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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Der Stand der orientalischen Frage.

Daß die orientalische Frage mit dem pariser Frieden nicht gelöst wor¬
den, ist eine Wahrheit, die wol schon beim Abschluß jenes Vertrags Wenige
leugnen mochten. Wer absichtlich dagegen die Augen verschloß, mußte durch
das wiederholte Wetterleuchten des Alttürkenthums in Dschiddah und Stam-
bul, durch das laute Grollen des Hcllcnenvolks auf Kandia und den Mi¬
schen Inseln und durch das unablässige Zucken und Aufflackern der Slaven-
stännne von den schwarzen Bergen der Tschernagorzen durch Bosnien bis über
die Donau hinaus aufmerksam gemacht werden, daß die Luft hier noch mit
denselben Gewitterdünsten, der Boden mit denselben vulkanischen Gewalten
schwanger ist, die vor dem letzten Kriege dem Reiche des Sultans den Unter¬
gang drohten. Wer auch über diese Erscheinungen wieder Beruhigung fand,
den mußten die Ereignisse in Syrien und die gleichzeitig erfolgenden Anträge
Fürst Gortschakoffs wecken, welche letzteren eine Untersuchung der Zustände
unter den christlichen Unterthanen Abdulmedschids verlangten. Wessen Be¬
fürchtungen endlich durch die Maßregeln, welche auf jene Ereignisse und diese
Anträge hin getroffen wurden, beschwichtigt wären, der würde sich ebenfalls
schwerer Täuschung hingeben.

Es ist wahr, die Uebelthäter in Damaskus sind mit einer seit dem Re¬
gierungsantritt des jetzigen Sultans beispiellosen Energie, einer unerhörten
Rücksichtslosigkeit bestraft worden, und in Rumelien hat man den Grvßwessir
umherreisen lassen, um die verlangte Untersuchung vorzunehmen und die Mi߬
bräuche, über die geklagt wurde, abzustellen. Der Papst des Türkenthums ist,
wie immer, gegen die Forderungen der Mächte nachgiebiger gewesen, als der
Sultan des Ultramontanismus. Er hat nicht geantwortet! non poskmrm",
Aber das Resultat des guten Willens in Stambul wird ganz dasselbe sein,
wie das. welches in Rom und an andern italienischen Höfen der üble Wille
der Fürsten hatte: es wird bis auf. Weiteres im Wesentlichen beim Alten
bleiben. Hier wie dort sind es eben nicht die Personen mehr, welche die
Dinge, sondern die Dinge, welche die Personen beherrschen. Hier so wenig
wie dort ist noch mit bloßen Reformen zu helfen. Hier aus der illpnschen
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Der Stand der orientalischen Frage.

Daß die orientalische Frage mit dem pariser Frieden nicht gelöst wor¬
den, ist eine Wahrheit, die wol schon beim Abschluß jenes Vertrags Wenige
leugnen mochten. Wer absichtlich dagegen die Augen verschloß, mußte durch
das wiederholte Wetterleuchten des Alttürkenthums in Dschiddah und Stam-
bul, durch das laute Grollen des Hcllcnenvolks auf Kandia und den Mi¬
schen Inseln und durch das unablässige Zucken und Aufflackern der Slaven-
stännne von den schwarzen Bergen der Tschernagorzen durch Bosnien bis über
die Donau hinaus aufmerksam gemacht werden, daß die Luft hier noch mit
denselben Gewitterdünsten, der Boden mit denselben vulkanischen Gewalten
schwanger ist, die vor dem letzten Kriege dem Reiche des Sultans den Unter¬
gang drohten. Wer auch über diese Erscheinungen wieder Beruhigung fand,
den mußten die Ereignisse in Syrien und die gleichzeitig erfolgenden Anträge
Fürst Gortschakoffs wecken, welche letzteren eine Untersuchung der Zustände
unter den christlichen Unterthanen Abdulmedschids verlangten. Wessen Be¬
fürchtungen endlich durch die Maßregeln, welche auf jene Ereignisse und diese
Anträge hin getroffen wurden, beschwichtigt wären, der würde sich ebenfalls
schwerer Täuschung hingeben.

