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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Das sächsische Wahlgesetz.

Als nach dem Fehlschlagen der auf die nationale Einigung gerichteten
Bestrebungen des deutschen Volkes die Reaction auch über die Verfassungen
der Einzelstaaten hereinbrach und niederriß, was die Jahre 1848 und 49 ge¬
baut hatte", da zeigte sich in manchen Staaten eine Gleichartigkeit der Be¬
völkerung gegen die verfassungsmäßigen Errungenschaften jener beiden Jahre,
welche in merkwürdigem Widerspruche zu der politischen Regsamkeit in der
diesen Jahren vorausgehenden Periode stand. Und doch lag dieser jedenfalls
nicht zu rechtfertigenden Gleichgiltigkeit zum Theil ein richtiges Gefühl zu
Grunde. Wenn man zurückging auf die Ursachen des Scheiterns der nationalen
Bestrebungen, so mühte man sich mit Beschämung sagen, daß diese zum guten
Theile auf die vormärzlichen liberalen Ständekannnern sich zurückführe" ließen.
Diese hatten dazu gedient, die politische Bildung lediglich auf Frage" "ach der Form
der einzelnen Staatsverfassungen zu beschränke", sie hatten die Aufmerksamkeit
des deutschen Volkes von seinen nationalen Aufgaben abgelenkt auf die unwesent¬
licheren Forderungen eines oft flachen Liberalismus, sie hatten jene politischen
Schlagwörter groß ziehen helfen, unter denen die nationale Sache verkümmerte.
Man fühlte klar, daß man das Mittel zum Zwecke gemacht hatte, und als
daher die Reaction jene liberalen Gesetze, die das Jahr 1848 so reichlich hervor¬
gebracht hatte. Stück für Stück zerriß, da machte wol mancher seinem Zorne
über diese Verletzungen des bisherigen Rechtszustandes in kräftigen Ausdrücken
Luft, aber eine besondre Wichtigkeit maß er der Sache nicht bei. Dazu kam
die tiefgehende Zersetzung der bisherigen Parteien. Die alten Liberalen der
frühern Ständekammern insbesondre waren in den Fragen der Verfassungs¬
politik von dem jüngern Geschlechte weit überholt worden; und die Verfassungs¬
politik war der Boden gewesen, auf dem sie gewachsen waren. Gegen die na¬
tionalen Frage" hatten sie sich zumeist mißtrauisch verhalten, und so auch auf
diesem Terrain nicht an Einfluß gewinnen to""e", was sie aus jenem verloren
hatten. So war es denn der Reaction leicht gemacht, ihren Triumph zu feiern;
und sie hielt ihn mit keckem Uebermuthe, bis ihr der November 1858 ein Halt
zurief.

Es charakterisiert die Lage in Deutschland, daß die Vorgänge in Preu-


Grenzliotm IV. 1860, 41
Das sächsische Wahlgesetz.

