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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Georgs aus dem Hause Jakob, den ma" nach der Farbe seines Kleides Blau¬
rock nannte. 1526 zu Zürich mit Ruthrn ausgestäupt, fand er nach langem
Herumirren eine Zuflucht in Tirol. Nach seinen Predigten zählte Schwätz
allein unter 1200 Einwohnern 800 Wiedertäufer. Da erließ König Ferdinand
ein strenges Mandatj, die Verfolgungen begannen mit grausamer Wuth, um
die verderbliche Saat mit Feuer und Schwert auszurotten. In dem winzigen
Städtchen Kitzbüchl nennt eine Liste 67 Menschen, welche des Glaubens willen
hingerichtet wurden, zu Kallenberg fielen 66, zu Kufstein 22 in die Hand des
Scharfrichters; für ganz Tirol rechnet man über 1000. Der Zweck wurde aber
nicht völlig erreicht, wie die von Zeit zu Zeit erlassenen Befehle der Obrig¬
keit bekunden: alle, die einen Wiedertäufer wissentlich beherbergt, gefangen zu
nehmen und gegen sie mit der Tortur vorzugehen, damit man erfahre, ob
ihre Seele bereits mit dem Gist der Ketzerei befleckt sei. Selbst ein Graf
Wolkenstein wurde dem Katholicismus abtrünnig; schnell verhaftet, erbot er
sich zur Rückkehr in den Schooß der Kirche; man entließ ihn gegen Bürgschaft
aus dem Kerker und sah ihm später aus Rücksicht aus die Glieder seiner edlen
Familie sogar den Widerruf nach, den er leisten sollte.

Nachdem die Häupter der Secte auf dem Scheiterhaufen oder unter dem
Henkerbeil erlegen waren und die Verfolgung in den Nachbarländern gleich
oder noch heftiger wüthete, beobachteten die Wiedertäufer allmälig größere Vor¬
sicht, hielten jedoch mit der Zähigkeit, welche den Gebirgsbewohnern eigen¬
thümlich ist, an ihrem Irrthum sest, bis endlich -- zumeist durch das Be¬
mühen der Jesuiten, welche Ferdinand 1563 in Tirol ansiedelte -- die letzten
Spuren um 1630 verschwanden. Sie hatten Regierung und Klerus länger
als ein Jahrhundert in Athem gehalten. Später trat ein Sectenstifter aus
Stubai mit einer von ihm selbst erfundenen Religion auf, wurde indeß bald
gefangen gesetzt und hingerichtet; zugleich sammelte man die noch übrigen
lutherischen Bücher und verbrannte sie.

Von nun an war es, wie überall in den altkatholischen Ländern nach
dem Concil zu Trient, in Tirol sehr still. Die Jesuiten verbreiteten sich weiter
und weiter, bauten prachtvolle Kirchen und palastähnliche Klöster, übernahmen
die Gymnasien und sorgten eifrig, daß sich nirgends ein Hauch von Ketzerei
regte. Die Vertreibung der Protestanten aus Salzburg berührte nur das
Zillerthal, welches zum Sprengel des Erzbischofs gehörte; hier glimmte der
Funken jedoch heimlich fort, bis er vor wenigen Jahren, wo man größere
Toleranz hoffte, zur Flamme aufschlug, welche aber der Fanatismus des Land¬
tages dadurch dämpfte, daß er die Abtrünnigen zur Auswanderung nach Preu¬
ßen zwang. Vor Kurzem sagte uns ein Zillerthaler: "Nur die Dummen sind
fort, die Klugen haben sich verstellt und sind geblieben!" Sorgfältige Erkun¬
digungen bei Geistlichen indeß bestätigten diese Angabe nicht. Auch die Secte


Georgs aus dem Hause Jakob, den ma» nach der Farbe seines Kleides Blau¬
rock nannte. 1526 zu Zürich mit Ruthrn ausgestäupt, fand er nach langem
Herumirren eine Zuflucht in Tirol. Nach seinen Predigten zählte Schwätz
allein unter 1200 Einwohnern 800 Wiedertäufer. Da erließ König Ferdinand
ein strenges Mandatj, die Verfolgungen begannen mit grausamer Wuth, um
die verderbliche Saat mit Feuer und Schwert auszurotten. In dem winzigen
Städtchen Kitzbüchl nennt eine Liste 67 Menschen, welche des Glaubens willen
hingerichtet wurden, zu Kallenberg fielen 66, zu Kufstein 22 in die Hand des
Scharfrichters; für ganz Tirol rechnet man über 1000. Der Zweck wurde aber
nicht völlig erreicht, wie die von Zeit zu Zeit erlassenen Befehle der Obrig¬
keit bekunden: alle, die einen Wiedertäufer wissentlich beherbergt, gefangen zu
nehmen und gegen sie mit der Tortur vorzugehen, damit man erfahre, ob
ihre Seele bereits mit dem Gist der Ketzerei befleckt sei. Selbst ein Graf
Wolkenstein wurde dem Katholicismus abtrünnig; schnell verhaftet, erbot er
sich zur Rückkehr in den Schooß der Kirche; man entließ ihn gegen Bürgschaft
aus dem Kerker und sah ihm später aus Rücksicht aus die Glieder seiner edlen
Familie sogar den Widerruf nach, den er leisten sollte.

