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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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seine Konvulsionen verfiel, wandelte ihm eine Art von Furcht an. Als aber
der Prophet begann: "es steigt ein Gnadenvrünnlein aus dem Centrum, da
die Liebe ruht (Centrum statt Centro): -- "so war alle meine Furcht da¬
hin und ich sah, daß ich es mit einem elenden Stümper zu thun hatte, der
kaum werth war, daß ihm ein Donatschüler geschweige ein Gelehrter zu¬
hörte. So wenig braucht Gott die falsche Weisheit zu Schanden zu machen,
wenn der Mensch seiner Vernunft Gehör geben will."

"Sobald die Aussprache geendigt war, wurde das Lied angestimmt:
Zion fahre fort in Licht. In demselben stand unter andern folgender be-
denklicher Vers:

Diesen Vers sang ich dem Propheten ins Angesicht mit einer solchen
Freudigkeit und durchdringendem Ton, daß er dasaß wie einer, der keine
Widerrede im Munde hat. und die ganze Gemeinde konnte wol merken, daß
was Sonderbares und Ungewöhnliches in nur vorgehn mußte. In der That
war es nicht anders, als wenn mir diese Worte vom Himmel zur Bestärkung
meines angefangenen Durchbruchs zugesprochen waren."

Am Ostersonntag 1738 begab er sich in die allgemeine Versammlung
und erklärte, daß sie von einem falschen Geist betrogen wären. Er wurde
ausgestoßen und der Prophet erklärte in einer neuen Ansprache: Edelmann
werde in Kurzem nackt und bloß aus Berleburg fort müssen.

Die Jnspirirtcn hatten sich bisher an seine weltliche Kleidung gestoßen.
Um ihnen nun zu zeigen, daß er sich wol selbst verleugnen könne, zog er
nicht blos einen schlechten Kittel an. sondern trieb die Verwegenheit so weit,
die Perücke abzuwerfen und Haar und Bart wachsen zu lassen, um Christus
ähnlich zu werden, der auch keine Perücke getragen. Da er nun ganz ohne
Mittel war, legte er sich auf ein Handwerk, lernte das Bordenwirken, las
mit seinem Lehrmeister eifrig die Bibel und sing an namentlich Sonntags
über Berg und Thal spazieren zu gehn und Gott in der Natur zu betrachten.
Er hatte sich jetzt wirklich aus der dumpfen Kerkerluft der Sekten unter den
freien Himmel gerettet. Auch den Teufel wurde er los. da er zufällig den
Spruch: 2. Petri 1. 19 aufschlug und darin fand, daß der Lucifer in unserm
Herzen aufgehn müßte, wenn es Tag darin werden sollte. Es fiel ihm ein,
daß Lucifer der Lichtbringer heißt und daher keinen bösen Geist bedeuten
könne.


Grenzboten III. 1800. VO

seine Konvulsionen verfiel, wandelte ihm eine Art von Furcht an. Als aber
der Prophet begann: „es steigt ein Gnadenvrünnlein aus dem Centrum, da
die Liebe ruht (Centrum statt Centro): — „so war alle meine Furcht da¬
hin und ich sah, daß ich es mit einem elenden Stümper zu thun hatte, der
kaum werth war, daß ihm ein Donatschüler geschweige ein Gelehrter zu¬
hörte. So wenig braucht Gott die falsche Weisheit zu Schanden zu machen,
wenn der Mensch seiner Vernunft Gehör geben will."

„Sobald die Aussprache geendigt war, wurde das Lied angestimmt:
Zion fahre fort in Licht. In demselben stand unter andern folgender be-
denklicher Vers:

Diesen Vers sang ich dem Propheten ins Angesicht mit einer solchen
Freudigkeit und durchdringendem Ton, daß er dasaß wie einer, der keine
Widerrede im Munde hat. und die ganze Gemeinde konnte wol merken, daß
was Sonderbares und Ungewöhnliches in nur vorgehn mußte. In der That
war es nicht anders, als wenn mir diese Worte vom Himmel zur Bestärkung
meines angefangenen Durchbruchs zugesprochen waren."

