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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ihm den. Aufenthalt in Leipzig nach Kräften zu schmücken. Mit den alten
Freunden, die ihm von Göttingen her geblieben/ mit den neuen, die er sich
besonders in Leipzig erworben, durfte Dahlmann wieder als reicher Mann
gelten. Der Plan, ihn für die Leipziger Universität zu gewinnen, scheiterte.
Auch die Vorlesungen, die Dahlmann als einfacher Docent in Leipzig zu hal¬
ten gedacht, kamen nicht zu Stande; die sächsische Negierung trug Bedenken,
die Anzeige der Vorlesungen im Lectionskatalog zuzulassen. Das setzte zwar die
kräftige Einsprache Gottfried Hermanns durch, aber noch andere Conflicte droh¬
ten, wie es scheint, und bestimmten Dahlmann zum Aufgeben seiner Absicht.
Er zog 1838 nach Jena, in literarijcher Muße lebend, bis ihn endlich im
Jahre 1842, von den Göttinger Sieben den letzten, ein Ruf nach Bonn der
akademischen Wirksamkeit zurückgab.

Die Jahre 1842 bis 1848 mochten wol als die glänzendsten und an
Fülle der Wirksamkeit und an äußern Anregungen reichsten seines Lebens gel¬
ten. Er traf hier in Brandes einen Freund seiner Jugend von der Kopen-
hagner Zeit her, in Arndt und Welcker durch die Gleichheit der Gesinnung
und die Aehnlichkeit der Schicksale eng verbundene Genossen. Die Zuhörer,
die allabendlich in unerhörter Zahl das größte Auditorium füllten, um seinen
Vorträgen zu lauschen, waren ebenso viele begeisterte Anhänger. Wol mochte
anfangs den Einen und Andern die Neugierde, der Wunsch, den berühmten
Mann kennen zu lernen und zu hören, locken. Wer einmal kam. kehrte immer
wieder zurück, gefesselt von der vollendeten, anmuthigen Form, in welcher
Dahlmann seine Gedanken auszuprägen verstand, hingerissen von der Macht
der Ueberzeugung, die aus jedem Worte sprach. Wer da die Entwicklung
theoretischer Lehrsätze zu hören erwartete, empfing mit der bewältigenden Kraft
des Glaubens vorgetragene Gebote, die unmittelbar das politische Gewissen
Grasen. Wer der Erzählung historischer Thatsachen entgegenharrte, vernahm
eindringliche Lehren und Warnungen, die erschütterten. Und doch blieb stets
das Recht der Wissenschaft gewahrt, die äußerliche Tendenz, die Absichtlichkeit
auf das strengste verbannt. Nicht die Studenten und gebildeten Männer von
Avril allein, ganz Deutschland durfte Dahlmann, besonders seit der Veröffent¬
lichung seiner Geschichte der englischen Revolution zu seinen Schülern rechnen.

Jahre 1843 hielt er zum ersten Mal Vorträge über diesen Gegenstand.
Hirzel, dem seit der ersten Begegnung von Leipzig her Dahlmann zu sehen
und zu sprechen stets wie uns Allen einen Festtag bereitete, war nach Bonn
zum Besuche gekommen, hatte sich glücklich im Ricsenauditorium noch ein
Plätzchen als Hospitant erobert und aus das tiefste ergriffen von der Gewalt
der Schilderung, von der Lebendigkeit der Darstellung auf dem Heimwege in
schüchternen Worten den Wunsch ausgesprochen, die Vorträge durch den Druck
dem. ganzen Volke zugänglich zu machen. Dahlmann hemmte seine Schritte,


G>nüzt'öde" I. 1861, 17

ihm den. Aufenthalt in Leipzig nach Kräften zu schmücken. Mit den alten
Freunden, die ihm von Göttingen her geblieben/ mit den neuen, die er sich
besonders in Leipzig erworben, durfte Dahlmann wieder als reicher Mann
gelten. Der Plan, ihn für die Leipziger Universität zu gewinnen, scheiterte.
Auch die Vorlesungen, die Dahlmann als einfacher Docent in Leipzig zu hal¬
ten gedacht, kamen nicht zu Stande; die sächsische Negierung trug Bedenken,
die Anzeige der Vorlesungen im Lectionskatalog zuzulassen. Das setzte zwar die
kräftige Einsprache Gottfried Hermanns durch, aber noch andere Conflicte droh¬
ten, wie es scheint, und bestimmten Dahlmann zum Aufgeben seiner Absicht.
Er zog 1838 nach Jena, in literarijcher Muße lebend, bis ihn endlich im
Jahre 1842, von den Göttinger Sieben den letzten, ein Ruf nach Bonn der
akademischen Wirksamkeit zurückgab.

