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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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seiner Führung verlustig wurden. Denn freilich, seiner öffentlichen politischen
Thätigkeit machten die überstürzenden revolutionären Ereignisse ein rasches
Ende. Die Hoffnungen, mit welchen erfüllt Dahlmann nach Frankfurt
zog. waren schon nach wenigen Monaten geknickt. Gegenwärtig, wo
wieder ähnliche Parteibildungen anschießen, wie sie uns im Jahre 1848 spal¬
teten, wäre es wol am wenigsten thunlich, über Dahlmann's Stellung in
der Revolutionszeit ein abschließendes Urtheil zu fallen. Nur soweit sein per¬
sönlicher Charakter mit in den Streit gezogen wurde, sei es gestattet, einige
Worte der Verständigung zu äußern. Wenn der augenblickliche Erfolg den
Werth eines Staatsmannes bestimmt, gewiß, dann hat Dahlmann über sich
selbst das Urtheil gesprochen. Nimmermehr hätte er aber die Richtigkeit die¬
ses Grundsatzes anerkannt, nimmermehr zugegeben, daß. wenn nur das be¬
absichtigte Ziel erreicht werde, alles Andere dem freien Belieben und der straf¬
losen Willkür anheimgestellt sei. Sein Glaubensbekenntniß in dieser Bezieh¬
ung hat er schon in einer Kammerrede in Hannover 1832 aufgestellt: "Der
guten Zwecke rühmt sich Jedermann: der Absolutist. wie der Liberale: jener
von der Ordnung, dieser von der Freiheit ausgehend; eben darum soll man
die Menschen nicht nach ihren gepriesenen guten Zwecken, man soll sie nach
ihren Mitteln beurtheilen. Einen Liberalismus von unbedingtem Werthe,
das heißt, einerlei durch welche Mittel er sich verwirkliche, giebt es nicht.
Ich kann die Politik durchaus nicht als getrennt von der Moral betrachten.
und erkläre mich hierin eines ganz altvüterischen Glaubens: Wenn jemals
der Tag erschiene, an welchem ich meines Irrthums inne würde, an welchem
wir klar würde, Moral und Politik wären ganz getrennte Gebiete, ich würde
keine Stunde mehr mich mit Politik lehrend oder lernend beschäftigen; ich
würde von dem Augenblicke an den Staat als eine Erfindung des Verder¬
bens für die Menschheit betrachten." So dachte und handelte Dahlmann
auch im Jahre 1848. Er war sich wohl bewußt, daß ein Aufgeben seiner
Grundsätze den Erfolg seiner Thätigkeit begünstigen würde; er kannte die
Wege, welche ihn zur Macht, seine nächsten politischen Zwecke zur Verwirk¬
lichung gebracht hätten. "Aber", pflegte er damals und später zu sagen, "ich
konnte doch nimmermehr mit Robert Blum zusammen ein Ministerium bil¬
den." Gewiß nicht, er hätte sich selbst aufgeben müssen, hätte seinen Halt und
seine Kraft. Alles was ihn befähigte, eine politische Rolle zu spielen, was
ihm den Glauben an seine Wirksamkeit verlieh und Vertrauen zu sich selbst
gab. verloren.

So verbrannte er denn, nachdem in Gotha und Berlin auch die letzten
Illusionen in Bezug auf Deutschlands Befreiung oder, was dasselbe ist, Eini¬
gung schwanden, die Schiffe der politisch-praktischen Thätigkeit und zog sich
"ach Bonn zurück, um fortan seiner akademischen Wirksamkeit zu leben.


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seiner Führung verlustig wurden. Denn freilich, seiner öffentlichen politischen
Thätigkeit machten die überstürzenden revolutionären Ereignisse ein rasches
Ende. Die Hoffnungen, mit welchen erfüllt Dahlmann nach Frankfurt
zog. waren schon nach wenigen Monaten geknickt. Gegenwärtig, wo
wieder ähnliche Parteibildungen anschießen, wie sie uns im Jahre 1848 spal¬
teten, wäre es wol am wenigsten thunlich, über Dahlmann's Stellung in
der Revolutionszeit ein abschließendes Urtheil zu fallen. Nur soweit sein per¬
sönlicher Charakter mit in den Streit gezogen wurde, sei es gestattet, einige
Worte der Verständigung zu äußern. Wenn der augenblickliche Erfolg den
Werth eines Staatsmannes bestimmt, gewiß, dann hat Dahlmann über sich
selbst das Urtheil gesprochen. Nimmermehr hätte er aber die Richtigkeit die¬
ses Grundsatzes anerkannt, nimmermehr zugegeben, daß. wenn nur das be¬
absichtigte Ziel erreicht werde, alles Andere dem freien Belieben und der straf¬
losen Willkür anheimgestellt sei. Sein Glaubensbekenntniß in dieser Bezieh¬
ung hat er schon in einer Kammerrede in Hannover 1832 aufgestellt: „Der
guten Zwecke rühmt sich Jedermann: der Absolutist. wie der Liberale: jener
von der Ordnung, dieser von der Freiheit ausgehend; eben darum soll man
die Menschen nicht nach ihren gepriesenen guten Zwecken, man soll sie nach
ihren Mitteln beurtheilen. Einen Liberalismus von unbedingtem Werthe,
das heißt, einerlei durch welche Mittel er sich verwirkliche, giebt es nicht.
Ich kann die Politik durchaus nicht als getrennt von der Moral betrachten.
und erkläre mich hierin eines ganz altvüterischen Glaubens: Wenn jemals
der Tag erschiene, an welchem ich meines Irrthums inne würde, an welchem
wir klar würde, Moral und Politik wären ganz getrennte Gebiete, ich würde
keine Stunde mehr mich mit Politik lehrend oder lernend beschäftigen; ich
würde von dem Augenblicke an den Staat als eine Erfindung des Verder¬
bens für die Menschheit betrachten." So dachte und handelte Dahlmann
auch im Jahre 1848. Er war sich wohl bewußt, daß ein Aufgeben seiner
Grundsätze den Erfolg seiner Thätigkeit begünstigen würde; er kannte die
Wege, welche ihn zur Macht, seine nächsten politischen Zwecke zur Verwirk¬
lichung gebracht hätten. „Aber", pflegte er damals und später zu sagen, „ich
konnte doch nimmermehr mit Robert Blum zusammen ein Ministerium bil¬
den." Gewiß nicht, er hätte sich selbst aufgeben müssen, hätte seinen Halt und
seine Kraft. Alles was ihn befähigte, eine politische Rolle zu spielen, was
ihm den Glauben an seine Wirksamkeit verlieh und Vertrauen zu sich selbst
gab. verloren.

So verbrannte er denn, nachdem in Gotha und Berlin auch die letzten
Illusionen in Bezug auf Deutschlands Befreiung oder, was dasselbe ist, Eini¬
gung schwanden, die Schiffe der politisch-praktischen Thätigkeit und zog sich
"ach Bonn zurück, um fortan seiner akademischen Wirksamkeit zu leben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/141>, abgerufen am 23.07.2024.