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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Das Volk auf dein Lande und in den Kleinstädter ist schlicht und gerecht;
Es weiß wenig von der großen Welt und ihren Tücken, aber freilich auch
-- namentlich im Unterland -- manches andere nicht, was es wissen sollte.
Es fehlt ihm "meist jede Anmuth und der Neiz gewinnender Menschlichkeit".
"Unfreundlich und einmüthig. wie zu Aventins Zeiten sieht sich der Stamm
noch heutzutage an." (So Staub, der dies als Nachwirkung der vielen Kriege
erklärt, welche das Land verwüstet -- eine nicht sehr glückliche Vertheidigung.
Sachsen hat mindestens zehnmal so viele große Schlachtfelder aufzuweisen, als
Südbaycrn, und doch gilt der Sachse für den artigsten der Deutschen.) Die
Gabe der Rede ist selten; wer einen einfachen Rechtshändel halbwegs ver¬
ständlich darzustellen weiß, gilt schon für einen Sprecher. An Sinn für Ge¬
rechtigkeit mangelt es nicht; obwol man mitunter gern streitet, hört man doch
auf vernünftiges Zureden, doch scheinen die Beamten in den Kanzleien zur
Oeffnung etwaiger blöder Augen diesem milden Mittel häufiger als billig das
Brecheisen der Grobheit vorzuziehn. Wo der Bauer nicht geradezu und derb
sein kann, ist er schüchtern und unbehilflich; doch läßt er sich zwar sudeln und
hunzen. wenn es sein muß, aber er kriecht und heuchelt nicht. Schmeichler,
Schwätzer und Aufschneider kommen sehr sparsam vor. In Geldsachen ist der
bayerische Bauer anständig: er gibt zwar nicht gern, hebt aber auch nicht, wie
der Schweizer, nach jedem mühelosem Dienstchen bettelnd die Hand auf. Bereit¬
willig leistet er Hilfe bei Unglücksfällen der Nachbarn. Der häusliche Umgang
zeigt selten Zartsinn, das Alter genießt wenig Achtung, es "ist ja zu nichts
mehr nütze".

Daß das bayerische Volk einst nicht viel vom Kriege hielt, war damals,
in der Zeit der gemietheten Landsknechte, ein gutes Zeichen. Was es jetzt
nach Rom und Neapel lieferte, ist wol nur Kehricht der Städtebevölkerung.
An kriegerischer Tüchtigkeit fehlt es ihm nicht. Die Altbayern zeigten sich mit
Ehren auf manchem Schlachtfeld, und die jungen Bursche sind jetzt noch durch¬
weg gern "bei der Militär". Namentlich im Oberland gibt sich die Freude
am Soldatenhandwerk vielfach durch Veteranenvereine kund, die sich jährlich
eine Messe lesen lassen und dann ein fröhliches Mahl begehn am "Soldaten¬
tisch", über welchem in gläsernen Kästchen das Handwerkszeichen, eine in
Ammergau geschnitzte Gruppe von Hauptmann, Fahnenjunker, Tambour und
Gemeinen schwebt. Leider nur, daß die Sehnsucht nach kriegerischen Lorbeern
gelegentlich am unrechten Orte, im Heimathsdörfchen ausbricht und mit Schlag¬
ring und Messer blutige Striche durch diese grüne Idylle zieht. Ist anzuer¬
kennen, daß die Wirthshausraufereien an vielen Orten außer Gebrauch gekom¬
men sind und an allen abnehmen, so ist doch nicht zu leugnen, daß der Stamm,
oder vielmehr dessen Nachtseite zur Zeit noch einen Hang zu rohen und wil¬
den Verbrechen an den Tag legt.


Das Volk auf dein Lande und in den Kleinstädter ist schlicht und gerecht;
Es weiß wenig von der großen Welt und ihren Tücken, aber freilich auch
— namentlich im Unterland — manches andere nicht, was es wissen sollte.
Es fehlt ihm „meist jede Anmuth und der Neiz gewinnender Menschlichkeit".
„Unfreundlich und einmüthig. wie zu Aventins Zeiten sieht sich der Stamm
noch heutzutage an." (So Staub, der dies als Nachwirkung der vielen Kriege
erklärt, welche das Land verwüstet — eine nicht sehr glückliche Vertheidigung.
Sachsen hat mindestens zehnmal so viele große Schlachtfelder aufzuweisen, als
Südbaycrn, und doch gilt der Sachse für den artigsten der Deutschen.) Die
Gabe der Rede ist selten; wer einen einfachen Rechtshändel halbwegs ver¬
ständlich darzustellen weiß, gilt schon für einen Sprecher. An Sinn für Ge¬
rechtigkeit mangelt es nicht; obwol man mitunter gern streitet, hört man doch
auf vernünftiges Zureden, doch scheinen die Beamten in den Kanzleien zur
Oeffnung etwaiger blöder Augen diesem milden Mittel häufiger als billig das
Brecheisen der Grobheit vorzuziehn. Wo der Bauer nicht geradezu und derb
sein kann, ist er schüchtern und unbehilflich; doch läßt er sich zwar sudeln und
hunzen. wenn es sein muß, aber er kriecht und heuchelt nicht. Schmeichler,
Schwätzer und Aufschneider kommen sehr sparsam vor. In Geldsachen ist der
bayerische Bauer anständig: er gibt zwar nicht gern, hebt aber auch nicht, wie
der Schweizer, nach jedem mühelosem Dienstchen bettelnd die Hand auf. Bereit¬
willig leistet er Hilfe bei Unglücksfällen der Nachbarn. Der häusliche Umgang
zeigt selten Zartsinn, das Alter genießt wenig Achtung, es „ist ja zu nichts
mehr nütze".

