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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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soll wieder und immer wieder aussprechen, was weitverbreitete Ueberzeugung
ist und hier in kurze Sätze zusammengefaßt wird:

Die politische Partei in Italien, welche in der nächsten Zu¬
kunft das relativ größte Recht hat, sich durchzusetzen, ist die Par¬
tei Garibaldis. Welches auch ihr Ursprung und ihre gesetzliche Berechtigung
sein mag, sie gibt den Italienern das Höchste, was ein Volk besitzen kann,
die Fähigkeit, für die große Idee des Staates sich selbst zu opfern. Weder
die vertriebenen Regenten noch die unzufriedenen Localpatrioten von Mailand
und Florenz besitzen diese bildende und treibende Kraft, welche ein Volk her¬
aufbringt, weil sie den Egoismus der Einzelnen einem großen Zweck unter¬
ordnet. Dazu kommt, daß diese Partei, in Opposition zugleich gegen fran¬
zösische Uebergriffe, gegen Oestreich und den Papismus auch dem Bewußtsein
unseres Volkes am nächsten steht. Die Politik Preußens soll nicht vorzugs¬
weise durch gemüthliche Stimmungen in ihrem Handeln bestimmt werden.
Unsere Staatsmänner mögen den vertriebenen Souveränen Italiens ein herz¬
liches Bedauern widmen, soweit diese erlauchten Herren und Frauen ein sol¬
ches verdienen; für ihre Legitimität dürfen wir nicht eine Hand ausheben.
Denn es ist unserm Staate nützlich, wenn die politische Schwäche und Zer¬
rissenheit Italiens, welche dasselbe zu einem Spielball fremder Einflüsse
machte, schnell und gründlich beendigt wird.

Ferner: ein freies einheitlich organisirtes Italien unter der
Herrschaft des Hauses Savoyen ist in Zukunft der sich erste Atli irre
Preußens und Deutschlands. -- Eine kräftige nationale Entwicklung Ita¬
liens hat in Kaiser Napoleon und seinem Frankreich einen stärkern Gegner, als
in Oestreich. Und der Kaiser hat dafür gesorgt, sich zu den Patrioten Italiens
in unversöhnbaren Gegensatz zu bringen. Die Wunde Savoyen und Nizza
wird schmerzen, so lange die abgerissenen Provinzen nicht zurückgewonnen
sind. Je mehr Erfolg und Sieg das nationale Bewußtsein Italiens empor¬
hebt, desto bitterer wird das Gefühl der Demüthigung werden, daß man die
Hilfe des Nachbarn durch ein solches Opfer erkaufen mußte. Ob Garibaldi
selbst siege oder untergehe, in dem jungen Geschlecht, welches unter ihm Dis¬
ciplin und Verachtung des Todes erlernt, in allen Politikern, welche fortan
der Nationalsache in Italien dienen, wird diese Empfindung von Frankreich
abziehen, sobald die Möglichkeit einer neuen Allianz sich aufthut. Nicht we¬
niger treiben zu vorsichtigem Gegensatz gegen Frankreich die dauernden Inter¬
essen des Volkes, Handel und Industrie, der Antheil am Mittelmeer.

Und endlich: die Herrschaft Oestreichs über Venetien liegt nicht
so sehr in deutschem Interesse, daß wir das Recht hätten, sie
mit unserm Geld und Blut zu erhalten. Die sogenannten militäri¬
schen Gesichtspunkte sind ein Axiom, welches aus dem Mittelalter überkam-


soll wieder und immer wieder aussprechen, was weitverbreitete Ueberzeugung
ist und hier in kurze Sätze zusammengefaßt wird:

Die politische Partei in Italien, welche in der nächsten Zu¬
kunft das relativ größte Recht hat, sich durchzusetzen, ist die Par¬
tei Garibaldis. Welches auch ihr Ursprung und ihre gesetzliche Berechtigung
sein mag, sie gibt den Italienern das Höchste, was ein Volk besitzen kann,
die Fähigkeit, für die große Idee des Staates sich selbst zu opfern. Weder
die vertriebenen Regenten noch die unzufriedenen Localpatrioten von Mailand
und Florenz besitzen diese bildende und treibende Kraft, welche ein Volk her¬
aufbringt, weil sie den Egoismus der Einzelnen einem großen Zweck unter¬
ordnet. Dazu kommt, daß diese Partei, in Opposition zugleich gegen fran¬
zösische Uebergriffe, gegen Oestreich und den Papismus auch dem Bewußtsein
unseres Volkes am nächsten steht. Die Politik Preußens soll nicht vorzugs¬
weise durch gemüthliche Stimmungen in ihrem Handeln bestimmt werden.
Unsere Staatsmänner mögen den vertriebenen Souveränen Italiens ein herz¬
liches Bedauern widmen, soweit diese erlauchten Herren und Frauen ein sol¬
ches verdienen; für ihre Legitimität dürfen wir nicht eine Hand ausheben.
Denn es ist unserm Staate nützlich, wenn die politische Schwäche und Zer¬
rissenheit Italiens, welche dasselbe zu einem Spielball fremder Einflüsse
machte, schnell und gründlich beendigt wird.

Ferner: ein freies einheitlich organisirtes Italien unter der
Herrschaft des Hauses Savoyen ist in Zukunft der sich erste Atli irre
Preußens und Deutschlands. — Eine kräftige nationale Entwicklung Ita¬
liens hat in Kaiser Napoleon und seinem Frankreich einen stärkern Gegner, als
in Oestreich. Und der Kaiser hat dafür gesorgt, sich zu den Patrioten Italiens
in unversöhnbaren Gegensatz zu bringen. Die Wunde Savoyen und Nizza
wird schmerzen, so lange die abgerissenen Provinzen nicht zurückgewonnen
sind. Je mehr Erfolg und Sieg das nationale Bewußtsein Italiens empor¬
hebt, desto bitterer wird das Gefühl der Demüthigung werden, daß man die
Hilfe des Nachbarn durch ein solches Opfer erkaufen mußte. Ob Garibaldi
selbst siege oder untergehe, in dem jungen Geschlecht, welches unter ihm Dis¬
ciplin und Verachtung des Todes erlernt, in allen Politikern, welche fortan
der Nationalsache in Italien dienen, wird diese Empfindung von Frankreich
abziehen, sobald die Möglichkeit einer neuen Allianz sich aufthut. Nicht we¬
niger treiben zu vorsichtigem Gegensatz gegen Frankreich die dauernden Inter¬
essen des Volkes, Handel und Industrie, der Antheil am Mittelmeer.

Und endlich: die Herrschaft Oestreichs über Venetien liegt nicht
so sehr in deutschem Interesse, daß wir das Recht hätten, sie
mit unserm Geld und Blut zu erhalten. Die sogenannten militäri¬
schen Gesichtspunkte sind ein Axiom, welches aus dem Mittelalter überkam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/340>, abgerufen am 24.07.2024.