Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.mag Ihnen wol etwas gelingen. Ob dem Lande damit Schaden geschieht Hatte der Gutsbesitzer sich über die Verwaltung des Landes in Klagen "Es ist ein altes Gesetz", fuhr er fort, "wer nicht mit der Zeit geht, den "Wenn mich nicht Alles trügt", fuhr er in merkwürdiger Vorahnung der Mit großer Energie blies er aus seinem Cigarrenhalter den abgerauchtcn "Ich muß lachen", sagte er nach einer Weile, "wenn ich der hundert 40*
mag Ihnen wol etwas gelingen. Ob dem Lande damit Schaden geschieht Hatte der Gutsbesitzer sich über die Verwaltung des Landes in Klagen „Es ist ein altes Gesetz", fuhr er fort, „wer nicht mit der Zeit geht, den „Wenn mich nicht Alles trügt", fuhr er in merkwürdiger Vorahnung der Mit großer Energie blies er aus seinem Cigarrenhalter den abgerauchtcn „Ich muß lachen", sagte er nach einer Weile, „wenn ich der hundert 40*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110675"/> <p xml:id="ID_956" prev="#ID_955"> mag Ihnen wol etwas gelingen. Ob dem Lande damit Schaden geschieht<lb/> oder nicht, gilt den Herren gleichviel."</p><lb/> <p xml:id="ID_957"> Hatte der Gutsbesitzer sich über die Verwaltung des Landes in Klagen<lb/> ergangen, so schlug der Tourist, ein welterfahrener Mann, der durch die SteU<lb/> in»g seiner nächsten Verwandten Gelegenheit gehabt, Einblicke in das Trieb¬<lb/> werk der Staatsmaschine zu thun, einen Ton des Spottes an, der mich nicht<lb/> wenig überraschte. Mit der Gleichgiltigkeit, womit ein Professor der Anatomie<lb/> über einen vor ihm liegenden Cadaver spricht, ließ er sich in merkwürdiger<lb/> Offenheit über das zerrüttete Kaiserreich aus. „Mag es lieber heute als mor¬<lb/> gen in Stücke gehen!" sagte er. seine Cigarre ruhig dampfend; „nur aus sei¬<lb/> nen Trümmern wird neues Leben für uns erstes«, und auch Ihr Deutschland<lb/> wird dabei gut fahren. Sagen Sie selbst: kann dies Ministerium helfen?<lb/> will es helfen? kann irgend ein Ministerium helfen bei dein herrschenden,<lb/> tief eingewurzelten System? Ist mit diesem Reichstag etwas anderes gemeint,<lb/> als Menschen und Geld zu einem neuen Krieg, Wiedergewinn der Stellung<lb/> Habsburgs in Italien, Niederwerfung Sardiniens?"</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> „Es ist ein altes Gesetz", fuhr er fort, „wer nicht mit der Zeit geht, den<lb/> tritt sie unter ihre Füße. Der Absolutismus der Throne, wie auch der Kirche,<lb/> hat sich überlebt. Die Völker sind reif geworden, um ihre Angelegenheiten<lb/> mit zu berathen. Oestreich kann wirkliche constitutionelle Freiheit nicht ge¬<lb/> währen, weil es damit die Kraft der verschiedenen Nationalitäten, die seinem<lb/> Scepter unterworfen sind, entwickeln und so seine eigene Auflösung betreiben<lb/> würde. Es kann aber auch die Freiheit nicht verwehren; denn flügge Vögel<lb/> bleiben nicht mehr auf dem Neste."</p><lb/> <p xml:id="ID_959"> „Wenn mich nicht Alles trügt", fuhr er in merkwürdiger Vorahnung der<lb/> Dinge, die wir in diesen Tagen (Ende Oktober) erlebten, fort, „wenn mich<lb/> nicht Alles trügt, so wird unser Rechberg einen Mittelweg gehen: er wird<lb/> eine Scheinconstitution geben, einen Theatergeist der Freiheit, der plötzlich aus<lb/> dem Versen! nngsloche auf die Bühne steigt, um. wenn er seine Wirkung ge¬<lb/> than hat. wieder in die Nacht zu verschwinden."</p><lb/> <p xml:id="ID_960"> Mit großer Energie blies er aus seinem Cigarrenhalter den abgerauchtcn<lb/> Stummel über den Gartentisch, an dem wir saßen, und steckte gemüthsruhig<lb/> einen andern Glimmstengel hinein. „Wie sagt doch Shylock?" fuhr er fort.<lb/> „Er seh' sich vor mit seinem Schein!" — „Mit der Freiheit spielen ist heut zu<lb/> Tage gefährlich; das Bewußtsein der Nationen ist durch die Vorgänge in<lb/> Italien wunderbar geweckt, und nicht alle Völker lassen sich mehr einreden,<lb/> daß Fünf eine grade Zahl ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_961" next="#ID_962"> „Ich muß lachen", sagte er nach einer Weile, „wenn ich der hundert<lb/> Oestreicher gedenke, mit denen ich diesen Sommer über den Semmering nach<lb/> Italien reiste. Diese Schelme — es waren fast lauter wiener Kinder —</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 40*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0327]
mag Ihnen wol etwas gelingen. Ob dem Lande damit Schaden geschieht
oder nicht, gilt den Herren gleichviel."
