Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das alles sind Motive jener endlichen auf den Tag, auf die Stunde ge¬
richteten Politik, die allerdings in allen praktischen Fragen das erste Wort
sprechen muß. Aber nicht das letzte. -- Preußens Beruf ist nicht heute, nicht
morgen durchzuführen, aber es verscherzt ihn, wenn es grundsätzlich dagegen
handelt. Preußens Macht beruht auf dem deutschen Nationalgefühl, und
mehr und mehr stellt sich heraus, daß unter allen weltbewegenden Mächten
der neuern Zeit dieses Nationalgefühl die erste Stelle einnimmt. Das Welt-
bürgerthum des vorigen Jahrhunderts glaubte nicht daran: ebensowenig sein
größter Held, Napoleon I. England, Rußland, Deutschland, Spanien über¬
führte ihn seines Irrthums; mehr und mehr trachten diese Nationen darnach,
sia, auch die angemessene politische Form zu geben. Italien, nach langen
Zuckungen, ist jetzt in dieselbe Reese getreten. Freilich in ungeordneter Weise,
sehr gegen das Völkerrecht. Wir wollen alles Kopfschütteln gegen Victor Ema-
nuel und Cavour gern zulassen; wir haben nichts dagegen, wenn man Gari-
baldi einen Rüuberhauptmann nennt; aber wenn die preußische Zeitung be¬
hauptet, mit Ausnahme einiger Flibustierzüge gegen die Insel Cuba sei so
etwas nicht vorgekommen, so ist das doch zuviel gesagt. Der Gründer der
jetzigen britischen Dynastie, Wilhelm von Oranien, hat doch etwas ähnliches
unternommen. Im tiefsten Frieden, noch dazu gegen seinen Schwiegervater.
Garibaldi ist freilich kein Fürst, aber er wirkt doch für einen Fürsten. Die
Fürsten von Toscana u. s. w. sind sehr mit Unrecht ihrer Staaten beraubt;
aber nun das Unrecht einmal verübt, ist es doch besser so, als wie es war..
Vielleicht haben wir noch Gelegenheit, uns über Neapel ähnlich auszudrücken.
Vielleicht; denn auch wir haben mit großer Besorgniß dies wilde Hazardspiel
angesehn. -- Die Abstimmung eines Volks über seine Regierungsform ist
eine Fratze, darüber ist im Grund alle Welt einig. Aber es versteckt sich da¬
hinter doch ein realer, d, h. im Leben wirksamer und fruchtbarer Gedanke:
daß die Staaten nicht blos die Diener einzelner Fürsten sind, wie im Mittel¬
alter, sondern der Ausdruck einer sittlichen Macht, jener Macht, die man Na¬
tion nennt. Die Fürsten, denen es gelingt, die Führer, die Beherrscher dieser
Mächte zu werden, können ihrer Dynastie die längste Dauer versprechen.
Preußen hat eine solide, materielle Basis; aber wichtiger ist ihm der ideelle
Zug, den man mit der Vorstellung dieses Staats verknüpft, und Heil dem
Fürsten, der diese Physiognomie seines eigenen Lebenselements nicht verkennt!
^V ^ / ' / , , "/"




Das alles sind Motive jener endlichen auf den Tag, auf die Stunde ge¬
richteten Politik, die allerdings in allen praktischen Fragen das erste Wort
sprechen muß. Aber nicht das letzte. — Preußens Beruf ist nicht heute, nicht
morgen durchzuführen, aber es verscherzt ihn, wenn es grundsätzlich dagegen
handelt. Preußens Macht beruht auf dem deutschen Nationalgefühl, und
mehr und mehr stellt sich heraus, daß unter allen weltbewegenden Mächten
der neuern Zeit dieses Nationalgefühl die erste Stelle einnimmt. Das Welt-
bürgerthum des vorigen Jahrhunderts glaubte nicht daran: ebensowenig sein
größter Held, Napoleon I. England, Rußland, Deutschland, Spanien über¬
führte ihn seines Irrthums; mehr und mehr trachten diese Nationen darnach,
sia, auch die angemessene politische Form zu geben. Italien, nach langen
Zuckungen, ist jetzt in dieselbe Reese getreten. Freilich in ungeordneter Weise,
sehr gegen das Völkerrecht. Wir wollen alles Kopfschütteln gegen Victor Ema-
nuel und Cavour gern zulassen; wir haben nichts dagegen, wenn man Gari-
baldi einen Rüuberhauptmann nennt; aber wenn die preußische Zeitung be¬
hauptet, mit Ausnahme einiger Flibustierzüge gegen die Insel Cuba sei so
etwas nicht vorgekommen, so ist das doch zuviel gesagt. Der Gründer der
jetzigen britischen Dynastie, Wilhelm von Oranien, hat doch etwas ähnliches
unternommen. Im tiefsten Frieden, noch dazu gegen seinen Schwiegervater.