Es ist wahr, die Uebelthäter in Damaskus sind mit einer seit dem Re¬
gierungsantritt des jetzigen Sultans beispiellosen Energie, einer unerhörten
Rücksichtslosigkeit bestraft worden, und in Rumelien hat man den Grvßwessir
umherreisen lassen, um die verlangte Untersuchung vorzunehmen und die Mi߬
bräuche, über die geklagt wurde, abzustellen. Der Papst des Türkenthums ist,
wie immer, gegen die Forderungen der Mächte nachgiebiger gewesen, als der
Sultan des Ultramontanismus. Er hat nicht geantwortet! non poskmrm»,
Aber das Resultat des guten Willens in Stambul wird ganz dasselbe sein,
wie das. welches in Rom und an andern italienischen Höfen der üble Wille
der Fürsten hatte: es wird bis auf. Weiteres im Wesentlichen beim Alten
bleiben. Hier wie dort sind es eben nicht die Personen mehr, welche die
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[0293] Der Stand der orientalischen Frage. Daß die orientalische Frage mit dem pariser Frieden nicht gelöst wor¬ den, ist eine Wahrheit, die wol schon beim Abschluß jenes Vertrags Wenige leugnen mochten. Wer absichtlich dagegen die Augen verschloß, mußte durch das wiederholte Wetterleuchten des Alttürkenthums in Dschiddah und Stam- bul, durch das laute Grollen des Hcllcnenvolks auf Kandia und den Mi¬ schen Inseln und durch das unablässige Zucken und Aufflackern der Slaven- stännne von den schwarzen Bergen der Tschernagorzen durch Bosnien bis über die Donau hinaus aufmerksam gemacht werden, daß die Luft hier noch mit denselben Gewitterdünsten, der Boden mit denselben vulkanischen Gewalten schwanger ist, die vor dem letzten Kriege dem Reiche des Sultans den Unter¬ gang drohten. Wer auch über diese Erscheinungen wieder Beruhigung fand, den mußten die Ereignisse in Syrien und die gleichzeitig erfolgenden Anträge Fürst Gortschakoffs wecken, welche letzteren eine Untersuchung der Zustände unter den christlichen Unterthanen Abdulmedschids verlangten. Wessen Be¬ fürchtungen endlich durch die Maßregeln, welche auf jene Ereignisse und diese Anträge hin getroffen wurden, beschwichtigt wären, der würde sich ebenfalls schwerer Täuschung hingeben. Es ist wahr, die Uebelthäter in Damaskus sind mit einer seit dem Re¬ gierungsantritt des jetzigen Sultans beispiellosen Energie, einer unerhörten Rücksichtslosigkeit bestraft worden, und in Rumelien hat man den Grvßwessir umherreisen lassen, um die verlangte Untersuchung vorzunehmen und die Mi߬ bräuche, über die geklagt wurde, abzustellen. Der Papst des Türkenthums ist, wie immer, gegen die Forderungen der Mächte nachgiebiger gewesen, als der Sultan des Ultramontanismus. Er hat nicht geantwortet! non poskmrm», Aber das Resultat des guten Willens in Stambul wird ganz dasselbe sein, wie das. welches in Rom und an andern italienischen Höfen der üble Wille der Fürsten hatte: es wird bis auf. Weiteres im Wesentlichen beim Alten bleiben. Hier wie dort sind es eben nicht die Personen mehr, welche die Dinge, sondern die Dinge, welche die Personen beherrschen. Hier so wenig wie dort ist noch mit bloßen Reformen zu helfen. Hier aus der illpnschen ' GitNjiwlo» lo. i?vo, ' Zs>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/293>, abgerufen am 15.01.2025.