Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.er die Flut des Mißtrauens gegen sich heranschwcllcn. Die Schießstände, welche Dazu kamen für ihn grade jetzt andere Besorgnisse. Frankreich hatte sast zu Unter diesen Eindrücken, in Sorge um die Stimmung Frankreichs, die er erst er die Flut des Mißtrauens gegen sich heranschwcllcn. Die Schießstände, welche Dazu kamen für ihn grade jetzt andere Besorgnisse. Frankreich hatte sast zu Unter diesen Eindrücken, in Sorge um die Stimmung Frankreichs, die er erst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109854"/> <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> er die Flut des Mißtrauens gegen sich heranschwcllcn. Die Schießstände, welche<lb/> sich in allen Grafschaften Englands so plötzlich erhoben, waren gegen ihn angelegt,<lb/> unwillig trug Sardinien die Zügel, welche er ihm übergeworfen, immer heftiger arbeitete<lb/> die öffentliche Meinung Italiens gegen seine Politik; Oestreich hatte erkennen gelernt,<lb/> er überschüttete seine Diplomaten mit Artigkeiten, aber innerlich hatte er es aufgegeben,<lb/> sogar in Spanien war übler Sinn gegen ihn eingenistet, und die Popularität,<lb/> welche dort der Feldzug gegen Marocco gehabt hatte, war verbunden mit der Freude<lb/> über eine nationale Kraftentwicklung, welche zum Widerstand gegen künftige Projecte<lb/> Frankreichs helfen solle. Nicht besser war die Stimmung im belgischen Cabinet<lb/> und sehr unhold in der Schweiz. Wenn politische Aufregung in den Völkern<lb/> arbeitet, und die Cabinetc einzeln und lauernd einander gegenüber stehn, dann<lb/> gleichen die Staaten den schweren Wetterwolken, welche an einem heißen Tage<lb/> in der Luft schweben. Ein kleiner Zugwind vermag sie zu einer großen Masse zu¬<lb/> sammen zu ballen, alle ihre Blitze konnten gegen sein Haupt fahren. Seinem weit-<lb/> sehenden Urtheil, welches liebt, in die Zukunft hinein zu combiniren, erschien die<lb/> Gefahr möglicherweise näher als uns. Ihm ist durch das Schicksal seines Oheims<lb/> und der spätern französischen Dynastien und durch die Eindrücke seines eigenen<lb/> Lebens die größte Scheu vor der politischen Leidenschaft der Völker geworden; es<lb/> war von je das eifrigste Bestreben seiner Regierung, die öffentliche Meinung zu lei¬<lb/> ten, zu temperiren, wo möglich zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_93"> Dazu kamen für ihn grade jetzt andere Besorgnisse. Frankreich hatte sast zu<lb/> allen Zeiten seiner Regierung, während des orientalischen und während des italieni¬<lb/> schen Krieges, in Handel und Verkehr wachsendes Leben und ein Aufblühen gezeigt,<lb/> welches zwar in den officiellen Berichten zuweilen vergrößert erschien, in der That<lb/> aber doch so stattlich war, daß es gute Stützen für seine Regierung gab. In<lb/> diesem Jahre schlug die Lähmung des europäischen Geldmarkts und Handels¬<lb/> verkehrs zum ersten Mal heftig auf Frankreich zurück. Die Unsicherheit über<lb/> die nächste Zukunft wurde in den letzten Monaten dort sehr lästig empfun¬<lb/> den. Große Geldmassen lagen in Paris ohne Verwendung zu finden, die Fa¬<lb/> briken beschränkten ihren Betrieb. Für einen großen Theil Frankreichs befürchtet<lb/> man eine Mißernte, Arbeiter wurden brodlos und Besorgniß verbreitete sich in den<lb/> Massen.</p><lb/> <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> Unter diesen Eindrücken, in Sorge um die Stimmung Frankreichs, die er erst<lb/> vor Kurzem sich so siegreich unterworfen, nicht ohne Besorgniß über die Stimmung<lb/> in Deutschland, die sich täglich lebhafter gegen ihn äußerte, und unbehaglich über die<lb/> Ansichten des preußischen Cabinets, der ehrlichen Leute, welche durch die russischen<lb/> Versuchungen sehr gegen ihn aufgeregt sein mußten, faßte er den charakteristischen Ent¬<lb/> schluß, durch eine persönliche Zusammenkunft mit dem Prinzrcgcntcn so viel als<lb/> möglich das allgemeine Mißtrauen zu beruhigen und durch feierliche Versicherung seiner<lb/> Friedensliebe, den möglichen Groll Frankreichs, den Zorn der Deutschen, und den<lb/> Argwohn des berliner Cabinets zu beseitigen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihm<lb/> dieser Plan noch durch eine Empfindung von ganz anderer Art lieb wurde. Das<lb/> Haus der Hohenzollern war die einzige der großen Dynastien, mit welcher er noch<lb/> in keinem persönlichen Verhältniß stand; als gemüthlicher Herr hat er immer das<lb/> Bedürfniß gehabt, Vertrauen einzuflößen, seinen Mitsouveräncn gute Eindrücke zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