Als nach dem Fehlschlagen der auf die nationale Einigung gerichteten
Bestrebungen des deutschen Volkes die Reaction auch über die Verfassungen
der Einzelstaaten hereinbrach und niederriß, was die Jahre 1848 und 49 ge¬
baut hatte», da zeigte sich in manchen Staaten eine Gleichartigkeit der Be¬
völkerung gegen die verfassungsmäßigen Errungenschaften jener beiden Jahre,
welche in merkwürdigem Widerspruche zu der politischen Regsamkeit in der
diesen Jahren vorausgehenden Periode stand. Und doch lag dieser jedenfalls
nicht zu rechtfertigenden Gleichgiltigkeit zum Theil ein richtiges Gefühl zu
Grunde. Wenn man zurückging auf die Ursachen des Scheiterns der nationalen
Bestrebungen, so mühte man sich mit Beschämung sagen, daß diese zum guten
Theile auf die vormärzlichen liberalen Ständekannnern sich zurückführe» ließen.
Diese hatten dazu gedient, die politische Bildung lediglich auf Frage» »ach der Form
der einzelnen Staatsverfassungen zu beschränke», sie hatten die Aufmerksamkeit
des deutschen Volkes von seinen nationalen Aufgaben abgelenkt auf die unwesent¬
licheren Forderungen eines oft flachen Liberalismus, sie hatten jene politischen
Schlagwörter groß ziehen helfen, unter denen die nationale Sache verkümmerte.
Man fühlte klar, daß man das Mittel zum Zwecke gemacht hatte, und als
daher die Reaction jene liberalen Gesetze, die das Jahr 1848 so reichlich hervor¬
gebracht hatte. Stück für Stück zerriß, da machte wol mancher seinem Zorne
über diese Verletzungen des bisherigen Rechtszustandes in kräftigen Ausdrücken
Luft, aber eine besondre Wichtigkeit maß er der Sache nicht bei. Dazu kam
die tiefgehende Zersetzung der bisherigen Parteien. Die alten Liberalen der
frühern Ständekammern insbesondre waren in den Fragen der Verfassungs¬
politik von dem jüngern Geschlechte weit überholt worden; und die Verfassungs¬
politik war der Boden gewesen, auf dem sie gewachsen waren. Gegen die na¬
tionalen Frage» hatten sie sich zumeist mißtrauisch verhalten, und so auch auf
diesem Terrain nicht an Einfluß gewinnen to»»e», was sie aus jenem verloren
hatten. So war es denn der Reaction leicht gemacht, ihren Triumph zu feiern;
und sie hielt ihn mit keckem Uebermuthe, bis ihr der November 1858 ein Halt
zurief.

Es charakterisiert die Lage in Deutschland, daß die Vorgänge in Preu-


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[0333] Das sächsische Wahlgesetz. Als nach dem Fehlschlagen der auf die nationale Einigung gerichteten Bestrebungen des deutschen Volkes die Reaction auch über die Verfassungen der Einzelstaaten hereinbrach und niederriß, was die Jahre 1848 und 49 ge¬ baut hatte», da zeigte sich in manchen Staaten eine Gleichartigkeit der Be¬ völkerung gegen die verfassungsmäßigen Errungenschaften jener beiden Jahre, welche in merkwürdigem Widerspruche zu der politischen Regsamkeit in der diesen Jahren vorausgehenden Periode stand. Und doch lag dieser jedenfalls nicht zu rechtfertigenden Gleichgiltigkeit zum Theil ein richtiges Gefühl zu Grunde. Wenn man zurückging auf die Ursachen des Scheiterns der nationalen Bestrebungen, so mühte man sich mit Beschämung sagen, daß diese zum guten Theile auf die vormärzlichen liberalen Ständekannnern sich zurückführe» ließen. Diese hatten dazu gedient, die politische Bildung lediglich auf Frage» »ach der Form der einzelnen Staatsverfassungen zu beschränke», sie hatten die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes von seinen nationalen Aufgaben abgelenkt auf die unwesent¬ licheren Forderungen eines oft flachen Liberalismus, sie hatten jene politischen Schlagwörter groß ziehen helfen, unter denen die nationale Sache verkümmerte. Man fühlte klar, daß man das Mittel zum Zwecke gemacht hatte, und als daher die Reaction jene liberalen Gesetze, die das Jahr 1848 so reichlich hervor¬ gebracht hatte. Stück für Stück zerriß, da machte wol mancher seinem Zorne über diese Verletzungen des bisherigen Rechtszustandes in kräftigen Ausdrücken Luft, aber eine besondre Wichtigkeit maß er der Sache nicht bei. Dazu kam die tiefgehende Zersetzung der bisherigen Parteien. Die alten Liberalen der frühern Ständekammern insbesondre waren in den Fragen der Verfassungs¬ politik von dem jüngern Geschlechte weit überholt worden; und die Verfassungs¬ politik war der Boden gewesen, auf dem sie gewachsen waren. Gegen die na¬ tionalen Frage» hatten sie sich zumeist mißtrauisch verhalten, und so auch auf diesem Terrain nicht an Einfluß gewinnen to»»e», was sie aus jenem verloren hatten. So war es denn der Reaction leicht gemacht, ihren Triumph zu feiern; und sie hielt ihn mit keckem Uebermuthe, bis ihr der November 1858 ein Halt zurief. Es charakterisiert die Lage in Deutschland, daß die Vorgänge in Preu- Grenzliotm IV. 1860, 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/333>, abgerufen am 15.01.2025.