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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ein hehre.ckcnvollcr Kerker nicht fehlen. Die Costüme sind dem Mittelalter. wie
der Bauer sichs vorstellt, entnommen, und es bestehen dafür gewisse stereotype
Formen- Bösewichter und Tyrannen dürfen sich nur roth oder schwarz kleiden,
unschuldig Verfolgte nur in zartem Weiß oder Himmelblau umherwandeln,
Könige, und Prinzen schleppen sich mühselig mit schweren Hermelin- und Purpur-
münteln, gewaltigen Kronen. Federbüsche" und Ordenssternen herum, zu einem
Helden gehört vor Allem eine klappernde Blechrüstung.

Das Repertoire dieser Bühnen besteht aus älteren und neueren Stücken, von
denen die ersteren gewöhnlich besser als letztere sind. Die Stoffe jener älteren
Dramen sind den alten Volksbüchern entnommen, die mit aller Naivetät ihres
Ursprungs und mancher glücklichen Zuthat für die Zwecke der Bühne umgeschaffen
wurden. Sie sind es, die in ihren gesunden Grundgedanken dem Geschmack
und Gemüth des Bauer" am meisten zusagen. Dahin gehören die Geschichten
von der heiligen Genovefn. der Herzogin Hirlanda. der frommen Dulderin
Griseldis. dem armen Heinrich, dem edlen Möhringer und ähnlichen Helden
mittelalterlicher Poesie. Ihnen zur Seite standen die Sagen vom Kaiser Oc-
tavian und vom Doctor Faust, so wie die ältern schlichter gehaltnen Schau¬
spiele aus der Heiligenlegende.

Die durch die Jesuiten in Aufnahme gebrachte Heiligenkomödie im Ro¬
kokostil wollte nicht recht gefallen, da ihr frommer Schwulst den Landleuten
zum guten Theil unverständlich blieb. Dagegen fanden spätere Bauerndichtcr,
welche die Legenden einheimischer, beliebter Heiligen, z. B. der tirolischen Not-
burga, der frommen Magd zu Rottenburg, des Sanct Romcdius von Taur
mit seinem Bären, des kleinen Märtyrers Ander! von Rinn sür die Bühne be¬
arbeiteten, bessere Anerkennung, und so geschah es zugleich, daß das sich im
vorigen Jahrhundert einnistende Schäferspiel sehr bald vom Bauerntheatcr
wieder verdrängt wurde.

Nach Erschöpfung der alten Sagen- und Legcndenstoffe griffen die Dorf-
pocten zu den Ritterromanen der Fabriken von Spieß, Kramer und Delarosa.
und es wurden eine große Menge derselben in der Weise zu Dramen um-
gelchaffen. daß man durch Weglassung aller Verfänglichsten, aller Liebes- und
Verführungsgeschichten, die Romantik des Stoffs zu moralisiren suchte. Als
anch diese Quelle versiechte, waren die Bauerndichter cioe Zeit lang in Ver¬
legenheit, woher neues Material zu nehmen sei. Da erstand zu ihrer Rettung
Christoph Schmid mit seinen Erzählungen für die reifere Jugend. Man ver¬
wendete sehr bald seine Bücher für die Dorfbühne und dieselbe zieht uoch jetzt
aus diesen gesunden, einfachen Stoffe" den größten Theil ihrer Nahrung.

Die Dichter gehöre" fast ohne Ausnahme dem Landvolk an wie die
Schauspieler. Gewöhnlich werden die Autoren der Stücke zu Leitern der Auf¬
führung derselben berufen. An Honorar erhalte" sie im günstigsten Fall fünf


ein hehre.ckcnvollcr Kerker nicht fehlen. Die Costüme sind dem Mittelalter. wie
der Bauer sichs vorstellt, entnommen, und es bestehen dafür gewisse stereotype
Formen- Bösewichter und Tyrannen dürfen sich nur roth oder schwarz kleiden,
unschuldig Verfolgte nur in zartem Weiß oder Himmelblau umherwandeln,
Könige, und Prinzen schleppen sich mühselig mit schweren Hermelin- und Purpur-
münteln, gewaltigen Kronen. Federbüsche» und Ordenssternen herum, zu einem
Helden gehört vor Allem eine klappernde Blechrüstung.

Das Repertoire dieser Bühnen besteht aus älteren und neueren Stücken, von
denen die ersteren gewöhnlich besser als letztere sind. Die Stoffe jener älteren
Dramen sind den alten Volksbüchern entnommen, die mit aller Naivetät ihres
Ursprungs und mancher glücklichen Zuthat für die Zwecke der Bühne umgeschaffen
wurden. Sie sind es, die in ihren gesunden Grundgedanken dem Geschmack
und Gemüth des Bauer» am meisten zusagen. Dahin gehören die Geschichten
von der heiligen Genovefn. der Herzogin Hirlanda. der frommen Dulderin
Griseldis. dem armen Heinrich, dem edlen Möhringer und ähnlichen Helden
mittelalterlicher Poesie. Ihnen zur Seite standen die Sagen vom Kaiser Oc-
tavian und vom Doctor Faust, so wie die ältern schlichter gehaltnen Schau¬
spiele aus der Heiligenlegende.