Nachdem die Häupter der Secte auf dem Scheiterhaufen oder unter dem
Henkerbeil erlegen waren und die Verfolgung in den Nachbarländern gleich
oder noch heftiger wüthete, beobachteten die Wiedertäufer allmälig größere Vor¬
sicht, hielten jedoch mit der Zähigkeit, welche den Gebirgsbewohnern eigen¬
thümlich ist, an ihrem Irrthum sest, bis endlich — zumeist durch das Be¬
mühen der Jesuiten, welche Ferdinand 1563 in Tirol ansiedelte — die letzten
Spuren um 1630 verschwanden. Sie hatten Regierung und Klerus länger
als ein Jahrhundert in Athem gehalten. Später trat ein Sectenstifter aus
Stubai mit einer von ihm selbst erfundenen Religion auf, wurde indeß bald
gefangen gesetzt und hingerichtet; zugleich sammelte man die noch übrigen
lutherischen Bücher und verbrannte sie.

Von nun an war es, wie überall in den altkatholischen Ländern nach
dem Concil zu Trient, in Tirol sehr still. Die Jesuiten verbreiteten sich weiter
und weiter, bauten prachtvolle Kirchen und palastähnliche Klöster, übernahmen
die Gymnasien und sorgten eifrig, daß sich nirgends ein Hauch von Ketzerei
regte. Die Vertreibung der Protestanten aus Salzburg berührte nur das
Zillerthal, welches zum Sprengel des Erzbischofs gehörte; hier glimmte der
Funken jedoch heimlich fort, bis er vor wenigen Jahren, wo man größere
Toleranz hoffte, zur Flamme aufschlug, welche aber der Fanatismus des Land¬
tages dadurch dämpfte, daß er die Abtrünnigen zur Auswanderung nach Preu¬
ßen zwang. Vor Kurzem sagte uns ein Zillerthaler: „Nur die Dummen sind
fort, die Klugen haben sich verstellt und sind geblieben!" Sorgfältige Erkun¬
digungen bei Geistlichen indeß bestätigten diese Angabe nicht. Auch die Secte


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[0236] Georgs aus dem Hause Jakob, den ma» nach der Farbe seines Kleides Blau¬ rock nannte. 1526 zu Zürich mit Ruthrn ausgestäupt, fand er nach langem Herumirren eine Zuflucht in Tirol. Nach seinen Predigten zählte Schwätz allein unter 1200 Einwohnern 800 Wiedertäufer. Da erließ König Ferdinand ein strenges Mandatj, die Verfolgungen begannen mit grausamer Wuth, um die verderbliche Saat mit Feuer und Schwert auszurotten. In dem winzigen Städtchen Kitzbüchl nennt eine Liste 67 Menschen, welche des Glaubens willen hingerichtet wurden, zu Kallenberg fielen 66, zu Kufstein 22 in die Hand des Scharfrichters; für ganz Tirol rechnet man über 1000. Der Zweck wurde aber nicht völlig erreicht, wie die von Zeit zu Zeit erlassenen Befehle der Obrig¬ keit bekunden: alle, die einen Wiedertäufer wissentlich beherbergt, gefangen zu nehmen und gegen sie mit der Tortur vorzugehen, damit man erfahre, ob ihre Seele bereits mit dem Gist der Ketzerei befleckt sei. Selbst ein Graf Wolkenstein wurde dem Katholicismus abtrünnig; schnell verhaftet, erbot er sich zur Rückkehr in den Schooß der Kirche; man entließ ihn gegen Bürgschaft aus dem Kerker und sah ihm später aus Rücksicht aus die Glieder seiner edlen Familie sogar den Widerruf nach, den er leisten sollte. Nachdem die Häupter der Secte auf dem Scheiterhaufen oder unter dem Henkerbeil erlegen waren und die Verfolgung in den Nachbarländern gleich oder noch heftiger wüthete, beobachteten die Wiedertäufer allmälig größere Vor¬ sicht, hielten jedoch mit der Zähigkeit, welche den Gebirgsbewohnern eigen¬ thümlich ist, an ihrem Irrthum sest, bis endlich — zumeist durch das Be¬ mühen der Jesuiten, welche Ferdinand 1563 in Tirol ansiedelte — die letzten Spuren um 1630 verschwanden. Sie hatten Regierung und Klerus länger als ein Jahrhundert in Athem gehalten. Später trat ein Sectenstifter aus Stubai mit einer von ihm selbst erfundenen Religion auf, wurde indeß bald gefangen gesetzt und hingerichtet; zugleich sammelte man die noch übrigen lutherischen Bücher und verbrannte sie. Von nun an war es, wie überall in den altkatholischen Ländern nach dem Concil zu Trient, in Tirol sehr still. Die Jesuiten verbreiteten sich weiter und weiter, bauten prachtvolle Kirchen und palastähnliche Klöster, übernahmen die Gymnasien und sorgten eifrig, daß sich nirgends ein Hauch von Ketzerei regte. Die Vertreibung der Protestanten aus Salzburg berührte nur das Zillerthal, welches zum Sprengel des Erzbischofs gehörte; hier glimmte der Funken jedoch heimlich fort, bis er vor wenigen Jahren, wo man größere Toleranz hoffte, zur Flamme aufschlug, welche aber der Fanatismus des Land¬ tages dadurch dämpfte, daß er die Abtrünnigen zur Auswanderung nach Preu¬ ßen zwang. Vor Kurzem sagte uns ein Zillerthaler: „Nur die Dummen sind fort, die Klugen haben sich verstellt und sind geblieben!" Sorgfältige Erkun¬ digungen bei Geistlichen indeß bestätigten diese Angabe nicht. Auch die Secte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/236>, abgerufen am 23.07.2024.