen Gänge fortzusetzen, so sollte es uns fast noch mehr freuen,
wenn es an dem wäre, wovon wir haben reden hören, daß er in nicht allzu¬
langer Zeit sich veranlaßt sehen dürfte, eine neue Auflage seiner Aesthetik vor¬
zubereiten. Dabei bürgen uns dann seine eigenen Worte in der Vorrede
Zum letzten Theil der Aesthetik dafür, daß er das vor 15 Jahren begonnene
Werk nicht in der Form belassen würde, die für die Zeit seines Anfangs wol-
berechnet, für die, in der es geschlossen wurde, schon nicht mehr die rechte
war, und sür die jetzige es noch weniger sei" konnte. Gewiß würde Bischer
w der neuen Bearbeitung sein Werk des schweren philosophischen Panzers
entkleiden, ihm eine leichtere und schnellere Bewegung möglich machen/er würde
uus in zwei, höchstens drei mäßigen Bänden eine Aesthetik geben, die jedem
Gebildeten zugänglich wäre. Ein solches Buch, das Niemand so wie eben
Buche schreiben könnte, würde die tiefe und nachhaltige Wirksamkeit der erste"
Ausgabe der Aesthetik mit der raschen und weitgreifenden der kritischen Gänge
vereinigen, und dadurch seinem 'Verfasser den Borlheil verschaffe", seine Ge¬
danken selbst und unter eignem Name" in Kreise zu bringen, denen sie bisher
nur durch undankbare, den Urheber verleugnende oder gar schmähende Col¬
port --d. eurs zugetragen worden sind.




den Flecken seiner subjectiv ebenso rohen und geschmacklosen, als objectiv tüch¬
tigen und poetischen Zeit, und stellt unsre vaterländischen Dichter, Goethe und
Schiller, schon deswegen zu jenem nicht in das einseitig negative Verhältniß,
nur kleiner und schwächer zu sein, weil sie eme ini Sinne der Humanität fort¬
geschrittene Bildung, wenn auch nicht so mächtig und vollständig wie Shake¬
speare die seiner Zeit, poetisch in sich verarbeitet haben.

Die zweite neu hinzugekommene Abhandlung des Heftes beschäftigt sich
mit der Idee und Komposition des Hamlet, welcher der Verfasser mittelst einer
Prüfung der bisher darüber aufgestellte» Ansichten, von Goethe's Auslassungen
im Wilhelm Meister an, auf die Spur zu kommen sucht. In der Voraus¬
setzung, daß der Leser den gehaltvollen Aufsatz selbst zur Hand nehmen werde,
enthalten wir uns eines näheren Berichts, und bemerken nur, daß durch seine
Art. den gesuchten Begriff Schritt sür Schritt immer enger einzukreisen, ihn
erst ungefähr und blos formell, dann allmälig immer genauer auch seinem In«
halte nach zu bestimmen, durch die Anschaulichkeit seiner Sprache, das Ein¬
schneidende und Behältliche seiner Ausdrücke, seinen Reichthum an Beispielen,
uns der Verfasser eine hohe Vorstellung von seiner Gabe des lehrhaften aka¬
demischen Vortrags gibt. Und mit dieser Gabe, die der erste» deutsche» Hoch¬
schule zum Schmuck und Gewinn gereichen würde, sitzt Fr. Bischer gleichwol
noch immer in der Schweiz.

Sprachen wir oben unsere Freude darüber aus, daß Bischer sich entschlossen
hat, seine kritischen Gänge fortzusetzen, so sollte es uns fast noch mehr freuen,
wenn es an dem wäre, wovon wir haben reden hören, daß er in nicht allzu¬
langer Zeit sich veranlaßt sehen dürfte, eine neue Auflage seiner Aesthetik vor¬
zubereiten. Dabei bürgen uns dann seine eigenen Worte in der Vorrede
Zum letzten Theil der Aesthetik dafür, daß er das vor 15 Jahren begonnene
Werk nicht in der Form belassen würde, die für die Zeit seines Anfangs wol-
berechnet, für die, in der es geschlossen wurde, schon nicht mehr die rechte
war, und sür die jetzige es noch weniger sei» konnte. Gewiß würde Bischer
w der neuen Bearbeitung sein Werk des schweren philosophischen Panzers
entkleiden, ihm eine leichtere und schnellere Bewegung möglich machen/er würde
uus in zwei, höchstens drei mäßigen Bänden eine Aesthetik geben, die jedem
Gebildeten zugänglich wäre. Ein solches Buch, das Niemand so wie eben
Buche schreiben könnte, würde die tiefe und nachhaltige Wirksamkeit der erste»
Ausgabe der Aesthetik mit der raschen und weitgreifenden der kritischen Gänge
vereinigen, und dadurch seinem 'Verfasser den Borlheil verschaffe», seine Ge¬
danken selbst und unter eignem Name» in Kreise zu bringen, denen sie bisher
nur durch undankbare, den Urheber verleugnende oder gar schmähende Col¬
port --d. eurs zugetragen worden sind.




