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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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in, den Weissagungen des Alten Testaments und deren Erfüllung namentlich
durch die Auferstehung. -- Die Hauptsache ist aber: "man muß die Beweise
der Religion selbst einsehn, selbst fühlen, selbst mit allen Kräften des Ver¬
standes und des Herzens bejahen, wenn sie unsern Leiden widerstehn sollen,"
"Wie wir unendlich viele Drnge nicht wissen, so kennen wir auch nicht genau
die metaphysische Weise, wie die göttliche Gnade uns erleuchtet, wie sie auf
uns wirkt. Niemand aber wird ernstlich sich Gott ergeben haben, der die
Wirkung der Gnade nicht ebenso entscheidend empfunden habe, wie er die
Triebe der Lunde gefühlt hat. Das Feuer, womit die Gnade unsere Triebe zur
Besserung beseelt, die Flammenschrift, womit sie die Erkenntniß unserer Un¬
Würdigkeit in das Herz gräbt, das brennende Verlangen nach dem Gefühl der
göttlichen Begnadigung, sind Empfindungen, deren-der Mensch bei allem sitt¬
samen Genuß seiner Vernunft vollkommen fähig ist."

Denn sie sind da, und wo sie nicht da sind, hat man doch das Bedürfniß nach
etwas Aehnlichem. -- Haller war von dem allgemeinen Glaube" an die
Güte der menschlichen Natur, wo sie sich selbst treu ist, ausgegangen; verbun¬
den mit dem besondern Gefühl der Korruption seiner Umgebungen und der
Schwäche seines eignen Herzens. Er suchte zuerst, wie später Rousseau, das Ideal
in der Naturwelt; seine Isolirtheit nöthigte ihn, das Ideal in der Gnade d. h.
im Unbestimmten zu hoffen. Er fand es nicht, er blieb bis an den Tod im
Unfrieden, -- Die obigen Stellen sind aus einer Zeit, wo bereits die Giau-
bensphjlosophen sich regen: Lavater, bald auch Jacobi. Ueber ihre Be¬
ziehung zum Kirchenglauben haben wir schon Mehreres gesagt; wir behalten
Julian Schnutt. uns vor, darauf zurückzukommen.




Literatur.

Briefwechsel und Gespräche Alexanders v. Humboldt mit einem jun¬
gen Freunde aus den Jahren 1847--1856 (Berlin, Franz Dunker) -- "In unserm
schreibenden, lesenden Deutschland," sagte Humboldt den 30. Juli 1856 zu seinem
"jungen Freund, "hat ein Mensch wie ich das Unglück, als eine Art Wunder und
Kuriosität betrachtet zu werden. Alle drängen sich an ihn heran, als ob er der
"nzige Vertreter der Wissenschaft wäre. Hiezu kommt dann noch meine Stelle am
Hofe, so daß ich nicht blos Briefe von wissenschaftlichen Menschen erhalte, sondern


in, den Weissagungen des Alten Testaments und deren Erfüllung namentlich
durch die Auferstehung. — Die Hauptsache ist aber: „man muß die Beweise
der Religion selbst einsehn, selbst fühlen, selbst mit allen Kräften des Ver¬
standes und des Herzens bejahen, wenn sie unsern Leiden widerstehn sollen,"
„Wie wir unendlich viele Drnge nicht wissen, so kennen wir auch nicht genau
die metaphysische Weise, wie die göttliche Gnade uns erleuchtet, wie sie auf
uns wirkt. Niemand aber wird ernstlich sich Gott ergeben haben, der die
Wirkung der Gnade nicht ebenso entscheidend empfunden habe, wie er die
Triebe der Lunde gefühlt hat. Das Feuer, womit die Gnade unsere Triebe zur
Besserung beseelt, die Flammenschrift, womit sie die Erkenntniß unserer Un¬
Würdigkeit in das Herz gräbt, das brennende Verlangen nach dem Gefühl der
göttlichen Begnadigung, sind Empfindungen, deren-der Mensch bei allem sitt¬
samen Genuß seiner Vernunft vollkommen fähig ist."

