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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Abgeordnete von Höchstbesteucrten, wobei natürlich nur directe Steuern, näm¬
lich Grund-, Gewerbe- und Klassensteuer in Betracht kamen, hinzugefügt.
Auf je tausend Seelen des Bezirks sollte ein Wähler kommen. Man glaubte
damit ein neues conservatives Element zu gewinnen, auch, so viel noch nöthig
erschien, dem Art. 14 der Bundesakte zu ensprechcn. Zugleich forderte man
für jeden Wähler neben völliger Unbescholtenheit auch Selbständigkeit; als
selbständig sollten aber diejenigen gelten, welche "als Ortsbürger oder Bei¬
sitzer einen eignen Haushalt führen und nicht in Kost und Lohn eines andern
stehen, sowie diejenigen, welche eine directe Steuer entrichten." Vor allen
Dingen aber wurde, um bei Wählern und Gewühlten die nöthige Einsicht
und Gemessenheit zu sichern, für beide ein dreißigjähriges Alter verlangt.
Die Wahl geschah durch directe öffentliche Abstimmung zu Protokoll.

Durch §. 1 dieses neuen Wahlgesetzes wurde das alte von 1831, sammt
den §§ 63, 66. 67, 68, 76 der Verfassungsurkunde von 1831 für aufgehoben
erklärt und zugleich bestimmt, daß das neue Gesetz gleich dem frühern ein
"Bestandtheil der Staatsverfassung" sein solle.

Bei der ersten Berathung des Gesetzes ergab sich zwar eine Meinungs¬
verschiedenheit über die Frage, ob ein Beurlaubter im Sinne des K 153
der Verfassung als anwesend oder abwesend (ans dem Landtage) zu betrachten
sei; allein Regierung und Stände kamen in der Auslegung überein, daß ein
solcher nicht zu den Anwesenden zu zählen sei, und so ward dos Gesetz unterm
5. April 1849 vom Landesherrn vollzogen und verkündigt, ohne daß irgend
ein Widerspruch erfolgte. Insbesondre hatten die bevorzugten Klassen, na¬
mentlich die ritterschaftlichen Vertreter, an dem Zustandekommen des Gesetzes
den wesentlichsten Antheil, indem nur durch sie die Dreiviertelmehrheit herbei¬
geführt wurde, da auf beiden Landtagen die demokratischen Bestandtheile der
Kammern wegen der Höchstbestcuerten :c. beharrlich gegen das Gesetz waren.
Namens der Standesherrn hatte der Graf von Jsenburg eine eigne Denk¬
schrift an die Ständeversammlung von 1848 zu 1849 gerichtet, worin er die
wiederholte Annahme des Gesetzes dringend empfahl. Auch im Uebrigen er¬
folgte keine Einsprache. Die Negierung ließ sofort neue Wahlen darnach aus¬
schreiben, und selbst Hassenpflug hat nach der von ihm bewirkten Auflösung
der Stände im Sommer 1850 Neuwahlen darnach vornehmen lassen. Auch
ist noch ganz kürzlich in der amtlichen Kasseler Zeitung von einer zweifellosen
Negiernngsfcdcr das Bekenntniß abgelegt worden, daß das fragliche Wahl¬
gesetz "auf verfassungsmäßigen Wege" und in "constitutioneller Weise" zu
Stande gekommen sei. Es kann Mithin nicht dem geringsten Zweifel unter-
liegen, daß jenes Gesetz in rcchtsgiltiger Welse erlassen worden ist, und daß
es als Bestandtheil der Landesverfassung nach ausdrücklicher Vorschrift des § 1
"nur aus dem in § 153 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Wege abgeän-


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Abgeordnete von Höchstbesteucrten, wobei natürlich nur directe Steuern, näm¬
lich Grund-, Gewerbe- und Klassensteuer in Betracht kamen, hinzugefügt.
Auf je tausend Seelen des Bezirks sollte ein Wähler kommen. Man glaubte
damit ein neues conservatives Element zu gewinnen, auch, so viel noch nöthig
erschien, dem Art. 14 der Bundesakte zu ensprechcn. Zugleich forderte man
für jeden Wähler neben völliger Unbescholtenheit auch Selbständigkeit; als
selbständig sollten aber diejenigen gelten, welche „als Ortsbürger oder Bei¬
sitzer einen eignen Haushalt führen und nicht in Kost und Lohn eines andern
stehen, sowie diejenigen, welche eine directe Steuer entrichten." Vor allen
Dingen aber wurde, um bei Wählern und Gewühlten die nöthige Einsicht
und Gemessenheit zu sichern, für beide ein dreißigjähriges Alter verlangt.
Die Wahl geschah durch directe öffentliche Abstimmung zu Protokoll.

Durch §. 1 dieses neuen Wahlgesetzes wurde das alte von 1831, sammt
den §§ 63, 66. 67, 68, 76 der Verfassungsurkunde von 1831 für aufgehoben
erklärt und zugleich bestimmt, daß das neue Gesetz gleich dem frühern ein
„Bestandtheil der Staatsverfassung" sein solle.

Bei der ersten Berathung des Gesetzes ergab sich zwar eine Meinungs¬
verschiedenheit über die Frage, ob ein Beurlaubter im Sinne des K 153
der Verfassung als anwesend oder abwesend (ans dem Landtage) zu betrachten
sei; allein Regierung und Stände kamen in der Auslegung überein, daß ein
solcher nicht zu den Anwesenden zu zählen sei, und so ward dos Gesetz unterm
5. April 1849 vom Landesherrn vollzogen und verkündigt, ohne daß irgend
ein Widerspruch erfolgte. Insbesondre hatten die bevorzugten Klassen, na¬
mentlich die ritterschaftlichen Vertreter, an dem Zustandekommen des Gesetzes
den wesentlichsten Antheil, indem nur durch sie die Dreiviertelmehrheit herbei¬
geführt wurde, da auf beiden Landtagen die demokratischen Bestandtheile der
Kammern wegen der Höchstbestcuerten :c. beharrlich gegen das Gesetz waren.
Namens der Standesherrn hatte der Graf von Jsenburg eine eigne Denk¬
schrift an die Ständeversammlung von 1848 zu 1849 gerichtet, worin er die
wiederholte Annahme des Gesetzes dringend empfahl. Auch im Uebrigen er¬
folgte keine Einsprache. Die Negierung ließ sofort neue Wahlen darnach aus¬
schreiben, und selbst Hassenpflug hat nach der von ihm bewirkten Auflösung
der Stände im Sommer 1850 Neuwahlen darnach vornehmen lassen. Auch
ist noch ganz kürzlich in der amtlichen Kasseler Zeitung von einer zweifellosen
Negiernngsfcdcr das Bekenntniß abgelegt worden, daß das fragliche Wahl¬
gesetz „auf verfassungsmäßigen Wege" und in „constitutioneller Weise" zu
Stande gekommen sei. Es kann Mithin nicht dem geringsten Zweifel unter-
liegen, daß jenes Gesetz in rcchtsgiltiger Welse erlassen worden ist, und daß
es als Bestandtheil der Landesverfassung nach ausdrücklicher Vorschrift des § 1
„nur aus dem in § 153 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Wege abgeän-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/375>, abgerufen am 15.01.2025.