Daß das bayerische Volk einst nicht viel vom Kriege hielt, war damals,
in der Zeit der gemietheten Landsknechte, ein gutes Zeichen. Was es jetzt
nach Rom und Neapel lieferte, ist wol nur Kehricht der Städtebevölkerung.
An kriegerischer Tüchtigkeit fehlt es ihm nicht. Die Altbayern zeigten sich mit
Ehren auf manchem Schlachtfeld, und die jungen Bursche sind jetzt noch durch¬
weg gern „bei der Militär". Namentlich im Oberland gibt sich die Freude
am Soldatenhandwerk vielfach durch Veteranenvereine kund, die sich jährlich
eine Messe lesen lassen und dann ein fröhliches Mahl begehn am „Soldaten¬
tisch", über welchem in gläsernen Kästchen das Handwerkszeichen, eine in
Ammergau geschnitzte Gruppe von Hauptmann, Fahnenjunker, Tambour und
Gemeinen schwebt. Leider nur, daß die Sehnsucht nach kriegerischen Lorbeern
gelegentlich am unrechten Orte, im Heimathsdörfchen ausbricht und mit Schlag¬
ring und Messer blutige Striche durch diese grüne Idylle zieht. Ist anzuer¬
kennen, daß die Wirthshausraufereien an vielen Orten außer Gebrauch gekom¬
men sind und an allen abnehmen, so ist doch nicht zu leugnen, daß der Stamm,
oder vielmehr dessen Nachtseite zur Zeit noch einen Hang zu rohen und wil¬
den Verbrechen an den Tag legt.


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[0196] Das Volk auf dein Lande und in den Kleinstädter ist schlicht und gerecht; Es weiß wenig von der großen Welt und ihren Tücken, aber freilich auch — namentlich im Unterland — manches andere nicht, was es wissen sollte. Es fehlt ihm „meist jede Anmuth und der Neiz gewinnender Menschlichkeit". „Unfreundlich und einmüthig. wie zu Aventins Zeiten sieht sich der Stamm noch heutzutage an." (So Staub, der dies als Nachwirkung der vielen Kriege erklärt, welche das Land verwüstet — eine nicht sehr glückliche Vertheidigung. Sachsen hat mindestens zehnmal so viele große Schlachtfelder aufzuweisen, als Südbaycrn, und doch gilt der Sachse für den artigsten der Deutschen.) Die Gabe der Rede ist selten; wer einen einfachen Rechtshändel halbwegs ver¬ ständlich darzustellen weiß, gilt schon für einen Sprecher. An Sinn für Ge¬ rechtigkeit mangelt es nicht; obwol man mitunter gern streitet, hört man doch auf vernünftiges Zureden, doch scheinen die Beamten in den Kanzleien zur Oeffnung etwaiger blöder Augen diesem milden Mittel häufiger als billig das Brecheisen der Grobheit vorzuziehn. Wo der Bauer nicht geradezu und derb sein kann, ist er schüchtern und unbehilflich; doch läßt er sich zwar sudeln und hunzen. wenn es sein muß, aber er kriecht und heuchelt nicht. Schmeichler, Schwätzer und Aufschneider kommen sehr sparsam vor. In Geldsachen ist der bayerische Bauer anständig: er gibt zwar nicht gern, hebt aber auch nicht, wie der Schweizer, nach jedem mühelosem Dienstchen bettelnd die Hand auf. Bereit¬ willig leistet er Hilfe bei Unglücksfällen der Nachbarn. Der häusliche Umgang zeigt selten Zartsinn, das Alter genießt wenig Achtung, es „ist ja zu nichts mehr nütze". Daß das bayerische Volk einst nicht viel vom Kriege hielt, war damals, in der Zeit der gemietheten Landsknechte, ein gutes Zeichen. Was es jetzt nach Rom und Neapel lieferte, ist wol nur Kehricht der Städtebevölkerung. An kriegerischer Tüchtigkeit fehlt es ihm nicht. Die Altbayern zeigten sich mit Ehren auf manchem Schlachtfeld, und die jungen Bursche sind jetzt noch durch¬ weg gern „bei der Militär". Namentlich im Oberland gibt sich die Freude am Soldatenhandwerk vielfach durch Veteranenvereine kund, die sich jährlich eine Messe lesen lassen und dann ein fröhliches Mahl begehn am „Soldaten¬ tisch", über welchem in gläsernen Kästchen das Handwerkszeichen, eine in Ammergau geschnitzte Gruppe von Hauptmann, Fahnenjunker, Tambour und Gemeinen schwebt. Leider nur, daß die Sehnsucht nach kriegerischen Lorbeern gelegentlich am unrechten Orte, im Heimathsdörfchen ausbricht und mit Schlag¬ ring und Messer blutige Striche durch diese grüne Idylle zieht. Ist anzuer¬ kennen, daß die Wirthshausraufereien an vielen Orten außer Gebrauch gekom¬ men sind und an allen abnehmen, so ist doch nicht zu leugnen, daß der Stamm, oder vielmehr dessen Nachtseite zur Zeit noch einen Hang zu rohen und wil¬ den Verbrechen an den Tag legt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/196>, abgerufen am 15.01.2025.