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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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sie wird alle Augenblicke retardirt, ohne daß man weiß warum, und was die sittliche
Idee betrifft, so muß der Dichter in der Regel sich erst die Mühe geben, sie dem
Publicum einzuschärfen, da sie sich aus der einfachen Action nicht herausstellt. Auch
selbst die Sprache, die im Romane so natürlich fließt, hat im dramatischen Jambus
in der Regel etwa" Steifes und Unbeholfnes, was nicht wcirig dazu beigetragen
haben mag den Verfall der Bühne zu beschleunigen, über den alle Augenzeugen
einstimmig sind, -- Bulwer gehört auch im Roman nicht zu den Schriftstellern,
die wir mit besonderer Vorliebe lesen; wir finden bei ihm durchweg mehr Bildung
als Talent, mehr Reflexion als Anschauung: aber werthlos ist nichts von Allem,
was er schreibt, denn es ist ein seiner Kopf, der ernsthaft gedacht und viel erlebt
hat. Wahrend bei W. Scott die Dramen gegen die Romane einen ganz unglaub¬
lichen Contrast bilden, ist bei Bulwer der Unterschied nicht so groß: die Charakter
ristik ist in beiden gemacht, die Action in beiden ohne Fluß, die Sprache in beiden
künstlich erhöht; aber in beiden begegnet man auch bedeutenden Gedanken. -- Als
die Aufgabe seiner sämmtlichen Dramen kann man die Rettung verkannter Charak¬
tere und Gesinnungen bezeichnen. In dem einen wird Richelieu nicht blos als
ein großer Staatsmann, sondern auch als ein edler gefühlvoller Mensch, in dem an¬
dern (not so dack g,s shea, or man^ siäss ok g, olraraoter) der liederliche Lord
Wilmot als ein liebenswürdiger und im Ganzen tugendhafter Edelmann dargestellt.
Daß in einem dritten die Herzogin von La Valliöre in der reinsten Glorie der
Frömmigkeit strahlt, und von dieser Glorie einen Schein auch aus das Haus Lud¬
wigs des Vierzehnten wirft, dürfte als weniger paradox gelten. In allen diesen
Stücken hat Bulwerdie Geschichte mit den Blicken eines Staatsmanns durchmustert,
und aus seiner Reflexion heraus die Charaktere gestaltet, die ihm nicht natürlich auf¬
gegangen sind. Was dagegen die Verknüpfung der Intrigue betrifft, so schweben
ihm durchweg französische Vorbilder vor: wie diese geht er auf Ucberraschunge-n aus,
ohne auf die innerliche Motivirung zu achten. Aber bei den Franzosen ergibt diese
Methode keinen Widerspruch. Denn da sie überhaupt so wenig als irgend möglich
charakterisiren, so setzen ihre'Charaktere ihren Plänen auch keinen Widerstand ent¬
gegen. Bei Bulwer dagegen arbeitet der Maschinist nicht selten in ganz anderer
Tendenz als der Charakteristiker. -- Die beiden schwächsten Stücke der Sammlung
sind Nonsz? und I'no I^et^ ok I^vns. Das erste erinnert stark an Balzacs Mcr-
cadct, dem es aber an Feinheit der Dctailmalerci unendlich nachsteht, und das zweite
sieht grade so aus wie die Uebersetzung einer leichten französischen Farce ins Sen¬
timentale. -- Wunderbar ist bei Bulwer die Arbeitskraft: diese unendliche Menge
poetischer Werke, von denen ein jedes ein gutes Stück Arbeit enthält und dann noch
eine bedeutende parlamentarische Laufbahn, eine ausgedehnte Geselligkeit, ja eine Zeit¬
lang sogar eine Stellung im Ministerium. --




Nerantwvrtlicher Redacteur: or. Morit) Busch.
Verlag von F. L. Herdig -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

sie wird alle Augenblicke retardirt, ohne daß man weiß warum, und was die sittliche
Idee betrifft, so muß der Dichter in der Regel sich erst die Mühe geben, sie dem
Publicum einzuschärfen, da sie sich aus der einfachen Action nicht herausstellt. Auch
selbst die Sprache, die im Romane so natürlich fließt, hat im dramatischen Jambus
in der Regel etwa» Steifes und Unbeholfnes, was nicht wcirig dazu beigetragen
haben mag den Verfall der Bühne zu beschleunigen, über den alle Augenzeugen
einstimmig sind, — Bulwer gehört auch im Roman nicht zu den Schriftstellern,
die wir mit besonderer Vorliebe lesen; wir finden bei ihm durchweg mehr Bildung
als Talent, mehr Reflexion als Anschauung: aber werthlos ist nichts von Allem,
was er schreibt, denn es ist ein seiner Kopf, der ernsthaft gedacht und viel erlebt
hat. Wahrend bei W. Scott die Dramen gegen die Romane einen ganz unglaub¬
lichen Contrast bilden, ist bei Bulwer der Unterschied nicht so groß: die Charakter
ristik ist in beiden gemacht, die Action in beiden ohne Fluß, die Sprache in beiden
künstlich erhöht; aber in beiden begegnet man auch bedeutenden Gedanken. — Als
die Aufgabe seiner sämmtlichen Dramen kann man die Rettung verkannter Charak¬
tere und Gesinnungen bezeichnen. In dem einen wird Richelieu nicht blos als
ein großer Staatsmann, sondern auch als ein edler gefühlvoller Mensch, in dem an¬
dern (not so dack g,s shea, or man^ siäss ok g, olraraoter) der liederliche Lord
Wilmot als ein liebenswürdiger und im Ganzen tugendhafter Edelmann dargestellt.
Daß in einem dritten die Herzogin von La Valliöre in der reinsten Glorie der
Frömmigkeit strahlt, und von dieser Glorie einen Schein auch aus das Haus Lud¬
wigs des Vierzehnten wirft, dürfte als weniger paradox gelten. In allen diesen
Stücken hat Bulwerdie Geschichte mit den Blicken eines Staatsmanns durchmustert,
und aus seiner Reflexion heraus die Charaktere gestaltet, die ihm nicht natürlich auf¬
gegangen sind. Was dagegen die Verknüpfung der Intrigue betrifft, so schweben
ihm durchweg französische Vorbilder vor: wie diese geht er auf Ucberraschunge-n aus,
ohne auf die innerliche Motivirung zu achten. Aber bei den Franzosen ergibt diese
Methode keinen Widerspruch. Denn da sie überhaupt so wenig als irgend möglich
charakterisiren, so setzen ihre'Charaktere ihren Plänen auch keinen Widerstand ent¬
gegen. Bei Bulwer dagegen arbeitet der Maschinist nicht selten in ganz anderer
Tendenz als der Charakteristiker. — Die beiden schwächsten Stücke der Sammlung
sind Nonsz? und I'no I^et^ ok I^vns. Das erste erinnert stark an Balzacs Mcr-
cadct, dem es aber an Feinheit der Dctailmalerci unendlich nachsteht, und das zweite
sieht grade so aus wie die Uebersetzung einer leichten französischen Farce ins Sen¬
timentale. — Wunderbar ist bei Bulwer die Arbeitskraft: diese unendliche Menge
poetischer Werke, von denen ein jedes ein gutes Stück Arbeit enthält und dann noch
eine bedeutende parlamentarische Laufbahn, eine ausgedehnte Geselligkeit, ja eine Zeit¬
lang sogar eine Stellung im Ministerium. —




