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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ist die strenge Folgerichtigkeit seines politischen Verhaltens, die seltene Treue
und Beharrlichkeit seiner Gesinnung. Nichts lag ihm seiner, als ein eigen¬
sinniges Beharren du seinen Meinungen, wie überhaupt die Geltung seiner
eigenen Persönlichkeit das letzte war. woran er dachte; wol aber hielt er un¬
verbrüchlich fest an den sittlichen Grundlagen des staatlichen Lebens und ließ
sich von dem offenen Bekenntniß des als wahr Erkannten durch keine Macht,
keine Verkettung der Verhältnisse oder wie sonst die Beschwichtigungsmittel
des mahnenden Gewissens heißen mögen, abbringen. Daher vermochte die
spätere Zeit, mochte sie auch seine Lebensstellung ändern, die Kreise seiner Wirk¬
samkeit erweitern oder verengern, in seinen Anschauungen keinen Wechsel her¬
vorzurufen, daher finden wir zwischen älteren und jüngeren Urtheilen, früheren
und späteren Aeußerungen niemals einen Widerspruch, stets und immer in den
Hauptdingen die vollkommenste Uebereinstimmung. Die Veröffentlichung seiner
Politik füllt zwar erst in tue dreißiger Jahre, noch näher liegt uns die Zeit
seiner hervorragendsten praktischen Thätigkeit als Staatsmann. Wenn wir
aber genauer forschen, so entdecken wir die Grundlinie seines politischen Glau¬
bens bereits in den ältesten politischen Schriften vorbereitet. Die Abhandlung:
.Ein Wort über Verfassung." in den ersten Heften der Kieler Blätter 1815
abgedruckt, offenbart uns schon Dahlmanns politisches Ideal, welches er nach¬
mals nur reicher entwickelt, breiter angelegt, aber niemals im Wesentlichen
verändert hat. Zu keiner Zeit verlüugncte er das Zeugniß, das er daselbst
zu Gunsten der englischen Verfassung abgelegt : "Das neuere Europa hat bei
aller Verschiedenheit seiner-einzelnen Völkerschaften einen gemeinsamen Grund¬
charakter, ist also ähnlicher Verfassungen sähig. ' Auch sind alle diejenigen,
welche überhaupt den Werth einer zweckmäßigen Gliederung des Staats aner¬
kennen, darin einig, daß in England die Grundlagen der Verfassung, zu wel¬
cher alle neu-europäischen Staaten streben, am reinsten ausgebildet und auf¬
bewahrt sind." Noch weniger hatte er Ursache, was er daselbst über die
Unzulänglichkeit bloßer Provinzialstände. über das Gefährliche der Staatsstreiche
'w. Finanzwesen oder wol gar über die Rechtsbeständigkeit der Schleswig-
Hvlsteinischcn Verfassung schrieb, in den spätern, auch nicht in den jüngsten
Tagen zurück zu nehmen.

Die Veröffentlichung der erwähnten Abhandlung in den Kieler Blättern,
die Theilnahme an der Redaction der letzteren bezeichnet den Anfang eines
Lebensabschnittes, den Dcihlmann stets seinen liebsten und freudigsten Er¬
innerungen anreihte. Ausgedehnt und segensreich war seine Wirksamkeit als
akademischer Lehrer. Wie nachmals in Bonn seine Vorlesungen über Politik
und deutsche Geschichte, so bildeten hier seine Vorträge über alte Geschichte
und Aristophanes den förmlichen Mittelpunkt der Universitätsstudien und üb¬
len die größte Anziehungskraft weit über die studentischen Kreise hinaus.


ist die strenge Folgerichtigkeit seines politischen Verhaltens, die seltene Treue
und Beharrlichkeit seiner Gesinnung. Nichts lag ihm seiner, als ein eigen¬
sinniges Beharren du seinen Meinungen, wie überhaupt die Geltung seiner
eigenen Persönlichkeit das letzte war. woran er dachte; wol aber hielt er un¬
verbrüchlich fest an den sittlichen Grundlagen des staatlichen Lebens und ließ
sich von dem offenen Bekenntniß des als wahr Erkannten durch keine Macht,
keine Verkettung der Verhältnisse oder wie sonst die Beschwichtigungsmittel
des mahnenden Gewissens heißen mögen, abbringen. Daher vermochte die
spätere Zeit, mochte sie auch seine Lebensstellung ändern, die Kreise seiner Wirk¬
samkeit erweitern oder verengern, in seinen Anschauungen keinen Wechsel her¬
vorzurufen, daher finden wir zwischen älteren und jüngeren Urtheilen, früheren
und späteren Aeußerungen niemals einen Widerspruch, stets und immer in den
Hauptdingen die vollkommenste Uebereinstimmung. Die Veröffentlichung seiner
Politik füllt zwar erst in tue dreißiger Jahre, noch näher liegt uns die Zeit
seiner hervorragendsten praktischen Thätigkeit als Staatsmann. Wenn wir
aber genauer forschen, so entdecken wir die Grundlinie seines politischen Glau¬
bens bereits in den ältesten politischen Schriften vorbereitet. Die Abhandlung:
.Ein Wort über Verfassung." in den ersten Heften der Kieler Blätter 1815
abgedruckt, offenbart uns schon Dahlmanns politisches Ideal, welches er nach¬
mals nur reicher entwickelt, breiter angelegt, aber niemals im Wesentlichen
verändert hat. Zu keiner Zeit verlüugncte er das Zeugniß, das er daselbst
zu Gunsten der englischen Verfassung abgelegt : „Das neuere Europa hat bei
aller Verschiedenheit seiner-einzelnen Völkerschaften einen gemeinsamen Grund¬
charakter, ist also ähnlicher Verfassungen sähig. ' Auch sind alle diejenigen,
welche überhaupt den Werth einer zweckmäßigen Gliederung des Staats aner¬
kennen, darin einig, daß in England die Grundlagen der Verfassung, zu wel¬
cher alle neu-europäischen Staaten streben, am reinsten ausgebildet und auf¬
bewahrt sind." Noch weniger hatte er Ursache, was er daselbst über die
Unzulänglichkeit bloßer Provinzialstände. über das Gefährliche der Staatsstreiche
'w. Finanzwesen oder wol gar über die Rechtsbeständigkeit der Schleswig-
Hvlsteinischcn Verfassung schrieb, in den spätern, auch nicht in den jüngsten
Tagen zurück zu nehmen.

Die Veröffentlichung der erwähnten Abhandlung in den Kieler Blättern,
die Theilnahme an der Redaction der letzteren bezeichnet den Anfang eines
Lebensabschnittes, den Dcihlmann stets seinen liebsten und freudigsten Er¬
innerungen anreihte. Ausgedehnt und segensreich war seine Wirksamkeit als
akademischer Lehrer. Wie nachmals in Bonn seine Vorlesungen über Politik
und deutsche Geschichte, so bildeten hier seine Vorträge über alte Geschichte
und Aristophanes den förmlichen Mittelpunkt der Universitätsstudien und üb¬
len die größte Anziehungskraft weit über die studentischen Kreise hinaus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/137>, abgerufen am 22.07.2024.