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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Was Oestreich von Preußen wünscht, ist nicht schwer zu errathen. So
bedrohlich für die Zukunft die orientalische Frage sich gestalten mag. unmittel¬
bare Gefahr liegt für jetzt nur in der italienischen. Welchen Ausgang auch
die gegenwärtigen Händel in der Halbinsel nehmen mögen, ob Neapel und
Sicilien an Victor Emanuel fallen, oder ob in ihnen ein Königreich Murat
aufgerichtet wird, oder ob die Bourbons aufrichtig ins constitutionelle Lager
übergehn und sich mit Piemont verbinden: in allen drei Fällen ist das Ende
der Angriff auf Venedig. Im ersten Fall ist dieser Angriff der Kaufpreis,
den Sardinien zahlen muß, in den beiden andern Fällen ist es der Kaufpreis,
den es sich zahlen läßt.

Was also Oestreich von Preußen wünscht und wünschen muß, ist die Ga¬
rantie Venedigs. Die deutschen Mittelstaaten würden vielleicht zu dieser Ga¬
rantie erbötig sein, allein ihr Gewicht würde nicht ausreichen. Von Rußland
meldet man sehr eifrig und geschäftig, das dortige Cabinet sei über Piemonts
unruhige Politik sehr aufgebracht, und auch über Frankreich äußerst mißver¬
gnügt; noch gibt aber kein Zeichen kund, daß es gewillt sei, diesem doctrinärcn
Mißvergnügen zum Nachtheil seiner Interessen einen thätigen Ausdruck zu geben.
Wäre es dazu gewillt -- wir sähen wahrlich Oestreich eher auf dem Wege
nach Warschau als nach Teplitz! -- Die Whigs wären die letzten, unter den
gegenwärtigen Umständen sich gegen ihre alten Freunde in Italien und gegen
ihren mächtigen Bundesgenossen zu engagiren. -- So bleibt nur Preußen
übrig.

Garantie Venedigs! -- Das Wort klingt unbefangen genug; denn Venedig
ist Oestreichs unzweifelhaft rechtlicher Besitz. Solche Garantieverträge zwischen
zwei Staaten kommen aber nur dann vor, wenn beide sich für einen bestimm¬
ten Fall verbünden, wenn der eine die Politik des andern vollständig zu con-
troliren in der Lage ist. Es wird Oestreich nicht darum zu thun sein, von
Preußen das Versprechen zu erhalten, es werde ihm zu Hilfe kommen, wenn
man es unprovocirt mit Krieg überzieht; Oestreich wird mehr verlangen. Es
wird eine Garantie auf alle Fälle verlangen, und sich in seiner Politik freie
Hand vorbehalten. Garantie Venedigs heißt Garantie Ungarns; heißt Nieder¬
werfung der italienischen Revolution; heißt Unterstützung Neapels; heißt Re¬
stauration Toscanas, Modenas, Parmas; heißt Wiedereroberung Mailands
und in letzter Instanz Eroberung von Sardinien.

Daß solches Oestreichs Wünsche sind, wird Niemand bezweifeln; es fragt
sich, was es Preußen bieten kann, falls es sich an diesem legitimistischen
Kreuzzug betheiligt. -- Wir finden keinen Kaufpreis, der Preußen bestimmen
könnte, sich auf ein Unternehmen einzulassen, welches in letzter Instanz gegen
Preußen selbst gerichtet wäre; denn sobald Oestreich in Italien die alte Stel¬
lung errungen hat, ist seine nächste natürliche Aufgabe, auch in Deutschland


Was Oestreich von Preußen wünscht, ist nicht schwer zu errathen. So
bedrohlich für die Zukunft die orientalische Frage sich gestalten mag. unmittel¬
bare Gefahr liegt für jetzt nur in der italienischen. Welchen Ausgang auch
die gegenwärtigen Händel in der Halbinsel nehmen mögen, ob Neapel und
Sicilien an Victor Emanuel fallen, oder ob in ihnen ein Königreich Murat
aufgerichtet wird, oder ob die Bourbons aufrichtig ins constitutionelle Lager
übergehn und sich mit Piemont verbinden: in allen drei Fällen ist das Ende
der Angriff auf Venedig. Im ersten Fall ist dieser Angriff der Kaufpreis,
den Sardinien zahlen muß, in den beiden andern Fällen ist es der Kaufpreis,
den es sich zahlen läßt.

Was also Oestreich von Preußen wünscht und wünschen muß, ist die Ga¬
rantie Venedigs. Die deutschen Mittelstaaten würden vielleicht zu dieser Ga¬
rantie erbötig sein, allein ihr Gewicht würde nicht ausreichen. Von Rußland
meldet man sehr eifrig und geschäftig, das dortige Cabinet sei über Piemonts
unruhige Politik sehr aufgebracht, und auch über Frankreich äußerst mißver¬
gnügt; noch gibt aber kein Zeichen kund, daß es gewillt sei, diesem doctrinärcn
Mißvergnügen zum Nachtheil seiner Interessen einen thätigen Ausdruck zu geben.
Wäre es dazu gewillt — wir sähen wahrlich Oestreich eher auf dem Wege
nach Warschau als nach Teplitz! — Die Whigs wären die letzten, unter den
gegenwärtigen Umständen sich gegen ihre alten Freunde in Italien und gegen
ihren mächtigen Bundesgenossen zu engagiren. — So bleibt nur Preußen
übrig.

