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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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politischen Vordergrund, deren Entscheidung die Zukunft Nordamerikas in
sich birgt.

Es ist nicht das erste Mal, daß die große europäische und amerikanische
Politik gleichzeitig einer Krise zueilen. Der Unabhängigkeitskampf der 13 Kolo¬
nien und seine Schwester, die französische Revolution, waren Kinder eines und
desselben Zeitalters und nur um einige Jahre räumlich von einander getrennt.
Die Napoleonischen Continentalkriege zogen die Vereinigten Staaten aus ihrer
Neutralität und riefen den ersten Seekrieg mit England hervor. Die Reaction,
welche dem nationalen Aufschwünge der Hauptvölker Europas nach dem Frieden
von 1815 folgte, dämpfte auch dort den Stolz ob der errungenen Triumphe
über den auswärtigen Feind. Was der karlsbader und laibacher Kongreß für
Europa waren, das wurde in gewissem Maß die Sklavenfrage und das Missouri-
compromiß für die Vereinigten Staaten; denn drüben wie hier octroyirte eine
verhältnißmäßig kleine Minorität dem ganzen Volk ihren Willen und ihre
Interessen.

Seit dem Anfange dieses Jahrhunderts ist die Union zu verschiedenen
Zeiten durch diese Sklavenfrage oder durch die Geldfrage erschüttert worden.
Die erstere ist von hoher Bedeutung, in ihr liegt die Gefahr der Trennung
des Südens von dem Norden, liegt der Anreiz zur Eroberung Cubas, somit
die Gefahr des Krieges mit England und Frankreich. Während die Geld¬
frage durch den großen innern Reichthum des Landes sich allmälig wieder aus¬
gleicht, dauert die heftige Agitation der Sklavenfrage in der großen Staaten¬
verbrüderung unablässig fort; ihre Geschichte zieht wie ein rother Faden durch
die Geschicke der Vereinigten Staaten sich hindurch, und da jede Erschütterung,
die Nordamerika trifft, durch die Solidarität der materiellen Interessen in Eu¬
ropa wiederhallt, so lohnt es sich wol der Mühe, sie auch diesseits des Oceans
näher anzuschauen.

Als die Vereinigten Staaten vom Mutterlande sich losrissen, erklärte der
erste Entwurf der diesen Act motivirenden Unabhängigkeitserklärung sich aufs
Entschiedenste gegen die Sklaverei; ihre Begünstigung wurde sogar dem
Könige Georg dem Dritten als Capitalverbrechen gegen das Volk der Kolo¬
nien angerechnet. Dieses Volk war ihr, seiner großen Mehrheit nach, ab¬
geneigt und hätte sich ihrer gern entledigt. Auch die Männer der Revolution,
der treue Ausdruck der damaligen, öffentlichen Meinung, drangen theils auf
sofortige, theils auf cillmälige Abschaffung der Sklaverei, welcher damals noch
keine so tief eingewurzelten ökonomischen Interessen im Wege standen. Außer
den Reis und Indigo producirenden Staaten von Südcarolina und Georgia
wurden die Sklaven überall nur zu häuslichen Diensten verwandt und konnten
ebenso gut durch weiße Arbeiter ersetzt werden.

Nicht Mangel an der erforderlichen Majorität, sondern nur der Wunsch


politischen Vordergrund, deren Entscheidung die Zukunft Nordamerikas in
sich birgt.

Es ist nicht das erste Mal, daß die große europäische und amerikanische
Politik gleichzeitig einer Krise zueilen. Der Unabhängigkeitskampf der 13 Kolo¬
nien und seine Schwester, die französische Revolution, waren Kinder eines und
desselben Zeitalters und nur um einige Jahre räumlich von einander getrennt.
Die Napoleonischen Continentalkriege zogen die Vereinigten Staaten aus ihrer
Neutralität und riefen den ersten Seekrieg mit England hervor. Die Reaction,
welche dem nationalen Aufschwünge der Hauptvölker Europas nach dem Frieden
von 1815 folgte, dämpfte auch dort den Stolz ob der errungenen Triumphe
über den auswärtigen Feind. Was der karlsbader und laibacher Kongreß für
Europa waren, das wurde in gewissem Maß die Sklavenfrage und das Missouri-
compromiß für die Vereinigten Staaten; denn drüben wie hier octroyirte eine
verhältnißmäßig kleine Minorität dem ganzen Volk ihren Willen und ihre
Interessen.

