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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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zur beruhigenden Einsicht vor. Auch Graf Rechberg erinnerte in der NeichS-
rothssitzung von 11. d. M. an dasselbe Patent als Gewähr gegen die Rück¬
kehr des alten Systems. Diese "Palingenesis" scheint nun fast alles zu ver¬
künden, was man in höheren Kreisen als politische Nothwendigkeit ansteht,
freie Bewegung der Gemeinde in der Rechtssphäre ihres eigenen Haushalts,
Kreiscongregationen mit Beizug aller durch Besitz und Bildung hervorragen¬
den Kräfte, die ihr Mandat durch Majestätsbrief erhalten, administrative Land¬
tage mit Ausschluß der Politik, endlich als Krone des Baues den Staatsrath,
jenes historische Privy Council. welches "der Gedanke des Monarchen im Sta¬
dium der Erwägung" ist. also eben unsern verstärkten Reichsrath, ohne wei¬
tere Entwicklung versteht sich, da hiedurch schon der äußerste Schritt vorwärts
gethan ist. Politische Institutionen auf excentrisch gelegenen Punkten des
Reichs vergleicht der Verfasser mit mehreren Seelen in einem Körper; daran
gemahnt ihn namentlich der ehemalige ungarische Landtag. Die Broschüre
ist nur eine öffentliche und im Einzelnen ausgearbeitete Mittheilung jener frü¬
her im Manuscript wenigen Auserwühltcn anvertrauten Gedanken des Gra¬
fen Clam-Martinitz, zugleich das Programm, womit der östreichische Tory
künftig als Minister debütiren will. Seine jetzigen Freunde, die bei der Wieder¬
geburt des constitutionellen ungarischen Landtags Gevatter stehen möchten,
sollen ihn nur an das Ziel seiner Wünsche tragen.

Kein Zweifel, man wird die feudalen Stände zeitgemäß abändern, nicht
als ob das Kleid, worein sie sich hüllen, zu altfränkisch, sondern weil die Rechte,
die sie beanspruchen, nicht für unsern absoluten Einheitsstaat passen. Auch
eine starke und autonome Vertretung der geistigen und materiellen, Cultur-
und Wirthschaftsinteressen dürfte sich angesichts der tiefen Wurzeln, die sie in
den Boden der Gegenwart getrieben, in zu starkem Wuchse entwickeln. Man
will der Verwaltung bis auf ihre äußersten Ausläufer Herr bleiben, nicht ein
Jota der alten Herrschervorrechte aufgeben, nur der Mechanismus, nicht der
leitende Grundgedanke des absoluten Systems, soll geändert werden. Der
Vorwurf der schleppenden Geschäftsführung, der erregten Mißstimmung, der
übergroßen Kosten trifft nur die Maschine, die Bureaukratie, sie vereitelte die
bestgemeinten Absichten; wolan denn, man lasse die Leute walten im eigenen
Hause, dein Staat erübrigt noch das umfangreiche Gebiet der geistigen und
materiellen Wohlfahrtspflege, dadurch kehren Sparsamkeit, Vertrauen und
Liebe wieder. Wir vermissen hiebei nur den nothwendigsten Factor, die Opfer¬
willigkeit des Volks. In einer Zeit, wo Unzufriedenheit und Ueberdruh selbst
den Geduldigste" ergriffen, und aus leicht begreiflichen Gründen jeder das
letzte Heil nur in sich, seiner eigenen Kraft sucht, haben solche Entwürfe keinen
Boden, wehe uns, wenn sie zur Ausführung gedeihen, sie ist der Anfang der
Auflösung. Die Rettung kann freilich nur durch das Volk kommen, aber


zur beruhigenden Einsicht vor. Auch Graf Rechberg erinnerte in der NeichS-
rothssitzung von 11. d. M. an dasselbe Patent als Gewähr gegen die Rück¬
kehr des alten Systems. Diese „Palingenesis" scheint nun fast alles zu ver¬
künden, was man in höheren Kreisen als politische Nothwendigkeit ansteht,
freie Bewegung der Gemeinde in der Rechtssphäre ihres eigenen Haushalts,
Kreiscongregationen mit Beizug aller durch Besitz und Bildung hervorragen¬
den Kräfte, die ihr Mandat durch Majestätsbrief erhalten, administrative Land¬
tage mit Ausschluß der Politik, endlich als Krone des Baues den Staatsrath,
jenes historische Privy Council. welches „der Gedanke des Monarchen im Sta¬
dium der Erwägung" ist. also eben unsern verstärkten Reichsrath, ohne wei¬
tere Entwicklung versteht sich, da hiedurch schon der äußerste Schritt vorwärts
gethan ist. Politische Institutionen auf excentrisch gelegenen Punkten des
Reichs vergleicht der Verfasser mit mehreren Seelen in einem Körper; daran
gemahnt ihn namentlich der ehemalige ungarische Landtag. Die Broschüre
ist nur eine öffentliche und im Einzelnen ausgearbeitete Mittheilung jener frü¬
her im Manuscript wenigen Auserwühltcn anvertrauten Gedanken des Gra¬
fen Clam-Martinitz, zugleich das Programm, womit der östreichische Tory
künftig als Minister debütiren will. Seine jetzigen Freunde, die bei der Wieder¬
geburt des constitutionellen ungarischen Landtags Gevatter stehen möchten,
sollen ihn nur an das Ziel seiner Wünsche tragen.

Kein Zweifel, man wird die feudalen Stände zeitgemäß abändern, nicht
als ob das Kleid, worein sie sich hüllen, zu altfränkisch, sondern weil die Rechte,
die sie beanspruchen, nicht für unsern absoluten Einheitsstaat passen. Auch
eine starke und autonome Vertretung der geistigen und materiellen, Cultur-
und Wirthschaftsinteressen dürfte sich angesichts der tiefen Wurzeln, die sie in
den Boden der Gegenwart getrieben, in zu starkem Wuchse entwickeln. Man
will der Verwaltung bis auf ihre äußersten Ausläufer Herr bleiben, nicht ein
Jota der alten Herrschervorrechte aufgeben, nur der Mechanismus, nicht der
leitende Grundgedanke des absoluten Systems, soll geändert werden. Der
Vorwurf der schleppenden Geschäftsführung, der erregten Mißstimmung, der
übergroßen Kosten trifft nur die Maschine, die Bureaukratie, sie vereitelte die
bestgemeinten Absichten; wolan denn, man lasse die Leute walten im eigenen
Hause, dein Staat erübrigt noch das umfangreiche Gebiet der geistigen und
materiellen Wohlfahrtspflege, dadurch kehren Sparsamkeit, Vertrauen und
Liebe wieder. Wir vermissen hiebei nur den nothwendigsten Factor, die Opfer¬
willigkeit des Volks. In einer Zeit, wo Unzufriedenheit und Ueberdruh selbst
den Geduldigste» ergriffen, und aus leicht begreiflichen Gründen jeder das
letzte Heil nur in sich, seiner eigenen Kraft sucht, haben solche Entwürfe keinen
Boden, wehe uns, wenn sie zur Ausführung gedeihen, sie ist der Anfang der
Auflösung. Die Rettung kann freilich nur durch das Volk kommen, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/50>, abgerufen am 15.01.2025.