Die Jahre 1842 bis 1848 mochten wol als die glänzendsten und an
Fülle der Wirksamkeit und an äußern Anregungen reichsten seines Lebens gel¬
ten. Er traf hier in Brandes einen Freund seiner Jugend von der Kopen-
hagner Zeit her, in Arndt und Welcker durch die Gleichheit der Gesinnung
und die Aehnlichkeit der Schicksale eng verbundene Genossen. Die Zuhörer,
die allabendlich in unerhörter Zahl das größte Auditorium füllten, um seinen
Vorträgen zu lauschen, waren ebenso viele begeisterte Anhänger. Wol mochte
anfangs den Einen und Andern die Neugierde, der Wunsch, den berühmten
Mann kennen zu lernen und zu hören, locken. Wer einmal kam. kehrte immer
wieder zurück, gefesselt von der vollendeten, anmuthigen Form, in welcher
Dahlmann seine Gedanken auszuprägen verstand, hingerissen von der Macht
der Ueberzeugung, die aus jedem Worte sprach. Wer da die Entwicklung
theoretischer Lehrsätze zu hören erwartete, empfing mit der bewältigenden Kraft
des Glaubens vorgetragene Gebote, die unmittelbar das politische Gewissen
Grasen. Wer der Erzählung historischer Thatsachen entgegenharrte, vernahm
eindringliche Lehren und Warnungen, die erschütterten. Und doch blieb stets
das Recht der Wissenschaft gewahrt, die äußerliche Tendenz, die Absichtlichkeit
auf das strengste verbannt. Nicht die Studenten und gebildeten Männer von
Avril allein, ganz Deutschland durfte Dahlmann, besonders seit der Veröffent¬
lichung seiner Geschichte der englischen Revolution zu seinen Schülern rechnen.

Jahre 1843 hielt er zum ersten Mal Vorträge über diesen Gegenstand.
Hirzel, dem seit der ersten Begegnung von Leipzig her Dahlmann zu sehen
und zu sprechen stets wie uns Allen einen Festtag bereitete, war nach Bonn
zum Besuche gekommen, hatte sich glücklich im Ricsenauditorium noch ein
Plätzchen als Hospitant erobert und aus das tiefste ergriffen von der Gewalt
der Schilderung, von der Lebendigkeit der Darstellung auf dem Heimwege in
schüchternen Worten den Wunsch ausgesprochen, die Vorträge durch den Druck
dem. ganzen Volke zugänglich zu machen. Dahlmann hemmte seine Schritte,


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[0139] ihm den. Aufenthalt in Leipzig nach Kräften zu schmücken. Mit den alten Freunden, die ihm von Göttingen her geblieben/ mit den neuen, die er sich besonders in Leipzig erworben, durfte Dahlmann wieder als reicher Mann gelten. Der Plan, ihn für die Leipziger Universität zu gewinnen, scheiterte. Auch die Vorlesungen, die Dahlmann als einfacher Docent in Leipzig zu hal¬ ten gedacht, kamen nicht zu Stande; die sächsische Negierung trug Bedenken, die Anzeige der Vorlesungen im Lectionskatalog zuzulassen. Das setzte zwar die kräftige Einsprache Gottfried Hermanns durch, aber noch andere Conflicte droh¬ ten, wie es scheint, und bestimmten Dahlmann zum Aufgeben seiner Absicht. Er zog 1838 nach Jena, in literarijcher Muße lebend, bis ihn endlich im Jahre 1842, von den Göttinger Sieben den letzten, ein Ruf nach Bonn der akademischen Wirksamkeit zurückgab. Die Jahre 1842 bis 1848 mochten wol als die glänzendsten und an Fülle der Wirksamkeit und an äußern Anregungen reichsten seines Lebens gel¬ ten. Er traf hier in Brandes einen Freund seiner Jugend von der Kopen- hagner Zeit her, in Arndt und Welcker durch die Gleichheit der Gesinnung und die Aehnlichkeit der Schicksale eng verbundene Genossen. Die Zuhörer, die allabendlich in unerhörter Zahl das größte Auditorium füllten, um seinen Vorträgen zu lauschen, waren ebenso viele begeisterte Anhänger. Wol mochte anfangs den Einen und Andern die Neugierde, der Wunsch, den berühmten Mann kennen zu lernen und zu hören, locken. Wer einmal kam. kehrte immer wieder zurück, gefesselt von der vollendeten, anmuthigen Form, in welcher Dahlmann seine Gedanken auszuprägen verstand, hingerissen von der Macht der Ueberzeugung, die aus jedem Worte sprach. Wer da die Entwicklung theoretischer Lehrsätze zu hören erwartete, empfing mit der bewältigenden Kraft des Glaubens vorgetragene Gebote, die unmittelbar das politische Gewissen Grasen. Wer der Erzählung historischer Thatsachen entgegenharrte, vernahm eindringliche Lehren und Warnungen, die erschütterten. Und doch blieb stets das Recht der Wissenschaft gewahrt, die äußerliche Tendenz, die Absichtlichkeit auf das strengste verbannt. Nicht die Studenten und gebildeten Männer von Avril allein, ganz Deutschland durfte Dahlmann, besonders seit der Veröffent¬ lichung seiner Geschichte der englischen Revolution zu seinen Schülern rechnen. Jahre 1843 hielt er zum ersten Mal Vorträge über diesen Gegenstand. Hirzel, dem seit der ersten Begegnung von Leipzig her Dahlmann zu sehen und zu sprechen stets wie uns Allen einen Festtag bereitete, war nach Bonn zum Besuche gekommen, hatte sich glücklich im Ricsenauditorium noch ein Plätzchen als Hospitant erobert und aus das tiefste ergriffen von der Gewalt der Schilderung, von der Lebendigkeit der Darstellung auf dem Heimwege in schüchternen Worten den Wunsch ausgesprochen, die Vorträge durch den Druck dem. ganzen Volke zugänglich zu machen. Dahlmann hemmte seine Schritte, G>nüzt'öde» I. 1861, 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/139>, abgerufen am 23.07.2024.