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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Jahres Art, die beste, Die Ernte ist da mit ihren Mühen und Freuden.
Die Sense blinkt, die Schwaden fallen, und die Knechte rüsten in den Höfen
die Wagen, um die Garben einzuholen. Verschen wir uns in einige der
deutschen Landschaften, um zuzusehen, wie unsere Bauern ihre Ernte halten.
Vieles, was einst Gebrauch war, ist selbst in entlegnen Gegenden verschwun¬
den. Die Ernteseucr, die im Bergischcn und ebenso in Franken flammten,
und in die man noch im vorigen Jahrhundert wie in der Heidenzeit ein
Opfer an Getreidekörnern oder ganzen Garben warf, sind erloschen; Anderes
ist von der Kirche oder der Polizei theils mit Recht, theils mit Unrecht als thö¬
richter Unfug verboten oder von dem Volke freiwillig aufgegeben worden;
die stattlichen Aufzüge der alten Zeit, wo man die Ernte gemeinsam einholte,
haben mit dem Aufhören der Dreifelderwirthschaft, welches die Tage der Ernte
aus einem Dorffeste in ein Familienfest verwandeln mußte, ein Ende genom¬
men. Indeß ist noch mancherlei erhalten, was Stoff zu einem hübschen Bilde
gibt und zugleich die große Uebereinstimmung der Volkssitten durch ganz
Deutschland zeigt.

Dahin gehört zunächst der Gebrauch, auf die letzte Garbe ein beson¬
deres Gewicht zu legen, der, aus ein altes Opfer hinweisend, von den Bergen
Tirols bis zu den hecknmschlossenen Feldern der Schleswig-holsteinischen Geest¬
lande angetroffen wird. Weit verbreitet ist ferner die Sitte, beim Einfahren
des Getreides die Fuder mit grünen Büschen zu bestecken. Dann spielt bei
den Erntefesten der Hahn eine große Rolle. Endlich sind Ernteschmäuse
mit besonderen Gerichten und alterthümliche Erntetänze noch allgemein im
Schwange.

Ein schöner Gebrauch ist in den tiroler Dörfern Alpach und Wildschöncm
das "Brauteinläuten". Das Getreide muß hier des Bodens wegen von den
Mannsleuten auf der Schulter vom Acker in die Scheuer getragen werden.
Wen es dabei trifft, die letzte Garbe heimzubringen, der hat, wie das Volk
sagt, "die Braut gekriegt." und wie man einen Brautzug mit Sang und Klang
heimführt, so wird auch dem Bräutigam, der die Roggen- oder Waizenbraut
erworben, möglichste Ehre angethan. Wer irgend im Gehöft abkommen
kann, geht ihm mit Kuhglocken und Almschellen entgegen. Eine der Frauen
bringt ihm aus einem Teller Branntwein, Butterbrot und Honig zur Erquickung.
Dann geht der Zug unter beständigem Geläut heimwärts, und wenn man in
die Nähe des Hauses gelangt, mischt auch die Essenglocke auf dem Dach ihr
Willkommen in das Gebimmel und Geklingel.

Hoch oben im Norden, in Angeln jenseits der Schlei, hält man es bei¬
nahe ganz so wie dort an der Grenze Italiens. Die Festlichkeit wird hier
"Arnebeer", Erntebier, genannt. Die letzten Halme, die von den Schnit¬
tern gemäht worden sind, werden dabei zur Gestalt einer Puppe, die "Font"


Jahres Art, die beste, Die Ernte ist da mit ihren Mühen und Freuden.
Die Sense blinkt, die Schwaden fallen, und die Knechte rüsten in den Höfen
die Wagen, um die Garben einzuholen. Verschen wir uns in einige der
deutschen Landschaften, um zuzusehen, wie unsere Bauern ihre Ernte halten.
Vieles, was einst Gebrauch war, ist selbst in entlegnen Gegenden verschwun¬
den. Die Ernteseucr, die im Bergischcn und ebenso in Franken flammten,
und in die man noch im vorigen Jahrhundert wie in der Heidenzeit ein
Opfer an Getreidekörnern oder ganzen Garben warf, sind erloschen; Anderes
ist von der Kirche oder der Polizei theils mit Recht, theils mit Unrecht als thö¬
richter Unfug verboten oder von dem Volke freiwillig aufgegeben worden;
die stattlichen Aufzüge der alten Zeit, wo man die Ernte gemeinsam einholte,
haben mit dem Aufhören der Dreifelderwirthschaft, welches die Tage der Ernte
aus einem Dorffeste in ein Familienfest verwandeln mußte, ein Ende genom¬
men. Indeß ist noch mancherlei erhalten, was Stoff zu einem hübschen Bilde
gibt und zugleich die große Uebereinstimmung der Volkssitten durch ganz
Deutschland zeigt.