Am Ostersonntag 1738 begab er sich in die allgemeine Versammlung
und erklärte, daß sie von einem falschen Geist betrogen wären. Er wurde
ausgestoßen und der Prophet erklärte in einer neuen Ansprache: Edelmann
werde in Kurzem nackt und bloß aus Berleburg fort müssen.

Die Jnspirirtcn hatten sich bisher an seine weltliche Kleidung gestoßen.
Um ihnen nun zu zeigen, daß er sich wol selbst verleugnen könne, zog er
nicht blos einen schlechten Kittel an. sondern trieb die Verwegenheit so weit,
die Perücke abzuwerfen und Haar und Bart wachsen zu lassen, um Christus
ähnlich zu werden, der auch keine Perücke getragen. Da er nun ganz ohne
Mittel war, legte er sich auf ein Handwerk, lernte das Bordenwirken, las
mit seinem Lehrmeister eifrig die Bibel und sing an namentlich Sonntags
über Berg und Thal spazieren zu gehn und Gott in der Natur zu betrachten.
Er hatte sich jetzt wirklich aus der dumpfen Kerkerluft der Sekten unter den
freien Himmel gerettet. Auch den Teufel wurde er los. da er zufällig den
Spruch: 2. Petri 1. 19 aufschlug und darin fand, daß der Lucifer in unserm
Herzen aufgehn müßte, wenn es Tag darin werden sollte. Es fiel ihm ein,
daß Lucifer der Lichtbringer heißt und daher keinen bösen Geist bedeuten
könne.


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[0485] seine Konvulsionen verfiel, wandelte ihm eine Art von Furcht an. Als aber der Prophet begann: „es steigt ein Gnadenvrünnlein aus dem Centrum, da die Liebe ruht (Centrum statt Centro): — „so war alle meine Furcht da¬ hin und ich sah, daß ich es mit einem elenden Stümper zu thun hatte, der kaum werth war, daß ihm ein Donatschüler geschweige ein Gelehrter zu¬ hörte. So wenig braucht Gott die falsche Weisheit zu Schanden zu machen, wenn der Mensch seiner Vernunft Gehör geben will." „Sobald die Aussprache geendigt war, wurde das Lied angestimmt: Zion fahre fort in Licht. In demselben stand unter andern folgender be- denklicher Vers: Diesen Vers sang ich dem Propheten ins Angesicht mit einer solchen Freudigkeit und durchdringendem Ton, daß er dasaß wie einer, der keine Widerrede im Munde hat. und die ganze Gemeinde konnte wol merken, daß was Sonderbares und Ungewöhnliches in nur vorgehn mußte. In der That war es nicht anders, als wenn mir diese Worte vom Himmel zur Bestärkung meines angefangenen Durchbruchs zugesprochen waren." Am Ostersonntag 1738 begab er sich in die allgemeine Versammlung und erklärte, daß sie von einem falschen Geist betrogen wären. Er wurde ausgestoßen und der Prophet erklärte in einer neuen Ansprache: Edelmann werde in Kurzem nackt und bloß aus Berleburg fort müssen. Die Jnspirirtcn hatten sich bisher an seine weltliche Kleidung gestoßen. Um ihnen nun zu zeigen, daß er sich wol selbst verleugnen könne, zog er nicht blos einen schlechten Kittel an. sondern trieb die Verwegenheit so weit, die Perücke abzuwerfen und Haar und Bart wachsen zu lassen, um Christus ähnlich zu werden, der auch keine Perücke getragen. Da er nun ganz ohne Mittel war, legte er sich auf ein Handwerk, lernte das Bordenwirken, las mit seinem Lehrmeister eifrig die Bibel und sing an namentlich Sonntags über Berg und Thal spazieren zu gehn und Gott in der Natur zu betrachten. Er hatte sich jetzt wirklich aus der dumpfen Kerkerluft der Sekten unter den freien Himmel gerettet. Auch den Teufel wurde er los. da er zufällig den Spruch: 2. Petri 1. 19 aufschlug und darin fand, daß der Lucifer in unserm Herzen aufgehn müßte, wenn es Tag darin werden sollte. Es fiel ihm ein, daß Lucifer der Lichtbringer heißt und daher keinen bösen Geist bedeuten könne. Grenzboten III. 1800. VO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/485>, abgerufen am 24.07.2024.