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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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tung derselben. Wir können demnach mit Zuversicht die Hoffnung aussprechen,
daß Preußen noch immer freie Hand behalten hat, sich in den neuen Com¬
binationen der europäischen Politik, so weit sie nicht die Integrität des deut¬
schen Bundesgebiets irr Frage stellen, ausschließlich durch seine eignen Inter¬
essen bestimmen zu lassen.

Zwar sagt die preußische Zeitung, zwischen den beiden Herrschern hätte
sich in allen brennenden Fragen ein erfreuliches EinVerständniß gefunden, und
die Kreuzzeitung jubelt schon über das neue Olmütz, über die neue glorreiche
Buße Preußens, über die sichere Zukunft der feudalen Partei. Aber der Prinz
hat offen erklärt, er werde an seiner alten Politik festhalte", und -- den
26. Juli hat am Bundestag zu Frankfurt sich in zwei brennenden Fragen eine
erhebliche Differenz zwischen der Ansicht der beiden Staaten herausgestellt.
Daß Oestreich im Innern zu Befriedigung Preußens den Weg der "Konstitution"
betreten hat, bleibt immer mehr eine moralische als eine politische Befriedigung;
auch Neapel ist aus diesem Wege, es bleibt nun zu erwarten, was auf dem¬
selben herauskommen wird. Ebenso wenig scheinen die europäischen Ange¬
legenheiten ein Verständniß zu begünstigen.

Die brennenden Fragen sind jetzt die italienische und orientalische; auch
die letztere ist bereits in ein Stadium getreten, daß sie voraussichtlich in
Kurzem einen sehr bedenklichen Umfang gewinnen wird. Um Preußens In¬
teresse an diesen beiden Fragen festzustellen, muß man zunächst ein Verhältniß
ins Auge fassen, welches man im Ganzen bis jetzt zu obenhin behandelt hat:
das Verhältniß zwischen England und Frankreich. --

Durch zahlreiche Correspondenten ist über Lord Palmerston in Deutsch¬
land die sonderbarste Meinung verbreitet. Nach den Einen ist er von Nu߬
land erkauft, England zu ruiniren, und verfolgt diesen Plan mit teuflischer
Bosheit und Consequenz. Nach den Andern steht er in geheimnißvollen ver¬
wandtschaftlichen Beziehungen zu Napoleon dem Dritten und arbeitet aus¬
schließlich im bonapartischen Familieninteresse. Noch nach andern ist er ein
einfacher Hanswurst, der nicht weiß was er will. Drese drei Anklagen fallen
Zwar keineswegs zusammen, aber sie werden mit so viel Geschick fortwährend
durcheinander gemischt, daß man sich im Publikum ein aus allen dreien zu¬
sammengesetztes Bild aus ihm gemacht hat.

Neuerdings ist eine vierte Version aufgetaucht. Er soll nämlich irgend¬
wo, angeblich sogar zum östreichischen Gesandten, gesagt haben, er werde sich
an die Spitze einer Koalition gegen Napoleon und den Bonapartismus
stellen, diese Coalition aber keineswegs aus den alten morschen Dynastien,
sondern aus den lebenskräftigen Völkern zusammensetzen. So weit wir davon
entfernt sind, dem alten schlauen Staatsmann so idealistische Motive unter-


Grenzboten III. 1860. 30

tung derselben. Wir können demnach mit Zuversicht die Hoffnung aussprechen,
daß Preußen noch immer freie Hand behalten hat, sich in den neuen Com¬
binationen der europäischen Politik, so weit sie nicht die Integrität des deut¬
schen Bundesgebiets irr Frage stellen, ausschließlich durch seine eignen Inter¬
essen bestimmen zu lassen.

Zwar sagt die preußische Zeitung, zwischen den beiden Herrschern hätte
sich in allen brennenden Fragen ein erfreuliches EinVerständniß gefunden, und
die Kreuzzeitung jubelt schon über das neue Olmütz, über die neue glorreiche
Buße Preußens, über die sichere Zukunft der feudalen Partei. Aber der Prinz
hat offen erklärt, er werde an seiner alten Politik festhalte», und — den
26. Juli hat am Bundestag zu Frankfurt sich in zwei brennenden Fragen eine
erhebliche Differenz zwischen der Ansicht der beiden Staaten herausgestellt.
Daß Oestreich im Innern zu Befriedigung Preußens den Weg der „Konstitution"
betreten hat, bleibt immer mehr eine moralische als eine politische Befriedigung;
auch Neapel ist aus diesem Wege, es bleibt nun zu erwarten, was auf dem¬
selben herauskommen wird. Ebenso wenig scheinen die europäischen Ange¬
legenheiten ein Verständniß zu begünstigen.

