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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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die vor ihrem Erdloch lauernde gewaltige Vogelspinne. In Schaaren kriecht
an den Stämmen der Barrigudos der prachtvolle Buprestis, der König der
metallisch glänzenden Käfer umher. Seine grünlichrothen Flügel, die ein dicker
Goldstaub bedeckt, werden von ihm selten gebraucht, er gehört nicht zu den
leichten Truppen dieser Käferarmee, das Fliegen wird dem erzumpanzerten
Hopliten in der Hitze herzlich sauer.

Alle diese ungeheuerlichen Jnsectenformen kann man an einem Tage, oft
mit einem einzigen Blick übersehen. Und die Nacht bleibt hinter dem Tage nicht
zurück. Reisen wir in den Abend hinein, so treiben, nachdem die Schwärme
von Sphinxen sich verzogen haben, oder nur, noch am schnurrenden Flug um
Blüthenbüschel zu erkennen sind, tausende von Leuchtkäfern ihr Wesen in den
Büschen, vor allem wo die Ausdünstung von Bächen und sumpfigem Erdreich
ihre Lampen nährt. Besonders auffallend sind die Elateren mit ihrem schnell
dahin fahrenden starken Lichtglanz; mannigfacher Wechsel von grünem, rothem,
gelbem und weißem Feuer verräth ebenso viele Species dieser Miniaturkometen
des Urwaldes.

Im schroffsten Gegensatz zu dieser prunkvollen Natur, die wir nur in einigen
Hauptformen andeuten, viel seltsamer als Pflanze und Thier, tritt uns in diesen
Gebieten des Mucuristroms der Urwaldsmensch entgegen, so seltsam und
eigenthümlich, wie wir in Brasilien nicht leicht etwas vor Augen bekommen.
Vergebens hat man versucht, die Bvtot'uden, die früher bis zur Meeresküste
hinab wohnten und hier aus einem Gebiet von zwanzig Breitegraden der herr¬
schende Stamm waren, für die Civilisation zu gewinnen. Sie zogen sich, um
ihre wilden Gewohnheiten zu behaupten, weiter nach Westen zurück, und Hausen
noch jetzt in den Wäldern zwischen den Niederlassungen von Santa Clara und
Philadelphia in vollkommen wildem Zustande. Ihre Horden werden von Kaziken
geführt, die sich von den fremden Kolonisten, mit denen sie auf gutem Fuß
stehen, gern "Capitano" nennen hören. Sie leben hauptsächlich von der Jagd,
treiben indeß auch ein wenig Ackerbau, indem sie Bananen und Patäken bauen.
Auf der Jagd errichten sie sich in niedrigen Hütten aus Heliconienblättern tem¬
poräre Zufluchtsorte für die Nacht. Wo sie Pflanzungen anlegen, werden etwas
bessere Häuser aus rohem Holzwerk mit Lehmbewurf und einem Rinden- oder
Blätterdach gebaut. Ihre Waffen sind Bogen und Pfeile, unter ihrem Haus-
geräth sigurirt die Spindel. Ihre Tracht ist das einfache Kleid Adams vor
dem Sündenfall. Eigenthümlich ist ihre Farbe, ein krankhaftes Hellgelb, was
bei der Nacktheit der Leute einen widerlichen Eindruck wie Bleichsucht macht.
Noch auffallender ist in der Regel (wenigstens in der Gegend von Philadelphia)
ihr Bau. Mit ihren dünnen Schenkeln und Waden, ihren dünnen, in lange
magere Hände endigenden Unterarmen und ihrem im Verhältniß zu den Ex¬
tremitäten großen Rumpf, ihrem dicken Bauch muß man sie als Bauchmenschen


die vor ihrem Erdloch lauernde gewaltige Vogelspinne. In Schaaren kriecht
an den Stämmen der Barrigudos der prachtvolle Buprestis, der König der
metallisch glänzenden Käfer umher. Seine grünlichrothen Flügel, die ein dicker
Goldstaub bedeckt, werden von ihm selten gebraucht, er gehört nicht zu den
leichten Truppen dieser Käferarmee, das Fliegen wird dem erzumpanzerten
Hopliten in der Hitze herzlich sauer.

Alle diese ungeheuerlichen Jnsectenformen kann man an einem Tage, oft
mit einem einzigen Blick übersehen. Und die Nacht bleibt hinter dem Tage nicht
zurück. Reisen wir in den Abend hinein, so treiben, nachdem die Schwärme
von Sphinxen sich verzogen haben, oder nur, noch am schnurrenden Flug um
Blüthenbüschel zu erkennen sind, tausende von Leuchtkäfern ihr Wesen in den
Büschen, vor allem wo die Ausdünstung von Bächen und sumpfigem Erdreich
ihre Lampen nährt. Besonders auffallend sind die Elateren mit ihrem schnell
dahin fahrenden starken Lichtglanz; mannigfacher Wechsel von grünem, rothem,
gelbem und weißem Feuer verräth ebenso viele Species dieser Miniaturkometen
des Urwaldes.

Im schroffsten Gegensatz zu dieser prunkvollen Natur, die wir nur in einigen
Hauptformen andeuten, viel seltsamer als Pflanze und Thier, tritt uns in diesen
Gebieten des Mucuristroms der Urwaldsmensch entgegen, so seltsam und
eigenthümlich, wie wir in Brasilien nicht leicht etwas vor Augen bekommen.
Vergebens hat man versucht, die Bvtot'uden, die früher bis zur Meeresküste
hinab wohnten und hier aus einem Gebiet von zwanzig Breitegraden der herr¬
schende Stamm waren, für die Civilisation zu gewinnen. Sie zogen sich, um
ihre wilden Gewohnheiten zu behaupten, weiter nach Westen zurück, und Hausen
noch jetzt in den Wäldern zwischen den Niederlassungen von Santa Clara und
Philadelphia in vollkommen wildem Zustande. Ihre Horden werden von Kaziken
geführt, die sich von den fremden Kolonisten, mit denen sie auf gutem Fuß
stehen, gern „Capitano" nennen hören. Sie leben hauptsächlich von der Jagd,
treiben indeß auch ein wenig Ackerbau, indem sie Bananen und Patäken bauen.
Auf der Jagd errichten sie sich in niedrigen Hütten aus Heliconienblättern tem¬
poräre Zufluchtsorte für die Nacht. Wo sie Pflanzungen anlegen, werden etwas
bessere Häuser aus rohem Holzwerk mit Lehmbewurf und einem Rinden- oder
Blätterdach gebaut. Ihre Waffen sind Bogen und Pfeile, unter ihrem Haus-
geräth sigurirt die Spindel. Ihre Tracht ist das einfache Kleid Adams vor
dem Sündenfall. Eigenthümlich ist ihre Farbe, ein krankhaftes Hellgelb, was
bei der Nacktheit der Leute einen widerlichen Eindruck wie Bleichsucht macht.
Noch auffallender ist in der Regel (wenigstens in der Gegend von Philadelphia)
ihr Bau. Mit ihren dünnen Schenkeln und Waden, ihren dünnen, in lange
magere Hände endigenden Unterarmen und ihrem im Verhältniß zu den Ex¬
tremitäten großen Rumpf, ihrem dicken Bauch muß man sie als Bauchmenschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/74>, abgerufen am 24.07.2024.