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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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unter dem Areopag. Dieser auf dem Areshügel tagende, uralte Rath
wirkte bis zu Penkles herab als Censor der Sitten, des öffentlichen und häus¬
lichen Lebens, als Wächter der Gesetze, als Schirmer der durch das Alter
geheiligten Institute und Culte. Wer seine Eltern nicht ernährte oder das
väterliche Erbtheil durch liederlichen Lebenswandel vergeudete, erlitt den
bürgerlichen Tod und verlor das Stimmrecht und die Befähigung zu allen
Staatsämtern. Der Areopag durste auch nach den Existenzmitteln derjenigen
fragen, welche kein Vermögen besaßen und ohne einen Erwerbszweig zu be¬
treiben müßig gingen, und es scheint in früheren Zeiten eine regelmäßige An¬
gabe der verschiedenen Gewerbe jährlich stattgefunden zu haben. Wer drei¬
mal in dieser Beziehung als Herumtreiber bestraft worden war, verlor ebenfalls
die bürgerlichen Rechte. Insbesondere erstreckte sich die polizeiliche Aufsicht
der Areopagiten auf die Sitten der Frauen. Das atheniensische schöne Ge¬
schlecht war ja überhaupt nicht um seine Stellung zu beneiden! Im Gegen¬
satze zu der kecken Dreistigkeit der Spartanerinnen und zu dem gesunderen
und natürlicheren Auftreten der homerischen Griechinnen und auch der Römer¬
innen lebte die "im Schatten erzogene", und deshalb bleiche und geschminkte
Athenerin in klösterlicher Abgeschlossenheit und bürgerlicher Unselbständigkeit,
und blöde und ohne Bildung konnte sie mit der heiteren, geistig gewandteren
Hetäre, mit welcher Umgang zu pflegen weder für thöricht noch für unsittlich
galt, nicht concurriren. Und wenn sie einmal ihre im Hinterhause oder obe¬
ren Stocke liegenden Zimmer verließ und die Straße betrat, so durfte dies
nicht ohne Begleitung eines Dieners oder einer Zofe geschehn, ja besondere,
dem Areopag verantwortliche Polizeibeamten, die Gynäkonomen, bewachten
ihre Schritte und konnten sie, wenn sie sich in Kleidung oder Benehmen et¬
was Ungebührliches zu Schulden kommen ließ, um 1000 Drachmen (250 Thlr.)
strafen. Nur religiöse Handlungen und Festanfzüge lockerten zuweilen die
strengen Schranken der Haremsordnung. Dieselben Beamten hatten auch die
Verpflichtung, bei Hochzeiten und Opferschmäusen zu erscheinen und darauf
zu achten, daß nicht über dreißig Gäste zugegen waren, weshalb auch die
gemietheten Köche sich jedesmal bei ihnen zu melden hatten. Die ethische
Thätigkeit des Areopags betraf aber auch serner die Religion, den Cultus,
die Einführung neuer, vom Staate nicht gebilligter Lehren. Daher konnten
Alle, die fremde Gottheiten verehrten oder ihren Cult einzuführen strebten, vor
sein Forum wegen Gottlosigkeit gezogen werden. Aspasia, die berühmte Freundin
des Penkles, wurde der Religionsverletzung angeklagt; der große Redner vergoß
bei ihrer Vertheidigung mehr Thränen, als wenn es sich um sein eigenes Leben
und Vermögen handelte, und rettete dadurch seine Clientin, wie später der Redner
Hupendes durch noch drastischere Mittel die schöne Phryne. Anaxagoras. dessen
Namen einen bedeutenden Fortschritt in der griechischen Philosophie bezeichnet,


unter dem Areopag. Dieser auf dem Areshügel tagende, uralte Rath
wirkte bis zu Penkles herab als Censor der Sitten, des öffentlichen und häus¬
lichen Lebens, als Wächter der Gesetze, als Schirmer der durch das Alter
geheiligten Institute und Culte. Wer seine Eltern nicht ernährte oder das
väterliche Erbtheil durch liederlichen Lebenswandel vergeudete, erlitt den
bürgerlichen Tod und verlor das Stimmrecht und die Befähigung zu allen
Staatsämtern. Der Areopag durste auch nach den Existenzmitteln derjenigen
fragen, welche kein Vermögen besaßen und ohne einen Erwerbszweig zu be¬
treiben müßig gingen, und es scheint in früheren Zeiten eine regelmäßige An¬
gabe der verschiedenen Gewerbe jährlich stattgefunden zu haben. Wer drei¬
mal in dieser Beziehung als Herumtreiber bestraft worden war, verlor ebenfalls
die bürgerlichen Rechte. Insbesondere erstreckte sich die polizeiliche Aufsicht
der Areopagiten auf die Sitten der Frauen. Das atheniensische schöne Ge¬
schlecht war ja überhaupt nicht um seine Stellung zu beneiden! Im Gegen¬
satze zu der kecken Dreistigkeit der Spartanerinnen und zu dem gesunderen
und natürlicheren Auftreten der homerischen Griechinnen und auch der Römer¬
innen lebte die „im Schatten erzogene", und deshalb bleiche und geschminkte
Athenerin in klösterlicher Abgeschlossenheit und bürgerlicher Unselbständigkeit,
und blöde und ohne Bildung konnte sie mit der heiteren, geistig gewandteren
Hetäre, mit welcher Umgang zu pflegen weder für thöricht noch für unsittlich
galt, nicht concurriren. Und wenn sie einmal ihre im Hinterhause oder obe¬
ren Stocke liegenden Zimmer verließ und die Straße betrat, so durfte dies
nicht ohne Begleitung eines Dieners oder einer Zofe geschehn, ja besondere,
dem Areopag verantwortliche Polizeibeamten, die Gynäkonomen, bewachten
ihre Schritte und konnten sie, wenn sie sich in Kleidung oder Benehmen et¬
was Ungebührliches zu Schulden kommen ließ, um 1000 Drachmen (250 Thlr.)