Seit dem Anfange dieses Jahrhunderts ist die Union zu verschiedenen
Zeiten durch diese Sklavenfrage oder durch die Geldfrage erschüttert worden.
Die erstere ist von hoher Bedeutung, in ihr liegt die Gefahr der Trennung
des Südens von dem Norden, liegt der Anreiz zur Eroberung Cubas, somit
die Gefahr des Krieges mit England und Frankreich. Während die Geld¬
frage durch den großen innern Reichthum des Landes sich allmälig wieder aus¬
gleicht, dauert die heftige Agitation der Sklavenfrage in der großen Staaten¬
verbrüderung unablässig fort; ihre Geschichte zieht wie ein rother Faden durch
die Geschicke der Vereinigten Staaten sich hindurch, und da jede Erschütterung,
die Nordamerika trifft, durch die Solidarität der materiellen Interessen in Eu¬
ropa wiederhallt, so lohnt es sich wol der Mühe, sie auch diesseits des Oceans
näher anzuschauen.

Als die Vereinigten Staaten vom Mutterlande sich losrissen, erklärte der
erste Entwurf der diesen Act motivirenden Unabhängigkeitserklärung sich aufs
Entschiedenste gegen die Sklaverei; ihre Begünstigung wurde sogar dem
Könige Georg dem Dritten als Capitalverbrechen gegen das Volk der Kolo¬
nien angerechnet. Dieses Volk war ihr, seiner großen Mehrheit nach, ab¬
geneigt und hätte sich ihrer gern entledigt. Auch die Männer der Revolution,
der treue Ausdruck der damaligen, öffentlichen Meinung, drangen theils auf
sofortige, theils auf cillmälige Abschaffung der Sklaverei, welcher damals noch
keine so tief eingewurzelten ökonomischen Interessen im Wege standen. Außer
den Reis und Indigo producirenden Staaten von Südcarolina und Georgia
wurden die Sklaven überall nur zu häuslichen Diensten verwandt und konnten
ebenso gut durch weiße Arbeiter ersetzt werden.

Nicht Mangel an der erforderlichen Majorität, sondern nur der Wunsch


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[0395] politischen Vordergrund, deren Entscheidung die Zukunft Nordamerikas in sich birgt. Es ist nicht das erste Mal, daß die große europäische und amerikanische Politik gleichzeitig einer Krise zueilen. Der Unabhängigkeitskampf der 13 Kolo¬ nien und seine Schwester, die französische Revolution, waren Kinder eines und desselben Zeitalters und nur um einige Jahre räumlich von einander getrennt. Die Napoleonischen Continentalkriege zogen die Vereinigten Staaten aus ihrer Neutralität und riefen den ersten Seekrieg mit England hervor. Die Reaction, welche dem nationalen Aufschwünge der Hauptvölker Europas nach dem Frieden von 1815 folgte, dämpfte auch dort den Stolz ob der errungenen Triumphe über den auswärtigen Feind. Was der karlsbader und laibacher Kongreß für Europa waren, das wurde in gewissem Maß die Sklavenfrage und das Missouri- compromiß für die Vereinigten Staaten; denn drüben wie hier octroyirte eine verhältnißmäßig kleine Minorität dem ganzen Volk ihren Willen und ihre Interessen. Seit dem Anfange dieses Jahrhunderts ist die Union zu verschiedenen Zeiten durch diese Sklavenfrage oder durch die Geldfrage erschüttert worden. Die erstere ist von hoher Bedeutung, in ihr liegt die Gefahr der Trennung des Südens von dem Norden, liegt der Anreiz zur Eroberung Cubas, somit die Gefahr des Krieges mit England und Frankreich. Während die Geld¬ frage durch den großen innern Reichthum des Landes sich allmälig wieder aus¬ gleicht, dauert die heftige Agitation der Sklavenfrage in der großen Staaten¬ verbrüderung unablässig fort; ihre Geschichte zieht wie ein rother Faden durch die Geschicke der Vereinigten Staaten sich hindurch, und da jede Erschütterung, die Nordamerika trifft, durch die Solidarität der materiellen Interessen in Eu¬ ropa wiederhallt, so lohnt es sich wol der Mühe, sie auch diesseits des Oceans näher anzuschauen. Als die Vereinigten Staaten vom Mutterlande sich losrissen, erklärte der erste Entwurf der diesen Act motivirenden Unabhängigkeitserklärung sich aufs Entschiedenste gegen die Sklaverei; ihre Begünstigung wurde sogar dem Könige Georg dem Dritten als Capitalverbrechen gegen das Volk der Kolo¬ nien angerechnet. Dieses Volk war ihr, seiner großen Mehrheit nach, ab¬ geneigt und hätte sich ihrer gern entledigt. Auch die Männer der Revolution, der treue Ausdruck der damaligen, öffentlichen Meinung, drangen theils auf sofortige, theils auf cillmälige Abschaffung der Sklaverei, welcher damals noch keine so tief eingewurzelten ökonomischen Interessen im Wege standen. Außer den Reis und Indigo producirenden Staaten von Südcarolina und Georgia wurden die Sklaven überall nur zu häuslichen Diensten verwandt und konnten ebenso gut durch weiße Arbeiter ersetzt werden. Nicht Mangel an der erforderlichen Majorität, sondern nur der Wunsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/395>, abgerufen am 24.07.2024.