Garibaldi ist freilich kein Fürst, aber er wirkt doch für einen Fürsten. Die
Fürsten von Toscana u. s. w. sind sehr mit Unrecht ihrer Staaten beraubt;
aber nun das Unrecht einmal verübt, ist es doch besser so, als wie es war..
Vielleicht haben wir noch Gelegenheit, uns über Neapel ähnlich auszudrücken.
Vielleicht; denn auch wir haben mit großer Besorgniß dies wilde Hazardspiel
angesehn. — Die Abstimmung eines Volks über seine Regierungsform ist
eine Fratze, darüber ist im Grund alle Welt einig. Aber es versteckt sich da¬
hinter doch ein realer, d, h. im Leben wirksamer und fruchtbarer Gedanke:
daß die Staaten nicht blos die Diener einzelner Fürsten sind, wie im Mittel¬
alter, sondern der Ausdruck einer sittlichen Macht, jener Macht, die man Na¬
tion nennt. Die Fürsten, denen es gelingt, die Führer, die Beherrscher dieser
Mächte zu werden, können ihrer Dynastie die längste Dauer versprechen.
Preußen hat eine solide, materielle Basis; aber wichtiger ist ihm der ideelle
Zug, den man mit der Vorstellung dieses Staats verknüpft, und Heil dem
Fürsten, der diese Physiognomie seines eigenen Lebenselements nicht verkennt!
^V ^ / ' / , , "/"




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110017"/>
          <p xml:id="ID_590"> Das alles sind Motive jener endlichen auf den Tag, auf die Stunde ge¬<lb/>
richteten Politik, die allerdings in allen praktischen Fragen das erste Wort<lb/>
sprechen muß. Aber nicht das letzte. &#x2014; Preußens Beruf ist nicht heute, nicht<lb/>
morgen durchzuführen, aber es verscherzt ihn, wenn es grundsätzlich dagegen<lb/>
handelt. Preußens Macht beruht auf dem deutschen Nationalgefühl, und<lb/>
mehr und mehr stellt sich heraus, daß unter allen weltbewegenden Mächten<lb/>
der neuern Zeit dieses Nationalgefühl die erste Stelle einnimmt. Das Welt-<lb/>
bürgerthum des vorigen Jahrhunderts glaubte nicht daran: ebensowenig sein<lb/>
größter Held, Napoleon I. England, Rußland, Deutschland, Spanien über¬<lb/>
führte ihn seines Irrthums; mehr und mehr trachten diese Nationen darnach,<lb/>
sia, auch die angemessene politische Form zu geben. Italien, nach langen<lb/>
Zuckungen, ist jetzt in dieselbe Reese getreten. Freilich in ungeordneter Weise,<lb/>
sehr gegen das Völkerrecht. Wir wollen alles Kopfschütteln gegen Victor Ema-<lb/>
nuel und Cavour gern zulassen; wir haben nichts dagegen, wenn man Gari-<lb/>
baldi einen Rüuberhauptmann nennt; aber wenn die preußische Zeitung be¬<lb/>
hauptet, mit Ausnahme einiger Flibustierzüge gegen die Insel Cuba sei so<lb/>
etwas nicht vorgekommen, so ist das doch zuviel gesagt. Der Gründer der<lb/>
jetzigen britischen Dynastie, Wilhelm von Oranien, hat doch etwas ähnliches<lb/>
unternommen. Im tiefsten Frieden, noch dazu gegen seinen Schwiegervater.<lb/>
Garibaldi ist freilich kein Fürst, aber er wirkt doch für einen Fürsten. Die<lb/>
Fürsten von Toscana u. s. w. sind sehr mit Unrecht ihrer Staaten beraubt;<lb/>
aber nun das Unrecht einmal verübt, ist es doch besser so, als wie es war..<lb/>
Vielleicht haben wir noch Gelegenheit, uns über Neapel ähnlich auszudrücken.<lb/>
Vielleicht; denn auch wir haben mit großer Besorgniß dies wilde Hazardspiel<lb/>
angesehn. &#x2014; Die Abstimmung eines Volks über seine Regierungsform ist<lb/>
eine Fratze, darüber ist im Grund alle Welt einig. Aber es versteckt sich da¬<lb/>
