lockendes, und man hört die oben angeführte Romanze, die von der bonapar- tischen Familie selbst ausgeht, mit großer Begeisterung in allen französischen Häfen erschallen. An einem Einverständnis; zwischen Frankreich und Rußland in'der orientalischen Frage ist nicht zu zweifeln, wenn man die russische Pro- phezeihung der zu erwartenden Metzeleien mit den wirklichen Metzeleien zu¬ sammen hält. Vielleicht hat sich England mittlerweile überzeugt, daß die Behauptung des Kaisers Nikolaus von dem kranken Mann doch nicht unge- gründet war; vielleicht will es jetzt, wenn es sein Absterben doch nicht ver¬ hindern kann, sich an der Erbschaft betheiligen; vielleicht sieht es gar nicht ungern, daß hier im Orient, wo ihm Rußland viel gefährlicher ist als Frank¬ reich, dieses letztere gleichfalls einen festen Halt gewinnt.
Daß Lord Palmerston grade diesen Augenblick dazu benutzt, eine fulmi¬ nante Rede gegen Frankreich zu halten, die Eventualitäten aufzuzählen, unter denen Kaiser Napoleon sich versucht fühlen könnte, London zu plündern oder die britischen Schiffe zu verbrennen -- das spricht für uns mehr als^ alles andere dafür, daß irgend ein EinVerständniß zwischen England und Frankreich in der türkischen Sache entweder schon stattfindet oder bevorsteht. Denn jene Droh¬ ungen waren so hart, so persönlich ausgesprochen, daß der Kaiser vollständig im Recht wäre, im ernstesten Ton eine Erklärung darüber zu verlangen. In einem Augenblick, wo die Truppen beider Länder gemeinschaftlich in Hinter¬ asten operiren! Napoleon wird bestimmt wissen, wie er jene Rede aufzu¬ fassen hat.
Oder will Napoleon etwa als Schutzherr der romanischen Race ein starkes Italien wie ein starkes Spanien um sich haben, um so aus dem neu arangirten europäischen Concert die Germanen leicht zu überstimmen?
Alle diese Vielleicht sollen nur dazu dienen, die nachfolgende Betrach¬ tung einzuleiten.
Die Teplitzer Zusammenkunft ist nicht die letzte -- ohnehin wurde der Prinzregent gleich nach seiner Zurückkunft von seiner kaiserlichen Schwester em¬ pfangen -- es werden noch einige nach andern Seiten erfolgen. Man kann den preußischen Staat jetzt wirklich den vielumworbencn nennen, und es herrscht im Verkehr doch jetzt ein anderer Ton als früher. Preußen wird aber wis¬ sen, daß es nicht aus den Ton ankommt, sondern auf die Sache, und es wird daher seine Aufmerksamkeit auf die Sachen richten.
Preußen hat an der italienischen Frage nur ein mittelbares, in der orien¬ talischen Frage zunächst gar kein Interesse. Es muß wünschen, daß sich in Italien ein geordneter Zustand herstelle, ein Zustand, der Dauer verspricht, der die Ausbreitung des revolutionären Geistes verhindert und der es zugleich Oestreich unmöglich macht, durch fortwährende Einmischung in die transal¬ pinischen Händel sich selbst und unter Umständen auch seine "natürlichen
lockendes, und man hört die oben angeführte Romanze, die von der bonapar- tischen Familie selbst ausgeht, mit großer Begeisterung in allen französischen Häfen erschallen. An einem Einverständnis; zwischen Frankreich und Rußland in'der orientalischen Frage ist nicht zu zweifeln, wenn man die russische Pro- phezeihung der zu erwartenden Metzeleien mit den wirklichen Metzeleien zu¬ sammen hält. Vielleicht hat sich England mittlerweile überzeugt, daß die Behauptung des Kaisers Nikolaus von dem kranken Mann doch nicht unge- gründet war; vielleicht will es jetzt, wenn es sein Absterben doch nicht ver¬ hindern kann, sich an der Erbschaft betheiligen; vielleicht sieht es gar nicht ungern, daß hier im Orient, wo ihm Rußland viel gefährlicher ist als Frank¬ reich, dieses letztere gleichfalls einen festen Halt gewinnt.
Daß Lord Palmerston grade diesen Augenblick dazu benutzt, eine fulmi¬ nante Rede gegen Frankreich zu halten, die Eventualitäten aufzuzählen, unter denen Kaiser Napoleon sich versucht fühlen könnte, London zu plündern oder die britischen Schiffe zu verbrennen — das spricht für uns mehr als^ alles andere dafür, daß irgend ein EinVerständniß zwischen England und Frankreich in der türkischen Sache entweder schon stattfindet oder bevorsteht. Denn jene Droh¬ ungen waren so hart, so persönlich ausgesprochen, daß der Kaiser vollständig im Recht wäre, im ernstesten Ton eine Erklärung darüber zu verlangen. In einem Augenblick, wo die Truppen beider Länder gemeinschaftlich in Hinter¬ asten operiren! Napoleon wird bestimmt wissen, wie er jene Rede aufzu¬ fassen hat.
