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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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vollen Reinheit und Stärke hat zur Erscheinung kommen können. Was noch
fehlt, wird ohne Zweifel und in nicht ferner Zukunft herankommen, und es
gilt, vorbereitet zu sein, damit der günstige Augenblick, die deutschen Glieder
zu einem starken Ganzen zu vereinigen, nicht abermals versäumt werde. Zur
Vorbereitung gehört die gewissenhafte Arbeit aller Organe der öffentlichen
Meinung und des öffentlichen Willens, um den nothwendigen Inhalt einer
zeitgemäßen nationalen Bundesverfassung festzustellen und dem Volksbewußt¬
sein einzuprägen; gleichzeitig aber das thätige Bestreben, in die Regierungen
und die Volksvertretungen solche Elemente einzuführen, welche eine Gewähr
dafür bieten, daß im rechten Augenblicke dem nothwendigen Inhalte die ent¬
sprechende Form gegeben werde.




Vischers Kritische Gänge.

Kritische Gänge. Neue Folge. Von Dr. Friede. Theod. Bischer, Professor der
Aesthetik und deutschen Literatur in Zürich. Erstes und zweites Heft.
Stuttgart. I. G. Cotta'scher Verlag. 1861.

Daß Fr. Bischer sich entschlossen hat, seinen kritischen Gängen eine neue
Folge zu geben, darin kommt er nur dem Wunsche der Vielen entgegen, denen
die vor siebzehn Jahren erschienenen zwei ersten Bändchen lieb geworden sind.
Er hat diesen leichten Truppen in der Zwischenzeit den Phalanx seiner Aesthc-
tck nachrücken lassen, und dadurch bewiesen, daß die gesunden Blicke und
witzigen Einfälle der frühern Schrift mehr als nur dies, daß sie die wohl-
vegründeten Ergebnisse eines zusammenhängenden ästhetischen Systems waren.
Das aber eben, was außer umfassenden Wissen und philosophischem Denken
°er Aesthetiker noch besitzen muß, um in seinem Berufe Ausgezeichnetes zu leisten:
die Schärfe und Helle des Blicks, die Wärme des Gefühls, den hohen Flug
der Phantasie wie den behenden Sprung des Witzes, das zu bethätigen gab
die Form kleinerer, leicht hingeworfener Aufsätze mehr Gelegenheit, als der
gemessene, stoffschwere Paragraphengang der systematischen Darstellung, und
insofern kann man wol fragen, ob Bischer durch seine Aesthetik oder durch
seine kritischen Gänge mehr gewirkt habe? Dem Umfang nach gewiß durch
die letzteren.


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vollen Reinheit und Stärke hat zur Erscheinung kommen können. Was noch
fehlt, wird ohne Zweifel und in nicht ferner Zukunft herankommen, und es
gilt, vorbereitet zu sein, damit der günstige Augenblick, die deutschen Glieder
zu einem starken Ganzen zu vereinigen, nicht abermals versäumt werde. Zur
Vorbereitung gehört die gewissenhafte Arbeit aller Organe der öffentlichen
Meinung und des öffentlichen Willens, um den nothwendigen Inhalt einer
zeitgemäßen nationalen Bundesverfassung festzustellen und dem Volksbewußt¬
sein einzuprägen; gleichzeitig aber das thätige Bestreben, in die Regierungen
und die Volksvertretungen solche Elemente einzuführen, welche eine Gewähr
dafür bieten, daß im rechten Augenblicke dem nothwendigen Inhalte die ent¬
sprechende Form gegeben werde.




Vischers Kritische Gänge.

Kritische Gänge. Neue Folge. Von Dr. Friede. Theod. Bischer, Professor der
Aesthetik und deutschen Literatur in Zürich. Erstes und zweites Heft.
Stuttgart. I. G. Cotta'scher Verlag. 1861.

