Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.bei der vordem von jeder Superintendenz eifersüchtig behaupteten Autonomie Die Verfassungsfrage in den deutsch-slavischen Ländern haben wir 59*
bei der vordem von jeder Superintendenz eifersüchtig behaupteten Autonomie Die Verfassungsfrage in den deutsch-slavischen Ländern haben wir 59*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110827"/> <p xml:id="ID_1441" prev="#ID_1440"> bei der vordem von jeder Superintendenz eifersüchtig behaupteten Autonomie<lb/> in der gesummten Kirche sehr verschieden gestaltet. Diese Verschiedenheit war<lb/> noch größer geworden, seitdem die ersten und bisher einzigen Generalsynoden<lb/> der beiden Bekenntnisse vom Jahre 1791 einen allgemeinen Verfassungsentwurf<lb/> für die gesummte Kirche ausgearbeitet hatten, aus dem im Lause der Jahre,<lb/> während welcher der Staat jenen Entwurf in unverantwortlicher Weise uner¬<lb/> ledigt ließ, manches auf thatsächlichem Wege in die bestehenden Kirchenord-<lb/> nungen überging. Als der Staat nach dem Frieden von Villafranca endlich<lb/> daran dachte, die 1791er Synodalcanones auf der Basis des bekannten 26.<lb/> Gesetzartikels des 1791er Landtages zu erledigen und am 1. Sept. vorigen<lb/> Jahres das verhängnißvolle Patent erließ, so hätte man vielleicht meinen<lb/> können, daß diese Kirchenordnung auch in Ungarn um so willkommner sein<lb/> würde, je zerrütteter die Verhältnisse der ungarisch-evangelischen Kirche in Folge<lb/> des berüchtigten Haynauschen Edictes vom 1». Februar 1850 waren. Allein<lb/> das Gegentheil von dem war der Fall. Das dem Staat durch die Noth der<lb/> Zeit mühsam abgerungene Patent kam zu spät! Unter dem Rufe nach Ein¬<lb/> berufung einer neuen Synode behufs autonomer Feststellung einer Kirchenver¬<lb/> fassung wurde dasselbe abgelehnt und zum Ausgangspunkte einer Bewegung<lb/> gemacht, welche alsbald auf das politische Feld überging, in dem Diplom<lb/> vom 20. October l. I. einigermaßen einen Abschluß erhielt, aber damit noch<lb/> lange nicht beendigt ist. So ist es geschehen, daß das kaiserliche Handschreiben<lb/> vom 15. Mai l. I. die oppositionellen Gemeinden von der Pflicht, das Patent<lb/> durchzuführen, einstweilen entband und daß es im weitern Verlause von der<lb/> Opposition thatsächlich außer Wirksamkeit gesetzt wurde, obwol es rechtlich<lb/> noch in Kraft besteht.' Auf solche Weise ist die kirchliche Verfassungsfrage in<lb/> Ungarn genau auf den Standpunkt vom Jahre 1791 zurückgedrängt. Die<lb/> Abhaltung von Generalsynoden, wenn sie überhaupt ernstlich beabsichtigt war,<lb/> ist durch die politischen Bestrebungen, welche das historische Recht vom Jahre<lb/> 1848 wieder herstellen wollen und in ihrer letzten Consequenz aus die Zer¬<lb/> trümmerung Oestreichs hinauslaufen, ganz bei Seite geschoben. — Das ist<lb/> eine ernste Lehre für den Staat, welcher während eines ganzen Jahrzehnts<lb/> nichts besseres zu thun hatte, als sein Heil in der Förderung der ultramon¬<lb/> tanen Interessen zu suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1442" next="#ID_1443"> Die Verfassungsfrage in den deutsch-slavischen Ländern haben wir<lb/> schon oben erwähnt. Je stiefmütterlicher die Evangelischen in diesen Ländern<lb/> von jeher behandelt worden sind, desto dringendere Pflicht wäre es für den<lb/> Staat, die in der Verfassung dieses Theiles der evangelischen Kirche bestehende<lb/> Unordnung durch einen folgerichtigen Ausbau der in den Einzelgemeinden<lb/> bereits vorhandenen „prcsbyteriaien Freiheiten" gründlich zu beseitigen und<lb/> nach Maßgabe der von den Gemeinden ausgesprochenen Wünsche und — wie wir</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 59*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