Oder will Napoleon etwa als Schutzherr der romanischen Race ein starkes Italien wie ein starkes Spanien um sich haben, um so aus dem neu arangirten europäischen Concert die Germanen leicht zu überstimmen?
Alle diese Vielleicht sollen nur dazu dienen, die nachfolgende Betrach¬ tung einzuleiten.
Die Teplitzer Zusammenkunft ist nicht die letzte — ohnehin wurde der Prinzregent gleich nach seiner Zurückkunft von seiner kaiserlichen Schwester em¬ pfangen — es werden noch einige nach andern Seiten erfolgen. Man kann den preußischen Staat jetzt wirklich den vielumworbencn nennen, und es herrscht im Verkehr doch jetzt ein anderer Ton als früher. Preußen wird aber wis¬ sen, daß es nicht aus den Ton ankommt, sondern auf die Sache, und es wird daher seine Aufmerksamkeit auf die Sachen richten.
Preußen hat an der italienischen Frage nur ein mittelbares, in der orien¬ talischen Frage zunächst gar kein Interesse. Es muß wünschen, daß sich in Italien ein geordneter Zustand herstelle, ein Zustand, der Dauer verspricht, der die Ausbreitung des revolutionären Geistes verhindert und der es zugleich Oestreich unmöglich macht, durch fortwährende Einmischung in die transal¬ pinischen Händel sich selbst und unter Umständen auch seine „natürlichen
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in'der orientalischen Frage ist nicht zu zweifeln, wenn man die russische Pro-
phezeihung der zu erwartenden Metzeleien mit den wirklichen Metzeleien zu¬
sammen hält. Vielleicht hat sich England mittlerweile überzeugt, daß die
Behauptung des Kaisers Nikolaus von dem kranken Mann doch nicht unge-
gründet war; vielleicht will es jetzt, wenn es sein Absterben doch nicht ver¬
hindern kann, sich an der Erbschaft betheiligen; vielleicht sieht es gar nicht
ungern, daß hier im Orient, wo ihm Rußland viel gefährlicher ist als Frank¬
reich, dieses letztere gleichfalls einen festen Halt gewinnt.
Daß Lord Palmerston grade diesen Augenblick dazu benutzt, eine fulmi¬
nante Rede gegen Frankreich zu halten, die Eventualitäten aufzuzählen, unter
denen Kaiser Napoleon sich versucht fühlen könnte, London zu plündern oder
die britischen Schiffe zu verbrennen — das spricht für uns mehr als^ alles andere
dafür, daß irgend ein EinVerständniß zwischen England und Frankreich in der
türkischen Sache entweder schon stattfindet oder bevorsteht. Denn jene Droh¬
ungen waren so hart, so persönlich ausgesprochen, daß der Kaiser vollständig
im Recht wäre, im ernstesten Ton eine Erklärung darüber zu verlangen. In
einem Augenblick, wo die Truppen beider Länder gemeinschaftlich in Hinter¬
asten operiren! Napoleon wird bestimmt wissen, wie er jene Rede aufzu¬
fassen hat.
Oder will Napoleon etwa als Schutzherr der romanischen Race ein starkes
Italien wie ein starkes Spanien um sich haben, um so aus dem neu arangirten
europäischen Concert die Germanen leicht zu überstimmen?
Alle diese Vielleicht sollen nur dazu dienen, die nachfolgende Betrach¬
tung einzuleiten.
Die Teplitzer Zusammenkunft ist nicht die letzte — ohnehin wurde der
Prinzregent gleich nach seiner Zurückkunft von seiner kaiserlichen Schwester em¬
pfangen — es werden noch einige nach andern Seiten erfolgen. Man kann
den preußischen Staat jetzt wirklich den vielumworbencn nennen, und es herrscht
im Verkehr doch jetzt ein anderer Ton als früher. Preußen wird aber wis¬
sen, daß es nicht aus den Ton ankommt, sondern auf die Sache, und es wird
daher seine Aufmerksamkeit auf die Sachen richten.
Preußen hat an der italienischen Frage nur ein mittelbares, in der orien¬
talischen Frage zunächst gar kein Interesse. Es muß wünschen, daß sich in
Italien ein geordneter Zustand herstelle, ein Zustand, der Dauer verspricht,
der die Ausbreitung des revolutionären Geistes verhindert und der es zugleich
Oestreich unmöglich macht, durch fortwährende Einmischung in die transal¬
pinischen Händel sich selbst und unter Umständen auch seine „natürlichen
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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/248>, abgerufen am 23.01.2025.
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