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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Bei dieser Gelegenheit zeigte sich zum ersten Male eine Meinungsverschiedenheit
unter den Männern, welche damals die Politik Preußens bestimmten. Dar¬
über war man zwar vollkommen einig, daß es nicht im preußischen und deut¬
schen Interesse sein könne, schlechtweg für Oestreichs System in Italien ein-
zustehen, oder seine legitimistischen Ideen des Sturzes Napoleons und der
Rückführung Heinrichs V. zu begünstigen, aber die andere Seite der Frage:
ob es nicht geboten sei, bei dieser Gelegenheit der drohenden Suprematie
Frankreichs entgegenzutreten, fand nicht so übereinstimmende Beantwortung.
Von diplomatischer Seite ward geltend gemacht, daß Preußen unmöglich einen
solchen Kampf aufnehmen könne; ein gefahrvolles Uebergewicht einer großen
Militärmacht werde nur durch eine Koalition gebrochen, welche bei der Schlaff¬
heit Englands jetzt gegen Frankreich unmöglich sei, Preußen müsse mit letz¬
terem zusammen eine bewaffnete Vermittlung ausüben und diese dazu benutzen,
seine Stellung in Deutschland zu heben. Von.militärischer Seite ward da¬
gegen aller Nachdruck auf die Gefahr gelegt, welche aus einer entscheidenden
Niederlage Oestreichs und einem großen Siege Frankreichs für Deutschland
und Preußen erwachsen müsse. Der Regent sei berufen, die Führerschaft in
einem solchen nationalen Kampfe zu übernehmen, nicht um unhaltbare Zu¬
stände gewaltsam in Italien zu stützen, sondern um dem Uebergewicht Frank¬
reichs entgegenzutreten; durch solche Führung und die Opfer, welche sie er¬
heische, begründe er am besten seine Anwartschaft auf eine hervorragende
Stellung in Deutschland, ein kräftiges Auftreten Preußens werde das Mini¬
sterium Derby stärken und ermuthigen, Frankreich entgegenzutreten. Es ließ
sich für beide Ansichten viel sagen, jedenfalls mußte man aber eine bestimmte
wählen, entweder aufrichtig neutral oder entschieden kriegerisch sich zeigen.
Leider aber entschied man sich für keinen fest vorgezeichneten Weg, sondern
suchte fortwährend durch Compromisse beides zu vermitteln, wodurch die preu¬
ßische Politik unvermeidlich einen schwankenden Charakter annehmen mußte.
Indeß hatten die Ereignisse sich rasch gedrängt. Die östreichische Armee wich
allmälig zurück, die Aufstände in Toscana, Parma und Modena erweiterten
die französische Angriffslinie, die Schlacht von Magenta ward geschlagen,
gleichzeitig wurde das Andringen der Mittelstaaten, welche in ihren Rüstungen
über ihre finanziellen Kräfte gegangen waren und eine lange bewaffnete
Nichtactivität kaum ertragen konnten, immer schwerer abzuweisen, das Anlehen
von 40 Mill. Thlr. ward ausgegeben, die Kriegsbereitschaft in vollem Um¬
fange durchgeführt, die Mobilmachung immer bestimmter ins Auge gefaßt.

Die diplomatische Partei arbeitete der letztern nach Kräften entgegen in
der Voraussicht, daß durch dieselbe der militärische Geist das Uebergewicht
erhalten werde und man die einmal mobil gemachte Armee nicht ohne zu
schlagen nach Hause schicken könne; aber hier entschied der Einfluß des Regen-


Bei dieser Gelegenheit zeigte sich zum ersten Male eine Meinungsverschiedenheit
unter den Männern, welche damals die Politik Preußens bestimmten. Dar¬
über war man zwar vollkommen einig, daß es nicht im preußischen und deut¬
schen Interesse sein könne, schlechtweg für Oestreichs System in Italien ein-
zustehen, oder seine legitimistischen Ideen des Sturzes Napoleons und der
Rückführung Heinrichs V. zu begünstigen, aber die andere Seite der Frage:
ob es nicht geboten sei, bei dieser Gelegenheit der drohenden Suprematie
Frankreichs entgegenzutreten, fand nicht so übereinstimmende Beantwortung.
Von diplomatischer Seite ward geltend gemacht, daß Preußen unmöglich einen
solchen Kampf aufnehmen könne; ein gefahrvolles Uebergewicht einer großen
Militärmacht werde nur durch eine Koalition gebrochen, welche bei der Schlaff¬
heit Englands jetzt gegen Frankreich unmöglich sei, Preußen müsse mit letz¬
terem zusammen eine bewaffnete Vermittlung ausüben und diese dazu benutzen,
seine Stellung in Deutschland zu heben. Von.militärischer Seite ward da¬
gegen aller Nachdruck auf die Gefahr gelegt, welche aus einer entscheidenden
Niederlage Oestreichs und einem großen Siege Frankreichs für Deutschland
und Preußen erwachsen müsse. Der Regent sei berufen, die Führerschaft in
einem solchen nationalen Kampfe zu übernehmen, nicht um unhaltbare Zu¬
stände gewaltsam in Italien zu stützen, sondern um dem Uebergewicht Frank¬
reichs entgegenzutreten; durch solche Führung und die Opfer, welche sie er¬
heische, begründe er am besten seine Anwartschaft auf eine hervorragende
Stellung in Deutschland, ein kräftiges Auftreten Preußens werde das Mini¬
sterium Derby stärken und ermuthigen, Frankreich entgegenzutreten. Es ließ
sich für beide Ansichten viel sagen, jedenfalls mußte man aber eine bestimmte
wählen, entweder aufrichtig neutral oder entschieden kriegerisch sich zeigen.
Leider aber entschied man sich für keinen fest vorgezeichneten Weg, sondern
suchte fortwährend durch Compromisse beides zu vermitteln, wodurch die preu¬
ßische Politik unvermeidlich einen schwankenden Charakter annehmen mußte.
Indeß hatten die Ereignisse sich rasch gedrängt. Die östreichische Armee wich
allmälig zurück, die Aufstände in Toscana, Parma und Modena erweiterten
die französische Angriffslinie, die Schlacht von Magenta ward geschlagen,
gleichzeitig wurde das Andringen der Mittelstaaten, welche in ihren Rüstungen
über ihre finanziellen Kräfte gegangen waren und eine lange bewaffnete
Nichtactivität kaum ertragen konnten, immer schwerer abzuweisen, das Anlehen
von 40 Mill. Thlr. ward ausgegeben, die Kriegsbereitschaft in vollem Um¬
fange durchgeführt, die Mobilmachung immer bestimmter ins Auge gefaßt.

Die diplomatische Partei arbeitete der letztern nach Kräften entgegen in
der Voraussicht, daß durch dieselbe der militärische Geist das Uebergewicht
erhalten werde und man die einmal mobil gemachte Armee nicht ohne zu
schlagen nach Hause schicken könne; aber hier entschied der Einfluß des Regen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/440>, abgerufen am 15.01.2025.