Daß Fr. Bischer sich entschlossen hat, seinen kritischen Gängen eine neue
Folge zu geben, darin kommt er nur dem Wunsche der Vielen entgegen, denen
die vor siebzehn Jahren erschienenen zwei ersten Bändchen lieb geworden sind.
Er hat diesen leichten Truppen in der Zwischenzeit den Phalanx seiner Aesthc-
tck nachrücken lassen, und dadurch bewiesen, daß die gesunden Blicke und
witzigen Einfälle der frühern Schrift mehr als nur dies, daß sie die wohl-
vegründeten Ergebnisse eines zusammenhängenden ästhetischen Systems waren.
Das aber eben, was außer umfassenden Wissen und philosophischem Denken
°er Aesthetiker noch besitzen muß, um in seinem Berufe Ausgezeichnetes zu leisten:
die Schärfe und Helle des Blicks, die Wärme des Gefühls, den hohen Flug
der Phantasie wie den behenden Sprung des Witzes, das zu bethätigen gab
die Form kleinerer, leicht hingeworfener Aufsätze mehr Gelegenheit, als der
gemessene, stoffschwere Paragraphengang der systematischen Darstellung, und
insofern kann man wol fragen, ob Bischer durch seine Aesthetik oder durch
seine kritischen Gänge mehr gewirkt habe? Dem Umfang nach gewiß durch
die letzteren.


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[0341] vollen Reinheit und Stärke hat zur Erscheinung kommen können. Was noch fehlt, wird ohne Zweifel und in nicht ferner Zukunft herankommen, und es gilt, vorbereitet zu sein, damit der günstige Augenblick, die deutschen Glieder zu einem starken Ganzen zu vereinigen, nicht abermals versäumt werde. Zur Vorbereitung gehört die gewissenhafte Arbeit aller Organe der öffentlichen Meinung und des öffentlichen Willens, um den nothwendigen Inhalt einer zeitgemäßen nationalen Bundesverfassung festzustellen und dem Volksbewußt¬ sein einzuprägen; gleichzeitig aber das thätige Bestreben, in die Regierungen und die Volksvertretungen solche Elemente einzuführen, welche eine Gewähr dafür bieten, daß im rechten Augenblicke dem nothwendigen Inhalte die ent¬ sprechende Form gegeben werde. Vischers Kritische Gänge. Kritische Gänge. Neue Folge. Von Dr. Friede. Theod. Bischer, Professor der Aesthetik und deutschen Literatur in Zürich. Erstes und zweites Heft. Stuttgart. I. G. Cotta'scher Verlag. 1861. Daß Fr. Bischer sich entschlossen hat, seinen kritischen Gängen eine neue Folge zu geben, darin kommt er nur dem Wunsche der Vielen entgegen, denen die vor siebzehn Jahren erschienenen zwei ersten Bändchen lieb geworden sind. Er hat diesen leichten Truppen in der Zwischenzeit den Phalanx seiner Aesthc- tck nachrücken lassen, und dadurch bewiesen, daß die gesunden Blicke und witzigen Einfälle der frühern Schrift mehr als nur dies, daß sie die wohl- vegründeten Ergebnisse eines zusammenhängenden ästhetischen Systems waren. Das aber eben, was außer umfassenden Wissen und philosophischem Denken °er Aesthetiker noch besitzen muß, um in seinem Berufe Ausgezeichnetes zu leisten: die Schärfe und Helle des Blicks, die Wärme des Gefühls, den hohen Flug der Phantasie wie den behenden Sprung des Witzes, das zu bethätigen gab die Form kleinerer, leicht hingeworfener Aufsätze mehr Gelegenheit, als der gemessene, stoffschwere Paragraphengang der systematischen Darstellung, und insofern kann man wol fragen, ob Bischer durch seine Aesthetik oder durch seine kritischen Gänge mehr gewirkt habe? Dem Umfang nach gewiß durch die letzteren. 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/341>, abgerufen am 22.07.2024.