hinter doch ein realer, d, h. im Leben wirksamer und fruchtbarer Gedanke:<lb/>
daß die Staaten nicht blos die Diener einzelner Fürsten sind, wie im Mittel¬<lb/>
alter, sondern der Ausdruck einer sittlichen Macht, jener Macht, die man Na¬<lb/>
tion nennt. Die Fürsten, denen es gelingt, die Führer, die Beherrscher dieser<lb/>
Mächte zu werden, können ihrer Dynastie die längste Dauer versprechen.<lb/>
Preußen hat eine solide, materielle Basis; aber wichtiger ist ihm der ideelle<lb/>
Zug, den man mit der Vorstellung dieses Staats verknüpft, und Heil dem<lb/>
Fürsten, der diese Physiognomie seines eigenen Lebenselements nicht verkennt!<lb/><note type="byline"> ^V</note> ^ / ' /  , , "/"</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Das alles sind Motive jener endlichen auf den Tag, auf die Stunde ge¬ richteten Politik, die allerdings in allen praktischen Fragen das erste Wort sprechen muß. Aber nicht das letzte. — Preußens Beruf ist nicht heute, nicht morgen durchzuführen, aber es verscherzt ihn, wenn es grundsätzlich dagegen handelt. Preußens Macht beruht auf dem deutschen Nationalgefühl, und mehr und mehr stellt sich heraus, daß unter allen weltbewegenden Mächten der neuern Zeit dieses Nationalgefühl die erste Stelle einnimmt. Das Welt- bürgerthum des vorigen Jahrhunderts glaubte nicht daran: ebensowenig sein größter Held, Napoleon I. England, Rußland, Deutschland, Spanien über¬ führte ihn seines Irrthums; mehr und mehr trachten diese Nationen darnach, sia, auch die angemessene politische Form zu geben. Italien, nach langen Zuckungen, ist jetzt in dieselbe Reese getreten. Freilich in ungeordneter Weise, sehr gegen das Völkerrecht. Wir wollen alles Kopfschütteln gegen Victor Ema- nuel und Cavour gern zulassen; wir haben nichts dagegen, wenn man Gari- baldi einen Rüuberhauptmann nennt; aber wenn die preußische Zeitung be¬ hauptet, mit Ausnahme einiger Flibustierzüge gegen die Insel Cuba sei so etwas nicht vorgekommen, so ist das doch zuviel gesagt. Der Gründer der jetzigen britischen Dynastie, Wilhelm von Oranien, hat doch etwas ähnliches unternommen. Im tiefsten Frieden, noch dazu gegen seinen Schwiegervater. Garibaldi ist freilich kein Fürst, aber er wirkt doch für einen Fürsten. Die Fürsten von Toscana u. s. w. sind sehr mit Unrecht ihrer Staaten beraubt; aber nun das Unrecht einmal verübt, ist es doch besser so, als wie es war.. Vielleicht haben wir noch Gelegenheit, uns über Neapel ähnlich auszudrücken. Vielleicht; denn auch wir haben mit großer Besorgniß dies wilde Hazardspiel angesehn. — Die Abstimmung eines Volks über seine Regierungsform ist eine Fratze, darüber ist im Grund alle Welt einig. Aber es versteckt sich da¬ hinter doch ein realer, d, h. im Leben wirksamer und fruchtbarer Gedanke: daß die Staaten nicht blos die Diener einzelner Fürsten sind, wie im Mittel¬ alter, sondern der Ausdruck einer sittlichen Macht, jener Macht, die man Na¬ tion nennt. Die Fürsten, denen es gelingt, die Führer, die Beherrscher dieser Mächte zu werden, können ihrer Dynastie die längste Dauer versprechen. Preußen hat eine solide, materielle Basis; aber wichtiger ist ihm der ideelle Zug, den man mit der Vorstellung dieses Staats verknüpft, und Heil dem Fürsten, der diese Physiognomie seines eigenen Lebenselements nicht verkennt! ^V ^ / ' / , , "/"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/211>, abgerufen am 24.07.2024.