bei der vordem von jeder Superintendenz eifersüchtig behaupteten Autonomie
in der gesummten Kirche sehr verschieden gestaltet. Diese Verschiedenheit war
noch größer geworden, seitdem die ersten und bisher einzigen Generalsynoden
der beiden Bekenntnisse vom Jahre 1791 einen allgemeinen Verfassungsentwurf
für die gesummte Kirche ausgearbeitet hatten, aus dem im Lause der Jahre,
während welcher der Staat jenen Entwurf in unverantwortlicher Weise uner¬
ledigt ließ, manches auf thatsächlichem Wege in die bestehenden Kirchenord-
nungen überging. Als der Staat nach dem Frieden von Villafranca endlich
daran dachte, die 1791er Synodalcanones auf der Basis des bekannten 26.
Gesetzartikels des 1791er Landtages zu erledigen und am 1. Sept. vorigen
Jahres das verhängnißvolle Patent erließ, so hätte man vielleicht meinen
können, daß diese Kirchenordnung auch in Ungarn um so willkommner sein
würde, je zerrütteter die Verhältnisse der ungarisch-evangelischen Kirche in Folge
des berüchtigten Haynauschen Edictes vom 1». Februar 1850 waren. Allein
das Gegentheil von dem war der Fall. Das dem Staat durch die Noth der
Zeit mühsam abgerungene Patent kam zu spät! Unter dem Rufe nach Ein¬
berufung einer neuen Synode behufs autonomer Feststellung einer Kirchenver¬
fassung wurde dasselbe abgelehnt und zum Ausgangspunkte einer Bewegung
gemacht, welche alsbald auf das politische Feld überging, in dem Diplom
vom 20. October l. I. einigermaßen einen Abschluß erhielt, aber damit noch
lange nicht beendigt ist. So ist es geschehen, daß das kaiserliche Handschreiben
vom 15. Mai l. I. die oppositionellen Gemeinden von der Pflicht, das Patent
durchzuführen, einstweilen entband und daß es im weitern Verlause von der
Opposition thatsächlich außer Wirksamkeit gesetzt wurde, obwol es rechtlich
noch in Kraft besteht.' Auf solche Weise ist die kirchliche Verfassungsfrage in
Ungarn genau auf den Standpunkt vom Jahre 1791 zurückgedrängt. Die
Abhaltung von Generalsynoden, wenn sie überhaupt ernstlich beabsichtigt war,
ist durch die politischen Bestrebungen, welche das historische Recht vom Jahre
1848 wieder herstellen wollen und in ihrer letzten Consequenz aus die Zer¬
trümmerung Oestreichs hinauslaufen, ganz bei Seite geschoben. — Das ist
eine ernste Lehre für den Staat, welcher während eines ganzen Jahrzehnts
nichts besseres zu thun hatte, als sein Heil in der Förderung der ultramon¬
tanen Interessen zu suchen.
Die Verfassungsfrage in den deutsch-slavischen Ländern haben wir
schon oben erwähnt. Je stiefmütterlicher die Evangelischen in diesen Ländern
von jeher behandelt worden sind, desto dringendere Pflicht wäre es für den
Staat, die in der Verfassung dieses Theiles der evangelischen Kirche bestehende
Unordnung durch einen folgerichtigen Ausbau der in den Einzelgemeinden
bereits vorhandenen „prcsbyteriaien Freiheiten" gründlich zu beseitigen und
nach Maßgabe der von den Gemeinden ausgesprochenen Wünsche und — wie wir
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