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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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fragt, ob wir etwa der gute Einfältige sind, der ihm Gelegenheit zum Ent¬
wischen geben soll.

Wir gehen, ohne uns viel zu besinnen, über die Hausflur, wo an den Wän¬
den Scheiben, Netze und allerlei Fallen hängen, in die Stube. Der Jäger ist
ein rauher Gesell, aber er wird uns freundlich aufnehmen, namentlich wenn
wir für das edle Waidwerk Sinn haben und in seiner Sprache mit ihm reden
können. Das Zimmer ist sehr einfach möblirt: ein Tisch, ein paar Stühle,
eine Lade und ein mächtiger Kachelofen. Im Uebrigen weiß man nicht, ob
es mehr Naturaliencabinet oder Apotheke oder Rüstkammer ist. Auf Simsen
stehen mit gläsernen Augen ausgestopfte Vögel. Iltisse, Marder, vielleicht auch
die eine oder die andere Haseiunißgeburt, Auf den Fensterbrctern finden wir
Büschel von Kräutern und Wurzeln, Töpfe, Flaschen und Gläser mit seltsam
ausschauenden Gemengen und Abkochungen zur Bethörung des Wildes, zu
allerlei Gewehrzauber. In der einen Ecke säugt eine Dachshündin ihre schma¬
tzenden und quiekenden Neugebornen, in der andern lehnt ein blanker Sanspieß.
Bücher gibts nicht, denn ein gewehr- und hirschgerechter Jäger hat seine Kunst
im Kopfe. Dagegen blitzen die Wände von Schrotflinten und Büchsen, Wnid-
mcsscrn und Hirschfängern. Bon Bildern, wie sie die heutigen Herren Förster
in ihren hübschen Stuben haben, ist ebensowenig zu finden; höchstens hat
unser guter Freund einen heiligen Hubertus mit seinem Hirsch oder eine Ge-
nvfevn mit ihrer Rehkuh oder eine große bunte Saujagd, wie man sie auf
dem Jahrmarkt kauft, an die Kammerthür geklebt.

Wir nehmen an, daß wir den Förster in einer Zeit trafen, wo ihn der
Wald nicht sehr in Anspruch nimmt. Er brant in diesen stillen Wochen seine
Kunstwässer, die ihm Hasen und Füchse zulaufen lassen, schmilzt Pfeifen und
Sprenkel, richtet Lockspeisen und Fallen zu, flickt die Jagdnetze und widmet sich
der Erziehung des Nachwuchses seiner Hunde, und dabei ist immer Muße, uns
von seiner Lebensweise, seinen Freuden und Leiden, seinem Wissen und seinem
Glauben zu erzählen. Auch manches schöne Abenteuer werden wir von ihm
Mähren, und wenn dabei ein paar mächtige Lügen mit unterlaufen sollten, so
dürfen wir ihm das nicht übelnehmen; denn es gehört zum Handwerk.

Er lebt hier sehr einsam, schon der schlechten Wege halber. Gelegentlich
spricht ein Bursch vor, ihm seine Dienste nnzubieteu, bisweilen hört er die
Flinte eines Wilddiebes knallen. Jährlich ein paar Mal wird er auf das
benachbarte Jagdschloß befohlen, um im grünen Galarock und mit neuen hirsch¬
ledernen Hosen angethan Se. Fürstliche Durchlaucht oder den gestrengen Herrn
^wfcn zu einer Sauhatz, einer Htrschfeltung oder einer Auerhahnbalz zu be¬
gleiten. Um die Weihnachtszeit geschieht es wol auch, daß sich der weniger
willkommene Besuch des wildeu Jägers einstellt, bei dem ein verständiger
Mann, wenn er nicht gerade fort muß, zu Hause bleibt. Sobald der erste


fragt, ob wir etwa der gute Einfältige sind, der ihm Gelegenheit zum Ent¬
wischen geben soll.

Wir gehen, ohne uns viel zu besinnen, über die Hausflur, wo an den Wän¬
den Scheiben, Netze und allerlei Fallen hängen, in die Stube. Der Jäger ist
ein rauher Gesell, aber er wird uns freundlich aufnehmen, namentlich wenn
wir für das edle Waidwerk Sinn haben und in seiner Sprache mit ihm reden
können. Das Zimmer ist sehr einfach möblirt: ein Tisch, ein paar Stühle,
eine Lade und ein mächtiger Kachelofen. Im Uebrigen weiß man nicht, ob
es mehr Naturaliencabinet oder Apotheke oder Rüstkammer ist. Auf Simsen
stehen mit gläsernen Augen ausgestopfte Vögel. Iltisse, Marder, vielleicht auch
die eine oder die andere Haseiunißgeburt, Auf den Fensterbrctern finden wir
Büschel von Kräutern und Wurzeln, Töpfe, Flaschen und Gläser mit seltsam
ausschauenden Gemengen und Abkochungen zur Bethörung des Wildes, zu
allerlei Gewehrzauber. In der einen Ecke säugt eine Dachshündin ihre schma¬
tzenden und quiekenden Neugebornen, in der andern lehnt ein blanker Sanspieß.
Bücher gibts nicht, denn ein gewehr- und hirschgerechter Jäger hat seine Kunst
im Kopfe. Dagegen blitzen die Wände von Schrotflinten und Büchsen, Wnid-
mcsscrn und Hirschfängern. Bon Bildern, wie sie die heutigen Herren Förster
in ihren hübschen Stuben haben, ist ebensowenig zu finden; höchstens hat
unser guter Freund einen heiligen Hubertus mit seinem Hirsch oder eine Ge-
nvfevn mit ihrer Rehkuh oder eine große bunte Saujagd, wie man sie auf
dem Jahrmarkt kauft, an die Kammerthür geklebt.