Dahin gehört zunächst der Gebrauch, auf die letzte Garbe ein beson¬
deres Gewicht zu legen, der, aus ein altes Opfer hinweisend, von den Bergen
Tirols bis zu den hecknmschlossenen Feldern der Schleswig-holsteinischen Geest¬
lande angetroffen wird. Weit verbreitet ist ferner die Sitte, beim Einfahren
des Getreides die Fuder mit grünen Büschen zu bestecken. Dann spielt bei
den Erntefesten der Hahn eine große Rolle. Endlich sind Ernteschmäuse
mit besonderen Gerichten und alterthümliche Erntetänze noch allgemein im
Schwange.

Ein schöner Gebrauch ist in den tiroler Dörfern Alpach und Wildschöncm
das „Brauteinläuten". Das Getreide muß hier des Bodens wegen von den
Mannsleuten auf der Schulter vom Acker in die Scheuer getragen werden.
Wen es dabei trifft, die letzte Garbe heimzubringen, der hat, wie das Volk
sagt, „die Braut gekriegt." und wie man einen Brautzug mit Sang und Klang
heimführt, so wird auch dem Bräutigam, der die Roggen- oder Waizenbraut
erworben, möglichste Ehre angethan. Wer irgend im Gehöft abkommen
kann, geht ihm mit Kuhglocken und Almschellen entgegen. Eine der Frauen
bringt ihm aus einem Teller Branntwein, Butterbrot und Honig zur Erquickung.
Dann geht der Zug unter beständigem Geläut heimwärts, und wenn man in
die Nähe des Hauses gelangt, mischt auch die Essenglocke auf dem Dach ihr
Willkommen in das Gebimmel und Geklingel.

Hoch oben im Norden, in Angeln jenseits der Schlei, hält man es bei¬
nahe ganz so wie dort an der Grenze Italiens. Die Festlichkeit wird hier
„Arnebeer", Erntebier, genannt. Die letzten Halme, die von den Schnit¬
tern gemäht worden sind, werden dabei zur Gestalt einer Puppe, die „Font"


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[0314] Jahres Art, die beste, Die Ernte ist da mit ihren Mühen und Freuden. Die Sense blinkt, die Schwaden fallen, und die Knechte rüsten in den Höfen die Wagen, um die Garben einzuholen. Verschen wir uns in einige der deutschen Landschaften, um zuzusehen, wie unsere Bauern ihre Ernte halten. Vieles, was einst Gebrauch war, ist selbst in entlegnen Gegenden verschwun¬ den. Die Ernteseucr, die im Bergischcn und ebenso in Franken flammten, und in die man noch im vorigen Jahrhundert wie in der Heidenzeit ein Opfer an Getreidekörnern oder ganzen Garben warf, sind erloschen; Anderes ist von der Kirche oder der Polizei theils mit Recht, theils mit Unrecht als thö¬ richter Unfug verboten oder von dem Volke freiwillig aufgegeben worden; die stattlichen Aufzüge der alten Zeit, wo man die Ernte gemeinsam einholte, haben mit dem Aufhören der Dreifelderwirthschaft, welches die Tage der Ernte aus einem Dorffeste in ein Familienfest verwandeln mußte, ein Ende genom¬ men. Indeß ist noch mancherlei erhalten, was Stoff zu einem hübschen Bilde gibt und zugleich die große Uebereinstimmung der Volkssitten durch ganz Deutschland zeigt. Dahin gehört zunächst der Gebrauch, auf die letzte Garbe ein beson¬ deres Gewicht zu legen, der, aus ein altes Opfer hinweisend, von den Bergen Tirols bis zu den hecknmschlossenen Feldern der Schleswig-holsteinischen Geest¬ lande angetroffen wird. Weit verbreitet ist ferner die Sitte, beim Einfahren des Getreides die Fuder mit grünen Büschen zu bestecken. Dann spielt bei den Erntefesten der Hahn eine große Rolle. Endlich sind Ernteschmäuse mit besonderen Gerichten und alterthümliche Erntetänze noch allgemein im Schwange. Ein schöner Gebrauch ist in den tiroler Dörfern Alpach und Wildschöncm das „Brauteinläuten". Das Getreide muß hier des Bodens wegen von den Mannsleuten auf der Schulter vom Acker in die Scheuer getragen werden. Wen es dabei trifft, die letzte Garbe heimzubringen, der hat, wie das Volk sagt, „die Braut gekriegt." und wie man einen Brautzug mit Sang und Klang heimführt, so wird auch dem Bräutigam, der die Roggen- oder Waizenbraut erworben, möglichste Ehre angethan. Wer irgend im Gehöft abkommen kann, geht ihm mit Kuhglocken und Almschellen entgegen. Eine der Frauen bringt ihm aus einem Teller Branntwein, Butterbrot und Honig zur Erquickung. Dann geht der Zug unter beständigem Geläut heimwärts, und wenn man in die Nähe des Hauses gelangt, mischt auch die Essenglocke auf dem Dach ihr Willkommen in das Gebimmel und Geklingel. Hoch oben im Norden, in Angeln jenseits der Schlei, hält man es bei¬ nahe ganz so wie dort an der Grenze Italiens. Die Festlichkeit wird hier „Arnebeer", Erntebier, genannt. Die letzten Halme, die von den Schnit¬ tern gemäht worden sind, werden dabei zur Gestalt einer Puppe, die „Font"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/314>, abgerufen am 24.07.2024.