er die Flut des Mißtrauens gegen sich heranschwcllcn. Die Schießstände, welche
sich in allen Grafschaften Englands so plötzlich erhoben, waren gegen ihn angelegt,
unwillig trug Sardinien die Zügel, welche er ihm übergeworfen, immer heftiger arbeitete
die öffentliche Meinung Italiens gegen seine Politik; Oestreich hatte erkennen gelernt,
er überschüttete seine Diplomaten mit Artigkeiten, aber innerlich hatte er es aufgegeben,
sogar in Spanien war übler Sinn gegen ihn eingenistet, und die Popularität,
welche dort der Feldzug gegen Marocco gehabt hatte, war verbunden mit der Freude
über eine nationale Kraftentwicklung, welche zum Widerstand gegen künftige Projecte
Frankreichs helfen solle. Nicht besser war die Stimmung im belgischen Cabinet
und sehr unhold in der Schweiz. Wenn politische Aufregung in den Völkern
arbeitet, und die Cabinetc einzeln und lauernd einander gegenüber stehn, dann
gleichen die Staaten den schweren Wetterwolken, welche an einem heißen Tage
in der Luft schweben. Ein kleiner Zugwind vermag sie zu einer großen Masse zu¬
sammen zu ballen, alle ihre Blitze konnten gegen sein Haupt fahren. Seinem weit-
sehenden Urtheil, welches liebt, in die Zukunft hinein zu combiniren, erschien die
Gefahr möglicherweise näher als uns. Ihm ist durch das Schicksal seines Oheims
und der spätern französischen Dynastien und durch die Eindrücke seines eigenen
Lebens die größte Scheu vor der politischen Leidenschaft der Völker geworden; es
war von je das eifrigste Bestreben seiner Regierung, die öffentliche Meinung zu lei¬
ten, zu temperiren, wo möglich zu machen.
Dazu kamen für ihn grade jetzt andere Besorgnisse. Frankreich hatte sast zu
allen Zeiten seiner Regierung, während des orientalischen und während des italieni¬
schen Krieges, in Handel und Verkehr wachsendes Leben und ein Aufblühen gezeigt,
welches zwar in den officiellen Berichten zuweilen vergrößert erschien, in der That
aber doch so stattlich war, daß es gute Stützen für seine Regierung gab. In
diesem Jahre schlug die Lähmung des europäischen Geldmarkts und Handels¬
verkehrs zum ersten Mal heftig auf Frankreich zurück. Die Unsicherheit über
die nächste Zukunft wurde in den letzten Monaten dort sehr lästig empfun¬
den. Große Geldmassen lagen in Paris ohne Verwendung zu finden, die Fa¬
briken beschränkten ihren Betrieb. Für einen großen Theil Frankreichs befürchtet
man eine Mißernte, Arbeiter wurden brodlos und Besorgniß verbreitete sich in den
Massen.
Unter diesen Eindrücken, in Sorge um die Stimmung Frankreichs, die er erst
vor Kurzem sich so siegreich unterworfen, nicht ohne Besorgniß über die Stimmung
in Deutschland, die sich täglich lebhafter gegen ihn äußerte, und unbehaglich über die
Ansichten des preußischen Cabinets, der ehrlichen Leute, welche durch die russischen
Versuchungen sehr gegen ihn aufgeregt sein mußten, faßte er den charakteristischen Ent¬
schluß, durch eine persönliche Zusammenkunft mit dem Prinzrcgcntcn so viel als
möglich das allgemeine Mißtrauen zu beruhigen und durch feierliche Versicherung seiner
Friedensliebe, den möglichen Groll Frankreichs, den Zorn der Deutschen, und den
Argwohn des berliner Cabinets zu beseitigen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihm
dieser Plan noch durch eine Empfindung von ganz anderer Art lieb wurde. Das
Haus der Hohenzollern war die einzige der großen Dynastien, mit welcher er noch
in keinem persönlichen Verhältniß stand; als gemüthlicher Herr hat er immer das
Bedürfniß gehabt, Vertrauen einzuflößen, seinen Mitsouveräncn gute Eindrücke zu
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