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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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irgend eine Verpflichtung einzugehn, oder eine Phrase für eine Leistung an¬
zunehmen. Denn man war sich vollkommen klar, daß auch der gute Wille
Oestreichs zunächst nicht viel mehr leisten könne, als ein Paar Blätter beschrie¬
benes Papier, wie sie in der letzten Zeit ebenso zahlreich als fruchtlos aus
der Hofburg in die Provinzen geflattert sind. So schadhaft ist dort das alte
Räderwerk der Verwaltung, so zahlreich sind die hindernden Einflüsse, welche
sich der Ausführung auch guter Intentionen entgegensetzen, daß der augen¬
blickliche reale Erfolg der preußischen Einwirkung sicher sehr unbedeutend sein
wird. Demungeachtet haben diese Forderungen Preußens und das Eingehn
Oestreichs darauf keine geringe Bedeutung, und es lohnt, einen Augenblick dabei
zu verweilen. Wie milde und hochsinnig die Form war, in welcher Preußen
seine Wünsche der östreichischen Negierung insinuirte, der Moment drückte doch
unzweifelhaft das Verhältniß aus, in welchem beide Staaten jetzt zu einander
stehn. Der eine, ein Verfassungsstaat, fest in sich selbst ruhend und deshalb
schon in die Machtsphäre des andern übergreifend, der andere Hilfe suchend
und in der Lage, fremde Einwirkung ans seine innern Angelegenheiten tragen
zu müssen. Von diesem Standpunkt aus durften die preußischen Staatsmänner
allerdings die Tage von Teplitz als scharfen Gegensatz zu dem Tage von Laxen-
burg betrachten. Aber dies Selbstgefühl hat nur Berechtigung, wenn die er¬
freuliche Situation als Stufe betrachtet wird zu weiterem entschlossenen Bor¬
ge du und zu fester Benutzung der errungenen Erfolge. Der Prinzregcnt
von Preußen hat in Teplitz das Recht erworben, sich als Schützer der Pro¬
testanten von Oestreich zu betrachten. Diese Stellung kann die höchste und
aussichtsvollste werden, welche jemals ein preußischer Regent gewonnen hat,
sie kann entscheidend werden für die ganze Zukunft unsers Vaterlandes, wenn
sie mit. der Ehrlichkeit und Rücksicht geltend gemacht wird, welche unser Jahr¬
hundert verlangt, zugleich aber mit der Energie, welche Karl der Zwölfte von
Schweden in ähnlicher Stellung bewies, und mit größerer politischer Klugheit
als diesem Monarchen zu Gebote stand. Auch hier kommt es daraus an, ob
die preußische Regierung sich der möglichen Eventualitäten bewußt ist, und
ob sie den Muth hat, für Großes fest und weise zu handeln.

In Wahrheit aber liegt die Unterstützung, welche der östreichischen Regie¬
rung für gewisse Fälle als möglich gezeigt wurde, nicht allein im Interesse
Oestreichs, sondern ebenso sehr im höchsten Interesse Preußens und Europas.
Es ist durchaus unerträglich und jede Rücksicht auf Selbsterhaltung zwingt zu
verhindern, daß Frankreich noch einmal durch Verträge mit Piemont sich ver¬
größere. Da der Staat, welcher die nächste Verpflichtung gehabt hätte, sich
solcher Vergrößerung entgegenzustellen, da England in dem entscheidenden Mo¬
mente so gut wie nichts dagegen gethan hat, und da durchaus zweifelhaft ist,
wie das Ministerium Palmerston weitere Fortschritte seines alliirten Gegners


irgend eine Verpflichtung einzugehn, oder eine Phrase für eine Leistung an¬
zunehmen. Denn man war sich vollkommen klar, daß auch der gute Wille
Oestreichs zunächst nicht viel mehr leisten könne, als ein Paar Blätter beschrie¬
benes Papier, wie sie in der letzten Zeit ebenso zahlreich als fruchtlos aus
der Hofburg in die Provinzen geflattert sind. So schadhaft ist dort das alte
Räderwerk der Verwaltung, so zahlreich sind die hindernden Einflüsse, welche
sich der Ausführung auch guter Intentionen entgegensetzen, daß der augen¬
blickliche reale Erfolg der preußischen Einwirkung sicher sehr unbedeutend sein
wird. Demungeachtet haben diese Forderungen Preußens und das Eingehn
Oestreichs darauf keine geringe Bedeutung, und es lohnt, einen Augenblick dabei
zu verweilen. Wie milde und hochsinnig die Form war, in welcher Preußen
seine Wünsche der östreichischen Negierung insinuirte, der Moment drückte doch
unzweifelhaft das Verhältniß aus, in welchem beide Staaten jetzt zu einander
stehn. Der eine, ein Verfassungsstaat, fest in sich selbst ruhend und deshalb
schon in die Machtsphäre des andern übergreifend, der andere Hilfe suchend
und in der Lage, fremde Einwirkung ans seine innern Angelegenheiten tragen
zu müssen. Von diesem Standpunkt aus durften die preußischen Staatsmänner
allerdings die Tage von Teplitz als scharfen Gegensatz zu dem Tage von Laxen-
burg betrachten. Aber dies Selbstgefühl hat nur Berechtigung, wenn die er¬
freuliche Situation als Stufe betrachtet wird zu weiterem entschlossenen Bor¬
ge du und zu fester Benutzung der errungenen Erfolge. Der Prinzregcnt
von Preußen hat in Teplitz das Recht erworben, sich als Schützer der Pro¬
testanten von Oestreich zu betrachten. Diese Stellung kann die höchste und
aussichtsvollste werden, welche jemals ein preußischer Regent gewonnen hat,
sie kann entscheidend werden für die ganze Zukunft unsers Vaterlandes, wenn
sie mit. der Ehrlichkeit und Rücksicht geltend gemacht wird, welche unser Jahr¬
hundert verlangt, zugleich aber mit der Energie, welche Karl der Zwölfte von
Schweden in ähnlicher Stellung bewies, und mit größerer politischer Klugheit
als diesem Monarchen zu Gebote stand. Auch hier kommt es daraus an, ob
die preußische Regierung sich der möglichen Eventualitäten bewußt ist, und
ob sie den Muth hat, für Großes fest und weise zu handeln.

In Wahrheit aber liegt die Unterstützung, welche der östreichischen Regie¬
rung für gewisse Fälle als möglich gezeigt wurde, nicht allein im Interesse
Oestreichs, sondern ebenso sehr im höchsten Interesse Preußens und Europas.
Es ist durchaus unerträglich und jede Rücksicht auf Selbsterhaltung zwingt zu
verhindern, daß Frankreich noch einmal durch Verträge mit Piemont sich ver¬
größere. Da der Staat, welcher die nächste Verpflichtung gehabt hätte, sich
solcher Vergrößerung entgegenzustellen, da England in dem entscheidenden Mo¬
mente so gut wie nichts dagegen gethan hat, und da durchaus zweifelhaft ist,
wie das Ministerium Palmerston weitere Fortschritte seines alliirten Gegners


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/338>, abgerufen am 04.07.2024.