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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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die schönsten Ideale ihm zertrümmert werden. "Mir ist der gute Name mehr
werth, als ein wissenschaftliches Unternehmen," so schrieb Dahlmann an Stein,
als er seine Mitwirkung an Pertz' Monumenten auskündigte, weil im Direkto¬
rium auch Unterzeichner der Karlsbader Beschlüsse sich befanden und er darüber
von Stein getadelt wurde. Nicht in diesem einzelnen Falle allein lieh Dahl¬
mann seine Handlungsweise vom Gebote dn sittlichen Ehre leiten; immer und
überall, wo er aus seiner still bescheidenen Wirksamkeit hervortritt, in allen
epochemachenden Momenten seines Lebens bestimmt ihn der gleiche Grundsatz.
In Göttingen ruft er dem Dichter nach:


So hoch gestellt ist Niemand auf der Erde,
Daß ich mich selber neben ihm verachte.

und schreibt muthig den Protest gegen den königlichen Rechtsbrecher, und an
dem andern verhängnißvollen Tage seines politischen Lebens, am 4. Septem¬
ber 1348, ist es wieder die Ehre, die Ehre Deutschlands, die er in die Wag¬
schale wirst gegen die Verfasser des Malmöer Waffenstillstandes. Das mußte
freilich den Handwerkern der Politik, den Frivolen und Selbstsüchtigen, Allen,
die nur dem Augenblicke leben und nur die Vortheile berechnen, seltsam und
unbegreiflich dünken; wir fanden in dieser sittlichen Strenge nicht allein den
Schlüssel zum Verständniß seines Wirkens, sondern auch das Geheimniß der
Macht, die er ausübte, der scheuen Ehrfurcht, die er selbst seinen politischen
Gegnern einflößte.

Es läßt sich darüber streiten, ob auf dein Platze, wohin ihn das Schick¬
sal, der einstimmige Ruf seiner Landsleute gestellt, nicht ein anderer Cha¬
rakter Größeres geleistet; aus die Beurtheilung des persönlichen Wesens kann
der größere oder geringere Erfolg seines politischen Wirkens keinen Einfluß
üben, da vor Allem in der Wahl der Mittel und Wege ihn die strengsten
ethischen Rücksichten banden, und die blinde Energie der Leidenschaft, die Alles
durchsetzt, weil sie Alles benutzt, unvereinbar war mit seinem stolzen sittlichen
Muthe. Dahlmann stand wol mit seiner ganzen männlichen Kraft für seine po¬
litischen Ideale ein, aber die politische Wirksamkeit verbrauchte nicht die ganze
Kraft des Mannes, der, was häusig vergessen wurde und doch so wichtig ist
für Dahlmann's Verständniß, zur praktisch-politischen Thätigkeit erst in späterer
Zeit gegen seine Absicht herangedrängt wurde, ursprünglich für einen anderen
Beruf sich vorbereitete.

Das Bürgermeisterhaus in Wismar ist Dahlmann's Heimat. Ein eigen¬
thümlicher Zufall waltet darin, daß unsere beiden wackersten Kämpfer für deut¬
sches Recht und deutsche Freiheit, der alte Arndt wie Dahlmann. unter frem¬
der schwedischer Herrschaft ihre Jugend verlebten. Wer weiß, ob nicht grade
der Umstand, daß ihr Auge frei blieb von den Eindrücken der schlimmen
Reichsroirthschaft, ihre Zuversicht zum deutschen Wesen mit geboren hat und


die schönsten Ideale ihm zertrümmert werden. „Mir ist der gute Name mehr
werth, als ein wissenschaftliches Unternehmen," so schrieb Dahlmann an Stein,
als er seine Mitwirkung an Pertz' Monumenten auskündigte, weil im Direkto¬
rium auch Unterzeichner der Karlsbader Beschlüsse sich befanden und er darüber
von Stein getadelt wurde. Nicht in diesem einzelnen Falle allein lieh Dahl¬
mann seine Handlungsweise vom Gebote dn sittlichen Ehre leiten; immer und
überall, wo er aus seiner still bescheidenen Wirksamkeit hervortritt, in allen
epochemachenden Momenten seines Lebens bestimmt ihn der gleiche Grundsatz.
In Göttingen ruft er dem Dichter nach:


So hoch gestellt ist Niemand auf der Erde,
Daß ich mich selber neben ihm verachte.

und schreibt muthig den Protest gegen den königlichen Rechtsbrecher, und an
dem andern verhängnißvollen Tage seines politischen Lebens, am 4. Septem¬
ber 1348, ist es wieder die Ehre, die Ehre Deutschlands, die er in die Wag¬
schale wirst gegen die Verfasser des Malmöer Waffenstillstandes. Das mußte
freilich den Handwerkern der Politik, den Frivolen und Selbstsüchtigen, Allen,
die nur dem Augenblicke leben und nur die Vortheile berechnen, seltsam und
unbegreiflich dünken; wir fanden in dieser sittlichen Strenge nicht allein den
Schlüssel zum Verständniß seines Wirkens, sondern auch das Geheimniß der
Macht, die er ausübte, der scheuen Ehrfurcht, die er selbst seinen politischen
Gegnern einflößte.

Es läßt sich darüber streiten, ob auf dein Platze, wohin ihn das Schick¬
sal, der einstimmige Ruf seiner Landsleute gestellt, nicht ein anderer Cha¬
rakter Größeres geleistet; aus die Beurtheilung des persönlichen Wesens kann
der größere oder geringere Erfolg seines politischen Wirkens keinen Einfluß
üben, da vor Allem in der Wahl der Mittel und Wege ihn die strengsten
ethischen Rücksichten banden, und die blinde Energie der Leidenschaft, die Alles
durchsetzt, weil sie Alles benutzt, unvereinbar war mit seinem stolzen sittlichen
Muthe. Dahlmann stand wol mit seiner ganzen männlichen Kraft für seine po¬
litischen Ideale ein, aber die politische Wirksamkeit verbrauchte nicht die ganze
Kraft des Mannes, der, was häusig vergessen wurde und doch so wichtig ist
für Dahlmann's Verständniß, zur praktisch-politischen Thätigkeit erst in späterer
Zeit gegen seine Absicht herangedrängt wurde, ursprünglich für einen anderen
Beruf sich vorbereitete.

Das Bürgermeisterhaus in Wismar ist Dahlmann's Heimat. Ein eigen¬
thümlicher Zufall waltet darin, daß unsere beiden wackersten Kämpfer für deut¬
sches Recht und deutsche Freiheit, der alte Arndt wie Dahlmann. unter frem¬
der schwedischer Herrschaft ihre Jugend verlebten. Wer weiß, ob nicht grade
der Umstand, daß ihr Auge frei blieb von den Eindrücken der schlimmen
Reichsroirthschaft, ihre Zuversicht zum deutschen Wesen mit geboren hat und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/132>, abgerufen am 22.07.2024.