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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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bewaffnete Abstimmung; und die Partei, die sich als die schwächere erkannte,
unterwarf sich, zahlte die Kasten und ließ die Reorganisation geschehen.

So etwas ist in Deutschland nicht möglich. Wir haben kein Bundes¬
militär, sondern wir haben 34 verschiedene Armeen, von denen jede eidlich
ihrem Kriegsherrn verpflichtet ist. Die Bundescentralgewalt, gleichviel wie
sie auch organisirt sein mag. hat nur dann die Gewalt, ihre Beschlüsse
zwangsweise durchzusetzen, wenn ihr militärisches Uebergewicht über die Reni¬
tenten entscheidend ist. Sie hat z. B. keine Zwangsmittel gegen Oestreich
oder Preußen, so lange einer von diesen beiden Staaten die Uebereinstimmung
zwischen Regierung, Heer und Volk erhält. Wenn die Olmützer Erfahrung
dagegen zu sprechen scheint, so muß man nicht vergessen, daß Preußen in die¬
ser Frage eine moralisch unmögliche Haltung einnahm: wenn man etwas zu¬
gleich will und nicht will, so zieht man natürlich den kürzeren. Trotzdem
erreichte man auch in Olmütz nichts weiter, als daß Preußen am Fortschritt ge¬
hindert wurde, den es ohnehin eigentlich nicht wollte; man erreichte aber
nicht, was man auf östreichischer Seite sehr stark wollte, eine wirkliche Reform
zum Nachtheil Preußens.

Wenn man also von der Constituirung einer neuen Bundescentralgewalt
spricht, so kann dieser Wunsch nur dann Sinn haben, wenn die neue Gewalt
Zwangsmittel besitzt, ihren Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Wir, d. h.
die Gothaische Partei, hielten die Herstellung einer solchen Centralgewalt für
unmöglich, solange Oestreich und Preußen sich -an derselben betheiligten. Wenn
beide Staaten über eine Frage einig sind, so bedarf es keiner Centralgewalt,
sind sie nicht einig, so geschieht eben nichts. Ohne also das bisher bestehende
völkerrechtliche Bundesverhältniß, d. h. die Verpflichtung, sich gegenseitig Bun¬
deshilfe zu leisten, irgendwie zu alteriren. wollten wir innerhalb desselben einen
engeren Bundesstaat, in welchem Preußen seine Unabhängigkeit so weit auf¬
gab, daß es seine Handlungen von der Beistimmung eines Fürstenraths und
eines Volksparlaments abhängig machte, die andern Staaten insoweit, als
sie die Führung der allgemeinen deutschen Geschäfte Preußen überließen. In
Bezug auf die innern Angelegenheiten sollte ihre Souveränetät unangetastet
bleiben. Dies war das Endresultat des ersten deutschen Parlaments, dies
war die Grundlage des Dreikönigbündnisses, dies ist in mehr oder minder
klaren Umrissen die Idee, welche dem Nationalverein vorschwebt. Gern geben
wir zu, daß die Durchführung eines solchen Entwurfs sehr vielen Schwierig¬
keiten unterliegt; nur das eine Zugeständnis; verlangen wir von unsern Geg¬
nern: gesetzt er wäre zu Stande gekommen, so war es möglich aus demselben
einen wirklich souveränen Bundesstaat zu entwickeln, d. h. einen Staat, des¬
sen Centralgewalt Zwangsmittel gegen die Renitenten besaß. -- Wir geben
zu. daß der Entwurf von den einzelnen Fürsten eine beträchtliche Resignation


bewaffnete Abstimmung; und die Partei, die sich als die schwächere erkannte,
unterwarf sich, zahlte die Kasten und ließ die Reorganisation geschehen.

So etwas ist in Deutschland nicht möglich. Wir haben kein Bundes¬
militär, sondern wir haben 34 verschiedene Armeen, von denen jede eidlich
ihrem Kriegsherrn verpflichtet ist. Die Bundescentralgewalt, gleichviel wie
sie auch organisirt sein mag. hat nur dann die Gewalt, ihre Beschlüsse
zwangsweise durchzusetzen, wenn ihr militärisches Uebergewicht über die Reni¬
tenten entscheidend ist. Sie hat z. B. keine Zwangsmittel gegen Oestreich
oder Preußen, so lange einer von diesen beiden Staaten die Uebereinstimmung
zwischen Regierung, Heer und Volk erhält. Wenn die Olmützer Erfahrung
dagegen zu sprechen scheint, so muß man nicht vergessen, daß Preußen in die¬
ser Frage eine moralisch unmögliche Haltung einnahm: wenn man etwas zu¬
gleich will und nicht will, so zieht man natürlich den kürzeren. Trotzdem
erreichte man auch in Olmütz nichts weiter, als daß Preußen am Fortschritt ge¬
hindert wurde, den es ohnehin eigentlich nicht wollte; man erreichte aber
nicht, was man auf östreichischer Seite sehr stark wollte, eine wirkliche Reform
zum Nachtheil Preußens.