Nerantwvrtlicher Redacteur: or. Morit) Busch.
Verlag von F. L. Herdig — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0330] sie wird alle Augenblicke retardirt, ohne daß man weiß warum, und was die sittliche Idee betrifft, so muß der Dichter in der Regel sich erst die Mühe geben, sie dem Publicum einzuschärfen, da sie sich aus der einfachen Action nicht herausstellt. Auch selbst die Sprache, die im Romane so natürlich fließt, hat im dramatischen Jambus in der Regel etwa» Steifes und Unbeholfnes, was nicht wcirig dazu beigetragen haben mag den Verfall der Bühne zu beschleunigen, über den alle Augenzeugen einstimmig sind, — Bulwer gehört auch im Roman nicht zu den Schriftstellern, die wir mit besonderer Vorliebe lesen; wir finden bei ihm durchweg mehr Bildung als Talent, mehr Reflexion als Anschauung: aber werthlos ist nichts von Allem, was er schreibt, denn es ist ein seiner Kopf, der ernsthaft gedacht und viel erlebt hat. Wahrend bei W. Scott die Dramen gegen die Romane einen ganz unglaub¬ lichen Contrast bilden, ist bei Bulwer der Unterschied nicht so groß: die Charakter ristik ist in beiden gemacht, die Action in beiden ohne Fluß, die Sprache in beiden künstlich erhöht; aber in beiden begegnet man auch bedeutenden Gedanken. — Als die Aufgabe seiner sämmtlichen Dramen kann man die Rettung verkannter Charak¬ tere und Gesinnungen bezeichnen. In dem einen wird Richelieu nicht blos als ein großer Staatsmann, sondern auch als ein edler gefühlvoller Mensch, in dem an¬ dern (not so dack g,s shea, or man^ siäss ok g, olraraoter) der liederliche Lord Wilmot als ein liebenswürdiger und im Ganzen tugendhafter Edelmann dargestellt. Daß in einem dritten die Herzogin von La Valliöre in der reinsten Glorie der Frömmigkeit strahlt, und von dieser Glorie einen Schein auch aus das Haus Lud¬ wigs des Vierzehnten wirft, dürfte als weniger paradox gelten. In allen diesen Stücken hat Bulwerdie Geschichte mit den Blicken eines Staatsmanns durchmustert, und aus seiner Reflexion heraus die Charaktere gestaltet, die ihm nicht natürlich auf¬ gegangen sind. Was dagegen die Verknüpfung der Intrigue betrifft, so schweben ihm durchweg französische Vorbilder vor: wie diese geht er auf Ucberraschunge-n aus, ohne auf die innerliche Motivirung zu achten. Aber bei den Franzosen ergibt diese Methode keinen Widerspruch. Denn da sie überhaupt so wenig als irgend möglich charakterisiren, so setzen ihre'Charaktere ihren Plänen auch keinen Widerstand ent¬ gegen. Bei Bulwer dagegen arbeitet der Maschinist nicht selten in ganz anderer Tendenz als der Charakteristiker. — Die beiden schwächsten Stücke der Sammlung sind Nonsz? und I'no I^et^ ok I^vns. Das erste erinnert stark an Balzacs Mcr- cadct, dem es aber an Feinheit der Dctailmalerci unendlich nachsteht, und das zweite sieht grade so aus wie die Uebersetzung einer leichten französischen Farce ins Sen¬ timentale. — Wunderbar ist bei Bulwer die Arbeitskraft: diese unendliche Menge poetischer Werke, von denen ein jedes ein gutes Stück Arbeit enthält und dann noch eine bedeutende parlamentarische Laufbahn, eine ausgedehnte Geselligkeit, ja eine Zeit¬ lang sogar eine Stellung im Ministerium. — Nerantwvrtlicher Redacteur: or. Morit) Busch. Verlag von F. L. Herdig — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/330>, abgerufen am 02.10.2024.