Wir nehmen an, daß wir den Förster in einer Zeit trafen, wo ihn der
Wald nicht sehr in Anspruch nimmt. Er brant in diesen stillen Wochen seine
Kunstwässer, die ihm Hasen und Füchse zulaufen lassen, schmilzt Pfeifen und
Sprenkel, richtet Lockspeisen und Fallen zu, flickt die Jagdnetze und widmet sich
der Erziehung des Nachwuchses seiner Hunde, und dabei ist immer Muße, uns
von seiner Lebensweise, seinen Freuden und Leiden, seinem Wissen und seinem
Glauben zu erzählen. Auch manches schöne Abenteuer werden wir von ihm
Mähren, und wenn dabei ein paar mächtige Lügen mit unterlaufen sollten, so
dürfen wir ihm das nicht übelnehmen; denn es gehört zum Handwerk.

Er lebt hier sehr einsam, schon der schlechten Wege halber. Gelegentlich
spricht ein Bursch vor, ihm seine Dienste nnzubieteu, bisweilen hört er die
Flinte eines Wilddiebes knallen. Jährlich ein paar Mal wird er auf das
benachbarte Jagdschloß befohlen, um im grünen Galarock und mit neuen hirsch¬
ledernen Hosen angethan Se. Fürstliche Durchlaucht oder den gestrengen Herrn
^wfcn zu einer Sauhatz, einer Htrschfeltung oder einer Auerhahnbalz zu be¬
gleiten. Um die Weihnachtszeit geschieht es wol auch, daß sich der weniger
willkommene Besuch des wildeu Jägers einstellt, bei dem ein verständiger
Mann, wenn er nicht gerade fort muß, zu Hause bleibt. Sobald der erste


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[0303] fragt, ob wir etwa der gute Einfältige sind, der ihm Gelegenheit zum Ent¬ wischen geben soll. Wir gehen, ohne uns viel zu besinnen, über die Hausflur, wo an den Wän¬ den Scheiben, Netze und allerlei Fallen hängen, in die Stube. Der Jäger ist ein rauher Gesell, aber er wird uns freundlich aufnehmen, namentlich wenn wir für das edle Waidwerk Sinn haben und in seiner Sprache mit ihm reden können. Das Zimmer ist sehr einfach möblirt: ein Tisch, ein paar Stühle, eine Lade und ein mächtiger Kachelofen. Im Uebrigen weiß man nicht, ob es mehr Naturaliencabinet oder Apotheke oder Rüstkammer ist. Auf Simsen stehen mit gläsernen Augen ausgestopfte Vögel. Iltisse, Marder, vielleicht auch die eine oder die andere Haseiunißgeburt, Auf den Fensterbrctern finden wir Büschel von Kräutern und Wurzeln, Töpfe, Flaschen und Gläser mit seltsam ausschauenden Gemengen und Abkochungen zur Bethörung des Wildes, zu allerlei Gewehrzauber. In der einen Ecke säugt eine Dachshündin ihre schma¬ tzenden und quiekenden Neugebornen, in der andern lehnt ein blanker Sanspieß. Bücher gibts nicht, denn ein gewehr- und hirschgerechter Jäger hat seine Kunst im Kopfe. Dagegen blitzen die Wände von Schrotflinten und Büchsen, Wnid- mcsscrn und Hirschfängern. Bon Bildern, wie sie die heutigen Herren Förster in ihren hübschen Stuben haben, ist ebensowenig zu finden; höchstens hat unser guter Freund einen heiligen Hubertus mit seinem Hirsch oder eine Ge- nvfevn mit ihrer Rehkuh oder eine große bunte Saujagd, wie man sie auf dem Jahrmarkt kauft, an die Kammerthür geklebt. Wir nehmen an, daß wir den Förster in einer Zeit trafen, wo ihn der Wald nicht sehr in Anspruch nimmt. Er brant in diesen stillen Wochen seine Kunstwässer, die ihm Hasen und Füchse zulaufen lassen, schmilzt Pfeifen und Sprenkel, richtet Lockspeisen und Fallen zu, flickt die Jagdnetze und widmet sich der Erziehung des Nachwuchses seiner Hunde, und dabei ist immer Muße, uns von seiner Lebensweise, seinen Freuden und Leiden, seinem Wissen und seinem Glauben zu erzählen. Auch manches schöne Abenteuer werden wir von ihm Mähren, und wenn dabei ein paar mächtige Lügen mit unterlaufen sollten, so dürfen wir ihm das nicht übelnehmen; denn es gehört zum Handwerk. Er lebt hier sehr einsam, schon der schlechten Wege halber. Gelegentlich spricht ein Bursch vor, ihm seine Dienste nnzubieteu, bisweilen hört er die Flinte eines Wilddiebes knallen. Jährlich ein paar Mal wird er auf das benachbarte Jagdschloß befohlen, um im grünen Galarock und mit neuen hirsch¬ ledernen Hosen angethan Se. Fürstliche Durchlaucht oder den gestrengen Herrn ^wfcn zu einer Sauhatz, einer Htrschfeltung oder einer Auerhahnbalz zu be¬ gleiten. Um die Weihnachtszeit geschieht es wol auch, daß sich der weniger willkommene Besuch des wildeu Jägers einstellt, bei dem ein verständiger Mann, wenn er nicht gerade fort muß, zu Hause bleibt. Sobald der erste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/303>, abgerufen am 26.08.2024.