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[0343] den Flecken seiner subjectiv ebenso rohen und geschmacklosen, als objectiv tüch¬ tigen und poetischen Zeit, und stellt unsre vaterländischen Dichter, Goethe und Schiller, schon deswegen zu jenem nicht in das einseitig negative Verhältniß, nur kleiner und schwächer zu sein, weil sie eme ini Sinne der Humanität fort¬ geschrittene Bildung, wenn auch nicht so mächtig und vollständig wie Shake¬ speare die seiner Zeit, poetisch in sich verarbeitet haben. Die zweite neu hinzugekommene Abhandlung des Heftes beschäftigt sich mit der Idee und Komposition des Hamlet, welcher der Verfasser mittelst einer Prüfung der bisher darüber aufgestellte» Ansichten, von Goethe's Auslassungen im Wilhelm Meister an, auf die Spur zu kommen sucht. In der Voraus¬ setzung, daß der Leser den gehaltvollen Aufsatz selbst zur Hand nehmen werde, enthalten wir uns eines näheren Berichts, und bemerken nur, daß durch seine Art. den gesuchten Begriff Schritt sür Schritt immer enger einzukreisen, ihn erst ungefähr und blos formell, dann allmälig immer genauer auch seinem In« halte nach zu bestimmen, durch die Anschaulichkeit seiner Sprache, das Ein¬ schneidende und Behältliche seiner Ausdrücke, seinen Reichthum an Beispielen, uns der Verfasser eine hohe Vorstellung von seiner Gabe des lehrhaften aka¬ demischen Vortrags gibt. Und mit dieser Gabe, die der erste» deutsche» Hoch¬ schule zum Schmuck und Gewinn gereichen würde, sitzt Fr. Bischer gleichwol noch immer in der Schweiz. Sprachen wir oben unsere Freude darüber aus, daß Bischer sich entschlossen hat, seine kritischen Gänge fortzusetzen, so sollte es uns fast noch mehr freuen, wenn es an dem wäre, wovon wir haben reden hören, daß er in nicht allzu¬ langer Zeit sich veranlaßt sehen dürfte, eine neue Auflage seiner Aesthetik vor¬ zubereiten. Dabei bürgen uns dann seine eigenen Worte in der Vorrede Zum letzten Theil der Aesthetik dafür, daß er das vor 15 Jahren begonnene Werk nicht in der Form belassen würde, die für die Zeit seines Anfangs wol- berechnet, für die, in der es geschlossen wurde, schon nicht mehr die rechte war, und sür die jetzige es noch weniger sei» konnte. Gewiß würde Bischer w der neuen Bearbeitung sein Werk des schweren philosophischen Panzers entkleiden, ihm eine leichtere und schnellere Bewegung möglich machen/er würde uus in zwei, höchstens drei mäßigen Bänden eine Aesthetik geben, die jedem Gebildeten zugänglich wäre. Ein solches Buch, das Niemand so wie eben Buche schreiben könnte, würde die tiefe und nachhaltige Wirksamkeit der erste» Ausgabe der Aesthetik mit der raschen und weitgreifenden der kritischen Gänge vereinigen, und dadurch seinem 'Verfasser den Borlheil verschaffe», seine Ge¬ danken selbst und unter eignem Name» in Kreise zu bringen, denen sie bisher nur durch undankbare, den Urheber verleugnende oder gar schmähende Col¬ port --d. eurs zugetragen worden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/343>, abgerufen am 22.07.2024.