Die durch die Jesuiten in Aufnahme gebrachte Heiligenkomödie im Ro¬
kokostil wollte nicht recht gefallen, da ihr frommer Schwulst den Landleuten
zum guten Theil unverständlich blieb. Dagegen fanden spätere Bauerndichtcr,
welche die Legenden einheimischer, beliebter Heiligen, z. B. der tirolischen Not-
burga, der frommen Magd zu Rottenburg, des Sanct Romcdius von Taur
mit seinem Bären, des kleinen Märtyrers Ander! von Rinn sür die Bühne be¬
arbeiteten, bessere Anerkennung, und so geschah es zugleich, daß das sich im
vorigen Jahrhundert einnistende Schäferspiel sehr bald vom Bauerntheatcr
wieder verdrängt wurde.

Nach Erschöpfung der alten Sagen- und Legcndenstoffe griffen die Dorf-
pocten zu den Ritterromanen der Fabriken von Spieß, Kramer und Delarosa.
und es wurden eine große Menge derselben in der Weise zu Dramen um-
gelchaffen. daß man durch Weglassung aller Verfänglichsten, aller Liebes- und
Verführungsgeschichten, die Romantik des Stoffs zu moralisiren suchte. Als
anch diese Quelle versiechte, waren die Bauerndichter cioe Zeit lang in Ver¬
legenheit, woher neues Material zu nehmen sei. Da erstand zu ihrer Rettung
Christoph Schmid mit seinen Erzählungen für die reifere Jugend. Man ver¬
wendete sehr bald seine Bücher für die Dorfbühne und dieselbe zieht uoch jetzt
aus diesen gesunden, einfachen Stoffe» den größten Theil ihrer Nahrung.

Die Dichter gehöre» fast ohne Ausnahme dem Landvolk an wie die
Schauspieler. Gewöhnlich werden die Autoren der Stücke zu Leitern der Auf¬
führung derselben berufen. An Honorar erhalte» sie im günstigsten Fall fünf


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[0280] ein hehre.ckcnvollcr Kerker nicht fehlen. Die Costüme sind dem Mittelalter. wie der Bauer sichs vorstellt, entnommen, und es bestehen dafür gewisse stereotype Formen- Bösewichter und Tyrannen dürfen sich nur roth oder schwarz kleiden, unschuldig Verfolgte nur in zartem Weiß oder Himmelblau umherwandeln, Könige, und Prinzen schleppen sich mühselig mit schweren Hermelin- und Purpur- münteln, gewaltigen Kronen. Federbüsche» und Ordenssternen herum, zu einem Helden gehört vor Allem eine klappernde Blechrüstung. Das Repertoire dieser Bühnen besteht aus älteren und neueren Stücken, von denen die ersteren gewöhnlich besser als letztere sind. Die Stoffe jener älteren Dramen sind den alten Volksbüchern entnommen, die mit aller Naivetät ihres Ursprungs und mancher glücklichen Zuthat für die Zwecke der Bühne umgeschaffen wurden. Sie sind es, die in ihren gesunden Grundgedanken dem Geschmack und Gemüth des Bauer» am meisten zusagen. Dahin gehören die Geschichten von der heiligen Genovefn. der Herzogin Hirlanda. der frommen Dulderin Griseldis. dem armen Heinrich, dem edlen Möhringer und ähnlichen Helden mittelalterlicher Poesie. Ihnen zur Seite standen die Sagen vom Kaiser Oc- tavian und vom Doctor Faust, so wie die ältern schlichter gehaltnen Schau¬ spiele aus der Heiligenlegende. Die durch die Jesuiten in Aufnahme gebrachte Heiligenkomödie im Ro¬ kokostil wollte nicht recht gefallen, da ihr frommer Schwulst den Landleuten zum guten Theil unverständlich blieb. Dagegen fanden spätere Bauerndichtcr, welche die Legenden einheimischer, beliebter Heiligen, z. B. der tirolischen Not- burga, der frommen Magd zu Rottenburg, des Sanct Romcdius von Taur mit seinem Bären, des kleinen Märtyrers Ander! von Rinn sür die Bühne be¬ arbeiteten, bessere Anerkennung, und so geschah es zugleich, daß das sich im vorigen Jahrhundert einnistende Schäferspiel sehr bald vom Bauerntheatcr wieder verdrängt wurde. Nach Erschöpfung der alten Sagen- und Legcndenstoffe griffen die Dorf- pocten zu den Ritterromanen der Fabriken von Spieß, Kramer und Delarosa. und es wurden eine große Menge derselben in der Weise zu Dramen um- gelchaffen. daß man durch Weglassung aller Verfänglichsten, aller Liebes- und Verführungsgeschichten, die Romantik des Stoffs zu moralisiren suchte. Als anch diese Quelle versiechte, waren die Bauerndichter cioe Zeit lang in Ver¬ legenheit, woher neues Material zu nehmen sei. Da erstand zu ihrer Rettung Christoph Schmid mit seinen Erzählungen für die reifere Jugend. Man ver¬ wendete sehr bald seine Bücher für die Dorfbühne und dieselbe zieht uoch jetzt aus diesen gesunden, einfachen Stoffe» den größten Theil ihrer Nahrung. Die Dichter gehöre» fast ohne Ausnahme dem Landvolk an wie die Schauspieler. Gewöhnlich werden die Autoren der Stücke zu Leitern der Auf¬ führung derselben berufen. An Honorar erhalte» sie im günstigsten Fall fünf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/280>, abgerufen am 15.01.2025.