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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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man den Vorübergehenden klagen, daß er soeben sein ganzes erspartes Geld
in Betrag von zwölf Paoli (eir.ca zwei Thaler) als Monatssteuer blos für das
Recht hatte hergeben müssen, in einem Winkel der Straße alte Schuhe zu
flicken. Wer eine größere Werkstatt aufzuschlagen und Gesellen zu halten ver¬
mag, kann, namentlich wenn er sich mit Anfertigung von Kleidungsstücken
und Frauenputz befaßt, bessere Geschäfte machen, da der wohlhabende Italiener
sich gern gut anzieht und die Frauenwelt viel auf neue Moden hält. Fabriken
aber finden sich im Kirchenstaat fast nirgends, man müßte denn die Seiden¬
spinnereien dahin zahlen, die einige Sommermonate hindurch das weibliche
Geschlecht in Nahrung setzen.

^ Sicherlich verbirgt sich hinter der Oberfläche von UnsanbcMt und Lieder¬
lichkeit, Trägheit und Unwissenheit, der wir in diesen kleinen Orten der rö¬
mischen Provinz begegnen, ein guter Kern, der nur der Politur bedarf, um
zu glänzen. Aber es wird Mühe kosten, die Bevölkerung ans d.em Sumpf
zu ziehen, in den sie durch unglückliche Verhältnisse versunken ist, und ob die
Zeit dazu schon gekommen, lassen wir dahin gestellt. Erhebt es sich einmal
wirklich zu neuem Leben, das Volk Italiens, so wird es so schön sein, wie sein
Himmel unt> die Farben seiner Bar,ge und vielleicht von Neuem eine Mis¬
M. v. A. sion für die ganze Kulturgeschichte erfüllen.




Einiges über Hnller.

Indem wir fortfahren, den schweizer Bildersnal zu durchwandern, den
Mörikofer uns eröffnet, stoßen wir zunächst auf Hnller. Mörikofer schil¬
dert ihn hauptsächlich vom bürgerlichen Standpunkt und zeigt, daß er in der
Verwaltung des Staatsamts ebenso tüchtig war wie als Gelehrter und Dichter.
Was dieser Mann anfaßte, führte er gründlich dnrch.

Es wäre zweckmäßig, wieder einmal eine ausführliche Biographie zu ver¬
suchen ; nur müßte der Biograph zugleich ein tüchtiger Physiolog sein. Zim-
mermann's Biographie von 1 755 saßt zwar hauptsächlich die gelehrte Seite
seiner Thätigkeit ins Auge, aber sie war schon für die damalige Zeit unge¬
nügend. Eine Stelle dieser Biographie verdient angeführt zu werden, um zu
zeigen, wie sehr die Zeiten sich geändert haben. -- "Worin soll denn unsere
Nation ihre Ehre zeigen? fragt Zimmermann. Unsere Siege sind vergeben;


man den Vorübergehenden klagen, daß er soeben sein ganzes erspartes Geld
in Betrag von zwölf Paoli (eir.ca zwei Thaler) als Monatssteuer blos für das
Recht hatte hergeben müssen, in einem Winkel der Straße alte Schuhe zu
flicken. Wer eine größere Werkstatt aufzuschlagen und Gesellen zu halten ver¬
mag, kann, namentlich wenn er sich mit Anfertigung von Kleidungsstücken
und Frauenputz befaßt, bessere Geschäfte machen, da der wohlhabende Italiener
sich gern gut anzieht und die Frauenwelt viel auf neue Moden hält. Fabriken
aber finden sich im Kirchenstaat fast nirgends, man müßte denn die Seiden¬
spinnereien dahin zahlen, die einige Sommermonate hindurch das weibliche
Geschlecht in Nahrung setzen.

^ Sicherlich verbirgt sich hinter der Oberfläche von UnsanbcMt und Lieder¬
lichkeit, Trägheit und Unwissenheit, der wir in diesen kleinen Orten der rö¬
mischen Provinz begegnen, ein guter Kern, der nur der Politur bedarf, um
zu glänzen. Aber es wird Mühe kosten, die Bevölkerung ans d.em Sumpf
zu ziehen, in den sie durch unglückliche Verhältnisse versunken ist, und ob die
Zeit dazu schon gekommen, lassen wir dahin gestellt. Erhebt es sich einmal
wirklich zu neuem Leben, das Volk Italiens, so wird es so schön sein, wie sein
Himmel unt> die Farben seiner Bar,ge und vielleicht von Neuem eine Mis¬
M. v. A. sion für die ganze Kulturgeschichte erfüllen.




Einiges über Hnller.

Indem wir fortfahren, den schweizer Bildersnal zu durchwandern, den
Mörikofer uns eröffnet, stoßen wir zunächst auf Hnller. Mörikofer schil¬
dert ihn hauptsächlich vom bürgerlichen Standpunkt und zeigt, daß er in der
Verwaltung des Staatsamts ebenso tüchtig war wie als Gelehrter und Dichter.
Was dieser Mann anfaßte, führte er gründlich dnrch.

Es wäre zweckmäßig, wieder einmal eine ausführliche Biographie zu ver¬
suchen ; nur müßte der Biograph zugleich ein tüchtiger Physiolog sein. Zim-
mermann's Biographie von 1 755 saßt zwar hauptsächlich die gelehrte Seite
seiner Thätigkeit ins Auge, aber sie war schon für die damalige Zeit unge¬
nügend. Eine Stelle dieser Biographie verdient angeführt zu werden, um zu
zeigen, wie sehr die Zeiten sich geändert haben. — „Worin soll denn unsere
Nation ihre Ehre zeigen? fragt Zimmermann. Unsere Siege sind vergeben;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/278>, abgerufen am 24.08.2024.