strafen. Nur religiöse Handlungen und Festanfzüge lockerten zuweilen die
strengen Schranken der Haremsordnung. Dieselben Beamten hatten auch die
Verpflichtung, bei Hochzeiten und Opferschmäusen zu erscheinen und darauf
zu achten, daß nicht über dreißig Gäste zugegen waren, weshalb auch die
gemietheten Köche sich jedesmal bei ihnen zu melden hatten. Die ethische
Thätigkeit des Areopags betraf aber auch serner die Religion, den Cultus,
die Einführung neuer, vom Staate nicht gebilligter Lehren. Daher konnten
Alle, die fremde Gottheiten verehrten oder ihren Cult einzuführen strebten, vor
sein Forum wegen Gottlosigkeit gezogen werden. Aspasia, die berühmte Freundin
des Penkles, wurde der Religionsverletzung angeklagt; der große Redner vergoß
bei ihrer Vertheidigung mehr Thränen, als wenn es sich um sein eigenes Leben
und Vermögen handelte, und rettete dadurch seine Clientin, wie später der Redner
Hupendes durch noch drastischere Mittel die schöne Phryne. Anaxagoras. dessen
Namen einen bedeutenden Fortschritt in der griechischen Philosophie bezeichnet,


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[0376] unter dem Areopag. Dieser auf dem Areshügel tagende, uralte Rath wirkte bis zu Penkles herab als Censor der Sitten, des öffentlichen und häus¬ lichen Lebens, als Wächter der Gesetze, als Schirmer der durch das Alter geheiligten Institute und Culte. Wer seine Eltern nicht ernährte oder das väterliche Erbtheil durch liederlichen Lebenswandel vergeudete, erlitt den bürgerlichen Tod und verlor das Stimmrecht und die Befähigung zu allen Staatsämtern. Der Areopag durste auch nach den Existenzmitteln derjenigen fragen, welche kein Vermögen besaßen und ohne einen Erwerbszweig zu be¬ treiben müßig gingen, und es scheint in früheren Zeiten eine regelmäßige An¬ gabe der verschiedenen Gewerbe jährlich stattgefunden zu haben. Wer drei¬ mal in dieser Beziehung als Herumtreiber bestraft worden war, verlor ebenfalls die bürgerlichen Rechte. Insbesondere erstreckte sich die polizeiliche Aufsicht der Areopagiten auf die Sitten der Frauen. Das atheniensische schöne Ge¬ schlecht war ja überhaupt nicht um seine Stellung zu beneiden! Im Gegen¬ satze zu der kecken Dreistigkeit der Spartanerinnen und zu dem gesunderen und natürlicheren Auftreten der homerischen Griechinnen und auch der Römer¬ innen lebte die „im Schatten erzogene", und deshalb bleiche und geschminkte Athenerin in klösterlicher Abgeschlossenheit und bürgerlicher Unselbständigkeit, und blöde und ohne Bildung konnte sie mit der heiteren, geistig gewandteren Hetäre, mit welcher Umgang zu pflegen weder für thöricht noch für unsittlich galt, nicht concurriren. Und wenn sie einmal ihre im Hinterhause oder obe¬ ren Stocke liegenden Zimmer verließ und die Straße betrat, so durfte dies nicht ohne Begleitung eines Dieners oder einer Zofe geschehn, ja besondere, dem Areopag verantwortliche Polizeibeamten, die Gynäkonomen, bewachten ihre Schritte und konnten sie, wenn sie sich in Kleidung oder Benehmen et¬ was Ungebührliches zu Schulden kommen ließ, um 1000 Drachmen (250 Thlr.) strafen. Nur religiöse Handlungen und Festanfzüge lockerten zuweilen die strengen Schranken der Haremsordnung. Dieselben Beamten hatten auch die Verpflichtung, bei Hochzeiten und Opferschmäusen zu erscheinen und darauf zu achten, daß nicht über dreißig Gäste zugegen waren, weshalb auch die gemietheten Köche sich jedesmal bei ihnen zu melden hatten. Die ethische Thätigkeit des Areopags betraf aber auch serner die Religion, den Cultus, die Einführung neuer, vom Staate nicht gebilligter Lehren. Daher konnten Alle, die fremde Gottheiten verehrten oder ihren Cult einzuführen strebten, vor sein Forum wegen Gottlosigkeit gezogen werden. Aspasia, die berühmte Freundin des Penkles, wurde der Religionsverletzung angeklagt; der große Redner vergoß bei ihrer Vertheidigung mehr Thränen, als wenn es sich um sein eigenes Leben und Vermögen handelte, und rettete dadurch seine Clientin, wie später der Redner Hupendes durch noch drastischere Mittel die schöne Phryne. Anaxagoras. dessen Namen einen bedeutenden Fortschritt in der griechischen Philosophie bezeichnet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/376>, abgerufen am 25.07.2024.