Hatte der Gutsbesitzer sich über die Verwaltung des Landes in Klagen
ergangen, so schlug der Tourist, ein welterfahrener Mann, der durch die SteU
in»g seiner nächsten Verwandten Gelegenheit gehabt, Einblicke in das Trieb¬
werk der Staatsmaschine zu thun, einen Ton des Spottes an, der mich nicht
wenig überraschte. Mit der Gleichgiltigkeit, womit ein Professor der Anatomie
über einen vor ihm liegenden Cadaver spricht, ließ er sich in merkwürdiger
Offenheit über das zerrüttete Kaiserreich aus. „Mag es lieber heute als mor¬
gen in Stücke gehen!" sagte er. seine Cigarre ruhig dampfend; „nur aus sei¬
nen Trümmern wird neues Leben für uns erstes«, und auch Ihr Deutschland
wird dabei gut fahren. Sagen Sie selbst: kann dies Ministerium helfen?
will es helfen? kann irgend ein Ministerium helfen bei dein herrschenden,
tief eingewurzelten System? Ist mit diesem Reichstag etwas anderes gemeint,
als Menschen und Geld zu einem neuen Krieg, Wiedergewinn der Stellung
Habsburgs in Italien, Niederwerfung Sardiniens?"
„Es ist ein altes Gesetz", fuhr er fort, „wer nicht mit der Zeit geht, den
tritt sie unter ihre Füße. Der Absolutismus der Throne, wie auch der Kirche,
hat sich überlebt. Die Völker sind reif geworden, um ihre Angelegenheiten
mit zu berathen. Oestreich kann wirkliche constitutionelle Freiheit nicht ge¬
währen, weil es damit die Kraft der verschiedenen Nationalitäten, die seinem
Scepter unterworfen sind, entwickeln und so seine eigene Auflösung betreiben
würde. Es kann aber auch die Freiheit nicht verwehren; denn flügge Vögel
bleiben nicht mehr auf dem Neste."
„Wenn mich nicht Alles trügt", fuhr er in merkwürdiger Vorahnung der
Dinge, die wir in diesen Tagen (Ende Oktober) erlebten, fort, „wenn mich
nicht Alles trügt, so wird unser Rechberg einen Mittelweg gehen: er wird
eine Scheinconstitution geben, einen Theatergeist der Freiheit, der plötzlich aus
dem Versen! nngsloche auf die Bühne steigt, um. wenn er seine Wirkung ge¬
than hat. wieder in die Nacht zu verschwinden."
Mit großer Energie blies er aus seinem Cigarrenhalter den abgerauchtcn
Stummel über den Gartentisch, an dem wir saßen, und steckte gemüthsruhig
einen andern Glimmstengel hinein. „Wie sagt doch Shylock?" fuhr er fort.
„Er seh' sich vor mit seinem Schein!" — „Mit der Freiheit spielen ist heut zu
Tage gefährlich; das Bewußtsein der Nationen ist durch die Vorgänge in
Italien wunderbar geweckt, und nicht alle Völker lassen sich mehr einreden,
daß Fünf eine grade Zahl ist."
„Ich muß lachen", sagte er nach einer Weile, „wenn ich der hundert
Oestreicher gedenke, mit denen ich diesen Sommer über den Semmering nach
Italien reiste. Diese Schelme — es waren fast lauter wiener Kinder —
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