Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Antwort des liebenswürdigen Vaters bestand darin, daß er ihm bei
seinem Fluch verbot, je wieder sein Haus zu betreten. Unter solchen Umständen
wird man sich nicht wundern, wenn man Stimmungen begegnet, wie die fol¬
gende (S. 704).

Es ist dock Race in dieser Verzweiflung! -- Man lese noch folgendes
Gedicht (S. 204). Der Dichter sieht im Traume ein krankes Frauenbild, von
wilden Nachtgestalten gequält, gehetzt, athemlos niederstürzen:

[Beginn Spaltensatz] Die Gegend vor dem Trauerspiele
Wies in der Nah' ein lustig Feld:
Auf diesem lacht' und scherzten viele,
Wie wenn man etwa Hochzeit hält.
Es waren Freund und Anverwandten,
Die unsrer Aermsten Noth wol kannten;
Sie rief, sie schrie, sie weint' und bat,
Und streckte die zerfleischten Armen.
Nicht einer war, der aus Erbarmen
Nur wenig Schritte näher trat. [Spaltenumbruch] Drauf ächzte sie zum letzten Male:
Ach Himmel! hilf mir aus der Noth!j
Er that es mit dem schärfsten Strahle,
Sein Mitleid war ihr schneller Tod.
Die Feinde schleppten ihre Leiche
Durch Wege, Sand, Morast und Sträuche,
Ihr Grabmal war ein wüster Ort.
Mein Aug' erschrak vor solchem Grimme,
Und wachte gleich von dieser Stimme:
So schickt man deine Jugend fort! [Ende Spaltensatz]

Krank, innerlich gebrochen, kam er Mitte December 1722 in Jena an.
Aus dieser Zeit sind noch einige seiner zartesten Lieder. Endlich sieht er den
Tod kommen, und dichtet seine "letzten Gedanken" (S. 837).


Grenzboten III. 1860. 38

Die Antwort des liebenswürdigen Vaters bestand darin, daß er ihm bei
seinem Fluch verbot, je wieder sein Haus zu betreten. Unter solchen Umständen
wird man sich nicht wundern, wenn man Stimmungen begegnet, wie die fol¬
gende (S. 704).

Es ist dock Race in dieser Verzweiflung! — Man lese noch folgendes
Gedicht (S. 204). Der Dichter sieht im Traume ein krankes Frauenbild, von
wilden Nachtgestalten gequält, gehetzt, athemlos niederstürzen:

[Beginn Spaltensatz] Die Gegend vor dem Trauerspiele
Wies in der Nah' ein lustig Feld:
Auf diesem lacht' und scherzten viele,
Wie wenn man etwa Hochzeit hält.
Es waren Freund und Anverwandten,
Die unsrer Aermsten Noth wol kannten;
Sie rief, sie schrie, sie weint' und bat,
Und streckte die zerfleischten Armen.
Nicht einer war, der aus Erbarmen
Nur wenig Schritte näher trat. [Spaltenumbruch] Drauf ächzte sie zum letzten Male:
Ach Himmel! hilf mir aus der Noth!j
Er that es mit dem schärfsten Strahle,
Sein Mitleid war ihr schneller Tod.
Die Feinde schleppten ihre Leiche
Durch Wege, Sand, Morast und Sträuche,
Ihr Grabmal war ein wüster Ort.
Mein Aug' erschrak vor solchem Grimme,
Und wachte gleich von dieser Stimme:
So schickt man deine Jugend fort! [Ende Spaltensatz]

Krank, innerlich gebrochen, kam er Mitte December 1722 in Jena an.
Aus dieser Zeit sind noch einige seiner zartesten Lieder. Endlich sieht er den
Tod kommen, und dichtet seine „letzten Gedanken" (S. 837).