Die brennenden Fragen sind jetzt die italienische und orientalische; auch
die letztere ist bereits in ein Stadium getreten, daß sie voraussichtlich in
Kurzem einen sehr bedenklichen Umfang gewinnen wird. Um Preußens In¬
teresse an diesen beiden Fragen festzustellen, muß man zunächst ein Verhältniß
ins Auge fassen, welches man im Ganzen bis jetzt zu obenhin behandelt hat:
das Verhältniß zwischen England und Frankreich. —

Durch zahlreiche Correspondenten ist über Lord Palmerston in Deutsch¬
land die sonderbarste Meinung verbreitet. Nach den Einen ist er von Nu߬
land erkauft, England zu ruiniren, und verfolgt diesen Plan mit teuflischer
Bosheit und Consequenz. Nach den Andern steht er in geheimnißvollen ver¬
wandtschaftlichen Beziehungen zu Napoleon dem Dritten und arbeitet aus¬
schließlich im bonapartischen Familieninteresse. Noch nach andern ist er ein
einfacher Hanswurst, der nicht weiß was er will. Drese drei Anklagen fallen
Zwar keineswegs zusammen, aber sie werden mit so viel Geschick fortwährend
durcheinander gemischt, daß man sich im Publikum ein aus allen dreien zu¬
sammengesetztes Bild aus ihm gemacht hat.

Neuerdings ist eine vierte Version aufgetaucht. Er soll nämlich irgend¬
wo, angeblich sogar zum östreichischen Gesandten, gesagt haben, er werde sich
an die Spitze einer Koalition gegen Napoleon und den Bonapartismus
stellen, diese Coalition aber keineswegs aus den alten morschen Dynastien,
sondern aus den lebenskräftigen Völkern zusammensetzen. So weit wir davon
entfernt sind, dem alten schlauen Staatsmann so idealistische Motive unter-


Grenzboten III. 1860. 30
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[0245] tung derselben. Wir können demnach mit Zuversicht die Hoffnung aussprechen, daß Preußen noch immer freie Hand behalten hat, sich in den neuen Com¬ binationen der europäischen Politik, so weit sie nicht die Integrität des deut¬ schen Bundesgebiets irr Frage stellen, ausschließlich durch seine eignen Inter¬ essen bestimmen zu lassen. Zwar sagt die preußische Zeitung, zwischen den beiden Herrschern hätte sich in allen brennenden Fragen ein erfreuliches EinVerständniß gefunden, und die Kreuzzeitung jubelt schon über das neue Olmütz, über die neue glorreiche Buße Preußens, über die sichere Zukunft der feudalen Partei. Aber der Prinz hat offen erklärt, er werde an seiner alten Politik festhalte», und — den 26. Juli hat am Bundestag zu Frankfurt sich in zwei brennenden Fragen eine erhebliche Differenz zwischen der Ansicht der beiden Staaten herausgestellt. Daß Oestreich im Innern zu Befriedigung Preußens den Weg der „Konstitution" betreten hat, bleibt immer mehr eine moralische als eine politische Befriedigung; auch Neapel ist aus diesem Wege, es bleibt nun zu erwarten, was auf dem¬ selben herauskommen wird. Ebenso wenig scheinen die europäischen Ange¬ legenheiten ein Verständniß zu begünstigen. Die brennenden Fragen sind jetzt die italienische und orientalische; auch die letztere ist bereits in ein Stadium getreten, daß sie voraussichtlich in Kurzem einen sehr bedenklichen Umfang gewinnen wird. Um Preußens In¬ teresse an diesen beiden Fragen festzustellen, muß man zunächst ein Verhältniß ins Auge fassen, welches man im Ganzen bis jetzt zu obenhin behandelt hat: das Verhältniß zwischen England und Frankreich. — Durch zahlreiche Correspondenten ist über Lord Palmerston in Deutsch¬ land die sonderbarste Meinung verbreitet. Nach den Einen ist er von Nu߬ land erkauft, England zu ruiniren, und verfolgt diesen Plan mit teuflischer Bosheit und Consequenz. Nach den Andern steht er in geheimnißvollen ver¬ wandtschaftlichen Beziehungen zu Napoleon dem Dritten und arbeitet aus¬ schließlich im bonapartischen Familieninteresse. Noch nach andern ist er ein einfacher Hanswurst, der nicht weiß was er will. Drese drei Anklagen fallen Zwar keineswegs zusammen, aber sie werden mit so viel Geschick fortwährend durcheinander gemischt, daß man sich im Publikum ein aus allen dreien zu¬ sammengesetztes Bild aus ihm gemacht hat. Neuerdings ist eine vierte Version aufgetaucht. Er soll nämlich irgend¬ wo, angeblich sogar zum östreichischen Gesandten, gesagt haben, er werde sich an die Spitze einer Koalition gegen Napoleon und den Bonapartismus stellen, diese Coalition aber keineswegs aus den alten morschen Dynastien, sondern aus den lebenskräftigen Völkern zusammensetzen. So weit wir davon entfernt sind, dem alten schlauen Staatsmann so idealistische Motive unter- Grenzboten III. 1860. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/245>, abgerufen am 04.07.2024.