Denn sie sind da, und wo sie nicht da sind, hat man doch das Bedürfniß nach
etwas Aehnlichem. — Haller war von dem allgemeinen Glaube» an die
Güte der menschlichen Natur, wo sie sich selbst treu ist, ausgegangen; verbun¬
den mit dem besondern Gefühl der Korruption seiner Umgebungen und der
Schwäche seines eignen Herzens. Er suchte zuerst, wie später Rousseau, das Ideal
in der Naturwelt; seine Isolirtheit nöthigte ihn, das Ideal in der Gnade d. h.
im Unbestimmten zu hoffen. Er fand es nicht, er blieb bis an den Tod im
Unfrieden, — Die obigen Stellen sind aus einer Zeit, wo bereits die Giau-
bensphjlosophen sich regen: Lavater, bald auch Jacobi. Ueber ihre Be¬
ziehung zum Kirchenglauben haben wir schon Mehreres gesagt; wir behalten
Julian Schnutt. uns vor, darauf zurückzukommen.




Literatur.

Briefwechsel und Gespräche Alexanders v. Humboldt mit einem jun¬
gen Freunde aus den Jahren 1847—1856 (Berlin, Franz Dunker) — „In unserm
schreibenden, lesenden Deutschland," sagte Humboldt den 30. Juli 1856 zu seinem
»jungen Freund, „hat ein Mensch wie ich das Unglück, als eine Art Wunder und
Kuriosität betrachtet zu werden. Alle drängen sich an ihn heran, als ob er der
"nzige Vertreter der Wissenschaft wäre. Hiezu kommt dann noch meine Stelle am
Hofe, so daß ich nicht blos Briefe von wissenschaftlichen Menschen erhalte, sondern


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[0289] in, den Weissagungen des Alten Testaments und deren Erfüllung namentlich durch die Auferstehung. — Die Hauptsache ist aber: „man muß die Beweise der Religion selbst einsehn, selbst fühlen, selbst mit allen Kräften des Ver¬ standes und des Herzens bejahen, wenn sie unsern Leiden widerstehn sollen," „Wie wir unendlich viele Drnge nicht wissen, so kennen wir auch nicht genau die metaphysische Weise, wie die göttliche Gnade uns erleuchtet, wie sie auf uns wirkt. Niemand aber wird ernstlich sich Gott ergeben haben, der die Wirkung der Gnade nicht ebenso entscheidend empfunden habe, wie er die Triebe der Lunde gefühlt hat. Das Feuer, womit die Gnade unsere Triebe zur Besserung beseelt, die Flammenschrift, womit sie die Erkenntniß unserer Un¬ Würdigkeit in das Herz gräbt, das brennende Verlangen nach dem Gefühl der göttlichen Begnadigung, sind Empfindungen, deren-der Mensch bei allem sitt¬ samen Genuß seiner Vernunft vollkommen fähig ist." Denn sie sind da, und wo sie nicht da sind, hat man doch das Bedürfniß nach etwas Aehnlichem. — Haller war von dem allgemeinen Glaube» an die Güte der menschlichen Natur, wo sie sich selbst treu ist, ausgegangen; verbun¬ den mit dem besondern Gefühl der Korruption seiner Umgebungen und der Schwäche seines eignen Herzens. Er suchte zuerst, wie später Rousseau, das Ideal in der Naturwelt; seine Isolirtheit nöthigte ihn, das Ideal in der Gnade d. h. im Unbestimmten zu hoffen. Er fand es nicht, er blieb bis an den Tod im Unfrieden, — Die obigen Stellen sind aus einer Zeit, wo bereits die Giau- bensphjlosophen sich regen: Lavater, bald auch Jacobi. Ueber ihre Be¬ ziehung zum Kirchenglauben haben wir schon Mehreres gesagt; wir behalten Julian Schnutt. uns vor, darauf zurückzukommen. Literatur. Briefwechsel und Gespräche Alexanders v. Humboldt mit einem jun¬ gen Freunde aus den Jahren 1847—1856 (Berlin, Franz Dunker) — „In unserm schreibenden, lesenden Deutschland," sagte Humboldt den 30. Juli 1856 zu seinem »jungen Freund, „hat ein Mensch wie ich das Unglück, als eine Art Wunder und Kuriosität betrachtet zu werden. Alle drängen sich an ihn heran, als ob er der "nzige Vertreter der Wissenschaft wäre. Hiezu kommt dann noch meine Stelle am Hofe, so daß ich nicht blos Briefe von wissenschaftlichen Menschen erhalte, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/289>, abgerufen am 25.08.2024.