Grenzboten III. 1860. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110115"/>
          <p xml:id="ID_908"> Die Antwort des liebenswürdigen Vaters bestand darin, daß er ihm bei<lb/>
seinem Fluch verbot, je wieder sein Haus zu betreten. Unter solchen Umständen<lb/>
wird man sich nicht wundern, wenn man Stimmungen begegnet, wie die fol¬<lb/>
gende (S. 704).</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_28" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_909"> Es ist dock Race in dieser Verzweiflung! &#x2014; Man lese noch folgendes<lb/>
Gedicht (S. 204). Der Dichter sieht im Traume ein krankes Frauenbild, von<lb/>
wilden Nachtgestalten gequält, gehetzt, athemlos niederstürzen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_29" type="poem">
            <l><cb type="start"/>
Die Gegend vor dem Trauerspiele<lb/>
Wies in der Nah' ein lustig Feld:<lb/>
Auf diesem lacht' und scherzten viele,<lb/>
Wie wenn man etwa Hochzeit hält.<lb/>
Es waren Freund und Anverwandten,<lb/>
Die unsrer Aermsten Noth wol kannten;<lb/>
Sie rief, sie schrie, sie weint' und bat,<lb/>
Und streckte die zerfleischten Armen.<lb/>
Nicht einer war, der aus Erbarmen<lb/>
Nur wenig Schritte näher trat. <cb/>
Drauf ächzte sie zum letzten Male:<lb/>
Ach Himmel! hilf mir aus der Noth!j<lb/>
Er that es mit dem schärfsten Strahle,<lb/>
Sein Mitleid war ihr schneller Tod.<lb/>
Die Feinde schleppten ihre Leiche<lb/>
Durch Wege, Sand, Morast und Sträuche,<lb/>
Ihr Grabmal war ein wüster Ort.<lb/>
Mein Aug' erschrak vor solchem Grimme,<lb/>
Und wachte gleich von dieser Stimme:<lb/>
So schickt man deine Jugend fort! <cb type="end"/>
</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_910"> Krank, innerlich gebrochen, kam er Mitte December 1722 in Jena an.<lb/>
Aus dieser Zeit sind noch einige seiner zartesten Lieder. Endlich sieht er den<lb/>
Tod kommen, und dichtet seine &#x201E;letzten Gedanken" (S. 837).</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_30" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1860. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] Die Antwort des liebenswürdigen Vaters bestand darin, daß er ihm bei seinem Fluch verbot, je wieder sein Haus zu betreten. Unter solchen Umständen wird man sich nicht wundern, wenn man Stimmungen begegnet, wie die fol¬ gende (S. 704). Es ist dock Race in dieser Verzweiflung! — Man lese noch folgendes Gedicht (S. 204). Der Dichter sieht im Traume ein krankes Frauenbild, von wilden Nachtgestalten gequält, gehetzt, athemlos niederstürzen: Die Gegend vor dem Trauerspiele Wies in der Nah' ein lustig Feld: Auf diesem lacht' und scherzten viele, Wie wenn man etwa Hochzeit hält. Es waren Freund und Anverwandten, Die unsrer Aermsten Noth wol kannten; Sie rief, sie schrie, sie weint' und bat, Und streckte die zerfleischten Armen. Nicht einer war, der aus Erbarmen Nur wenig Schritte näher trat. Drauf ächzte sie zum letzten Male: Ach Himmel! hilf mir aus der Noth!j Er that es mit dem schärfsten Strahle, Sein Mitleid war ihr schneller Tod. Die Feinde schleppten ihre Leiche Durch Wege, Sand, Morast und Sträuche, Ihr Grabmal war ein wüster Ort. Mein Aug' erschrak vor solchem Grimme, Und wachte gleich von dieser Stimme: So schickt man deine Jugend fort! Krank, innerlich gebrochen, kam er Mitte December 1722 in Jena an. Aus dieser Zeit sind noch einige seiner zartesten Lieder. Endlich sieht er den Tod kommen, und dichtet seine „letzten Gedanken" (S. 837). Grenzboten III. 1860. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/309>, abgerufen am 25.07.2024.