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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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den milesischen Zeugen reden, aus denen "och die spätern Römer sich kleidsame
Gewänder fertigen ließen, von den samischen und korinthischen Teppichen, von
den megarischen Mänteln oder dem amykläischen und sikyonischen Schuhwerk.
Selbst über das ehrsame Schneiderhandmerk in Athen sind uns Berichte zu¬
gekommen, sowie über die Bäcker von Athen, Samos und Cypern. Daß wir
über die wichtige Thätigkeit der Köche, unter denen die elischen und sicilischen
den ersten Nang einnahmen, genau unterrichtet sind, darf uns nicht Wunder
nehmen, da selbst Philosophen diese Kunst durch gastrologischc Schriften zu för¬
dern suchten. Die wissenschaftliche Kochkunst erhöhte das Selbstgefühl der aus¬
übenden Meister. Allein es bedarf dieser einzelnen Anführungen wenig. Von
einigen Handwerken, wie von dem der Steinmetzen, haben wir noch die sicher¬
sten Zeugnisse, bis zu welchem Grade der Vollkommenheit sie gediehen sein
müssen, in den bewunderten Bauwerken des griechischen Alterthums; andere
hingegen, wie etwa die Bereitung von Salben oder auch das ehrsame Barbier¬
handwerk können uns hier wenig interessiren. Jedenfalls leisteten auch sie in
ihrer Art Vorzügliches, und die Barbierläden waren obendrein wie die Werk¬
stätten mancher andern Banausen der Versammlungsort von Neugierigen, Fnul-
lcnzern und jungen Rvuüs aus vornehmen Familien, die hier über Tages¬
neuigkeiten plauderten, sich an der euromHUL se^na^Ieusö erbauten oder mit
Philosophen über die höchsten Probleme des Wissens oder der Moral dis-
putirten. Die Bedeutung dieser Läden oder Werkstätten als Leschen würden
mehr in einer Sittengeschichte des Alterthums am Platze sein.

Wie groß aber auch die Vorzüglichkeit der Erzeugnisse banauser Thätig¬
keit sein mochte, sie verschaffte den Schöpfern dieses Vorzüglichen, den Hand¬
werkern, nirgends höhere Achtung oder Geltung in der bürgerlichen Gesellschaft.
Etwas andres natürlich war es, sobald künstlerische Gestaltung an die Stelle
handwerksmäßiger Prod"all?n trat, obschon auch in diesem Falle, zumal wenn
die Kunst auf Erwerb ausging, bis in die letzten Zeiten des Griechenthums
zwischen Künstler und Banausen häusig nur ein geringer Unterschied gemacht
wurde. El" freier geachteter Handwerkerstand als solcher hat also unter den
Hellenen nie bestanden, wenn auch in Zeiten, wo das Bürgerthum entwerthet
war und die Noth zur Arbeit zwang, viele ^'genannte Bürger sich zu banau¬
ser Thätigkeit verstanden. Was zu den Zeiten des peloponnesischen Krieges
galt, das galt noch immer, das galt vielleicht erst recht kurz vor dem Ver¬
sinken Griechenlands in Pedanterie oder Barbarei. Wenn aber jemand sich
auf die Stelle in dem Evitaphios des Perikles berufen wollte, wo dieser große
Staatsmann sagt, daß in Athen nicht das Bekenntniß der Armuth für schimpf¬
lich gelte, wol aber, wenn man der Dürftigkeit durch Arbeit nicht zu entgehn
suche, so kann diese Berufung den sprechenden Thatsachen gegenüber nichts
beweisen, um so weniger da sie sich auf eine Leichenrede stützt. Daß mit einer


den milesischen Zeugen reden, aus denen »och die spätern Römer sich kleidsame
Gewänder fertigen ließen, von den samischen und korinthischen Teppichen, von
den megarischen Mänteln oder dem amykläischen und sikyonischen Schuhwerk.
Selbst über das ehrsame Schneiderhandmerk in Athen sind uns Berichte zu¬
gekommen, sowie über die Bäcker von Athen, Samos und Cypern. Daß wir
über die wichtige Thätigkeit der Köche, unter denen die elischen und sicilischen
den ersten Nang einnahmen, genau unterrichtet sind, darf uns nicht Wunder
nehmen, da selbst Philosophen diese Kunst durch gastrologischc Schriften zu för¬
dern suchten. Die wissenschaftliche Kochkunst erhöhte das Selbstgefühl der aus¬
übenden Meister. Allein es bedarf dieser einzelnen Anführungen wenig. Von
einigen Handwerken, wie von dem der Steinmetzen, haben wir noch die sicher¬
sten Zeugnisse, bis zu welchem Grade der Vollkommenheit sie gediehen sein
müssen, in den bewunderten Bauwerken des griechischen Alterthums; andere
hingegen, wie etwa die Bereitung von Salben oder auch das ehrsame Barbier¬
handwerk können uns hier wenig interessiren. Jedenfalls leisteten auch sie in
ihrer Art Vorzügliches, und die Barbierläden waren obendrein wie die Werk¬
stätten mancher andern Banausen der Versammlungsort von Neugierigen, Fnul-
lcnzern und jungen Rvuüs aus vornehmen Familien, die hier über Tages¬
neuigkeiten plauderten, sich an der euromHUL se^na^Ieusö erbauten oder mit
Philosophen über die höchsten Probleme des Wissens oder der Moral dis-
putirten. Die Bedeutung dieser Läden oder Werkstätten als Leschen würden
mehr in einer Sittengeschichte des Alterthums am Platze sein.

Wie groß aber auch die Vorzüglichkeit der Erzeugnisse banauser Thätig¬
keit sein mochte, sie verschaffte den Schöpfern dieses Vorzüglichen, den Hand¬
werkern, nirgends höhere Achtung oder Geltung in der bürgerlichen Gesellschaft.
Etwas andres natürlich war es, sobald künstlerische Gestaltung an die Stelle
handwerksmäßiger Prod»all?n trat, obschon auch in diesem Falle, zumal wenn
die Kunst auf Erwerb ausging, bis in die letzten Zeiten des Griechenthums
zwischen Künstler und Banausen häusig nur ein geringer Unterschied gemacht
wurde. El» freier geachteter Handwerkerstand als solcher hat also unter den
Hellenen nie bestanden, wenn auch in Zeiten, wo das Bürgerthum entwerthet
war und die Noth zur Arbeit zwang, viele ^'genannte Bürger sich zu banau¬
ser Thätigkeit verstanden. Was zu den Zeiten des peloponnesischen Krieges
galt, das galt noch immer, das galt vielleicht erst recht kurz vor dem Ver¬
sinken Griechenlands in Pedanterie oder Barbarei. Wenn aber jemand sich
auf die Stelle in dem Evitaphios des Perikles berufen wollte, wo dieser große
Staatsmann sagt, daß in Athen nicht das Bekenntniß der Armuth für schimpf¬
lich gelte, wol aber, wenn man der Dürftigkeit durch Arbeit nicht zu entgehn
suche, so kann diese Berufung den sprechenden Thatsachen gegenüber nichts
beweisen, um so weniger da sie sich auf eine Leichenrede stützt. Daß mit einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/112>, abgerufen am 15.01.2025.