Wenn man also von der Constituirung einer neuen Bundescentralgewalt
spricht, so kann dieser Wunsch nur dann Sinn haben, wenn die neue Gewalt
Zwangsmittel besitzt, ihren Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Wir, d. h.
die Gothaische Partei, hielten die Herstellung einer solchen Centralgewalt für
unmöglich, solange Oestreich und Preußen sich -an derselben betheiligten. Wenn
beide Staaten über eine Frage einig sind, so bedarf es keiner Centralgewalt,
sind sie nicht einig, so geschieht eben nichts. Ohne also das bisher bestehende
völkerrechtliche Bundesverhältniß, d. h. die Verpflichtung, sich gegenseitig Bun¬
deshilfe zu leisten, irgendwie zu alteriren. wollten wir innerhalb desselben einen
engeren Bundesstaat, in welchem Preußen seine Unabhängigkeit so weit auf¬
gab, daß es seine Handlungen von der Beistimmung eines Fürstenraths und
eines Volksparlaments abhängig machte, die andern Staaten insoweit, als
sie die Führung der allgemeinen deutschen Geschäfte Preußen überließen. In
Bezug auf die innern Angelegenheiten sollte ihre Souveränetät unangetastet
bleiben. Dies war das Endresultat des ersten deutschen Parlaments, dies
war die Grundlage des Dreikönigbündnisses, dies ist in mehr oder minder
klaren Umrissen die Idee, welche dem Nationalverein vorschwebt. Gern geben
wir zu, daß die Durchführung eines solchen Entwurfs sehr vielen Schwierig¬
keiten unterliegt; nur das eine Zugeständnis; verlangen wir von unsern Geg¬
nern: gesetzt er wäre zu Stande gekommen, so war es möglich aus demselben
einen wirklich souveränen Bundesstaat zu entwickeln, d. h. einen Staat, des¬
sen Centralgewalt Zwangsmittel gegen die Renitenten besaß. — Wir geben
zu. daß der Entwurf von den einzelnen Fürsten eine beträchtliche Resignation


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[0366] bewaffnete Abstimmung; und die Partei, die sich als die schwächere erkannte, unterwarf sich, zahlte die Kasten und ließ die Reorganisation geschehen. So etwas ist in Deutschland nicht möglich. Wir haben kein Bundes¬ militär, sondern wir haben 34 verschiedene Armeen, von denen jede eidlich ihrem Kriegsherrn verpflichtet ist. Die Bundescentralgewalt, gleichviel wie sie auch organisirt sein mag. hat nur dann die Gewalt, ihre Beschlüsse zwangsweise durchzusetzen, wenn ihr militärisches Uebergewicht über die Reni¬ tenten entscheidend ist. Sie hat z. B. keine Zwangsmittel gegen Oestreich oder Preußen, so lange einer von diesen beiden Staaten die Uebereinstimmung zwischen Regierung, Heer und Volk erhält. Wenn die Olmützer Erfahrung dagegen zu sprechen scheint, so muß man nicht vergessen, daß Preußen in die¬ ser Frage eine moralisch unmögliche Haltung einnahm: wenn man etwas zu¬ gleich will und nicht will, so zieht man natürlich den kürzeren. Trotzdem erreichte man auch in Olmütz nichts weiter, als daß Preußen am Fortschritt ge¬ hindert wurde, den es ohnehin eigentlich nicht wollte; man erreichte aber nicht, was man auf östreichischer Seite sehr stark wollte, eine wirkliche Reform zum Nachtheil Preußens. Wenn man also von der Constituirung einer neuen Bundescentralgewalt spricht, so kann dieser Wunsch nur dann Sinn haben, wenn die neue Gewalt Zwangsmittel besitzt, ihren Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Wir, d. h. die Gothaische Partei, hielten die Herstellung einer solchen Centralgewalt für unmöglich, solange Oestreich und Preußen sich -an derselben betheiligten. Wenn beide Staaten über eine Frage einig sind, so bedarf es keiner Centralgewalt, sind sie nicht einig, so geschieht eben nichts. Ohne also das bisher bestehende völkerrechtliche Bundesverhältniß, d. h. die Verpflichtung, sich gegenseitig Bun¬ deshilfe zu leisten, irgendwie zu alteriren. wollten wir innerhalb desselben einen engeren Bundesstaat, in welchem Preußen seine Unabhängigkeit so weit auf¬ gab, daß es seine Handlungen von der Beistimmung eines Fürstenraths und eines Volksparlaments abhängig machte, die andern Staaten insoweit, als sie die Führung der allgemeinen deutschen Geschäfte Preußen überließen. In Bezug auf die innern Angelegenheiten sollte ihre Souveränetät unangetastet bleiben. Dies war das Endresultat des ersten deutschen Parlaments, dies war die Grundlage des Dreikönigbündnisses, dies ist in mehr oder minder klaren Umrissen die Idee, welche dem Nationalverein vorschwebt. Gern geben wir zu, daß die Durchführung eines solchen Entwurfs sehr vielen Schwierig¬ keiten unterliegt; nur das eine Zugeständnis; verlangen wir von unsern Geg¬ nern: gesetzt er wäre zu Stande gekommen, so war es möglich aus demselben einen wirklich souveränen Bundesstaat zu entwickeln, d. h. einen Staat, des¬ sen Centralgewalt Zwangsmittel gegen die Renitenten besaß. — Wir geben zu. daß der Entwurf von den einzelnen Fürsten eine beträchtliche Resignation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/366>, abgerufen am 16.01.2025.