Garantie Venedigs! — Das Wort klingt unbefangen genug; denn Venedig
ist Oestreichs unzweifelhaft rechtlicher Besitz. Solche Garantieverträge zwischen
zwei Staaten kommen aber nur dann vor, wenn beide sich für einen bestimm¬
ten Fall verbünden, wenn der eine die Politik des andern vollständig zu con-
troliren in der Lage ist. Es wird Oestreich nicht darum zu thun sein, von
Preußen das Versprechen zu erhalten, es werde ihm zu Hilfe kommen, wenn
man es unprovocirt mit Krieg überzieht; Oestreich wird mehr verlangen. Es
wird eine Garantie auf alle Fälle verlangen, und sich in seiner Politik freie
Hand vorbehalten. Garantie Venedigs heißt Garantie Ungarns; heißt Nieder¬
werfung der italienischen Revolution; heißt Unterstützung Neapels; heißt Re¬
stauration Toscanas, Modenas, Parmas; heißt Wiedereroberung Mailands
und in letzter Instanz Eroberung von Sardinien.

Daß solches Oestreichs Wünsche sind, wird Niemand bezweifeln; es fragt
sich, was es Preußen bieten kann, falls es sich an diesem legitimistischen
Kreuzzug betheiligt. — Wir finden keinen Kaufpreis, der Preußen bestimmen
könnte, sich auf ein Unternehmen einzulassen, welches in letzter Instanz gegen
Preußen selbst gerichtet wäre; denn sobald Oestreich in Italien die alte Stel¬
lung errungen hat, ist seine nächste natürliche Aufgabe, auch in Deutschland


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[0209] Was Oestreich von Preußen wünscht, ist nicht schwer zu errathen. So bedrohlich für die Zukunft die orientalische Frage sich gestalten mag. unmittel¬ bare Gefahr liegt für jetzt nur in der italienischen. Welchen Ausgang auch die gegenwärtigen Händel in der Halbinsel nehmen mögen, ob Neapel und Sicilien an Victor Emanuel fallen, oder ob in ihnen ein Königreich Murat aufgerichtet wird, oder ob die Bourbons aufrichtig ins constitutionelle Lager übergehn und sich mit Piemont verbinden: in allen drei Fällen ist das Ende der Angriff auf Venedig. Im ersten Fall ist dieser Angriff der Kaufpreis, den Sardinien zahlen muß, in den beiden andern Fällen ist es der Kaufpreis, den es sich zahlen läßt. Was also Oestreich von Preußen wünscht und wünschen muß, ist die Ga¬ rantie Venedigs. Die deutschen Mittelstaaten würden vielleicht zu dieser Ga¬ rantie erbötig sein, allein ihr Gewicht würde nicht ausreichen. Von Rußland meldet man sehr eifrig und geschäftig, das dortige Cabinet sei über Piemonts unruhige Politik sehr aufgebracht, und auch über Frankreich äußerst mißver¬ gnügt; noch gibt aber kein Zeichen kund, daß es gewillt sei, diesem doctrinärcn Mißvergnügen zum Nachtheil seiner Interessen einen thätigen Ausdruck zu geben. Wäre es dazu gewillt — wir sähen wahrlich Oestreich eher auf dem Wege nach Warschau als nach Teplitz! — Die Whigs wären die letzten, unter den gegenwärtigen Umständen sich gegen ihre alten Freunde in Italien und gegen ihren mächtigen Bundesgenossen zu engagiren. — So bleibt nur Preußen übrig. Garantie Venedigs! — Das Wort klingt unbefangen genug; denn Venedig ist Oestreichs unzweifelhaft rechtlicher Besitz. Solche Garantieverträge zwischen zwei Staaten kommen aber nur dann vor, wenn beide sich für einen bestimm¬ ten Fall verbünden, wenn der eine die Politik des andern vollständig zu con- troliren in der Lage ist. Es wird Oestreich nicht darum zu thun sein, von Preußen das Versprechen zu erhalten, es werde ihm zu Hilfe kommen, wenn man es unprovocirt mit Krieg überzieht; Oestreich wird mehr verlangen. Es wird eine Garantie auf alle Fälle verlangen, und sich in seiner Politik freie Hand vorbehalten. Garantie Venedigs heißt Garantie Ungarns; heißt Nieder¬ werfung der italienischen Revolution; heißt Unterstützung Neapels; heißt Re¬ stauration Toscanas, Modenas, Parmas; heißt Wiedereroberung Mailands und in letzter Instanz Eroberung von Sardinien. Daß solches Oestreichs Wünsche sind, wird Niemand bezweifeln; es fragt sich, was es Preußen bieten kann, falls es sich an diesem legitimistischen Kreuzzug betheiligt. — Wir finden keinen Kaufpreis, der Preußen bestimmen könnte, sich auf ein Unternehmen einzulassen, welches in letzter Instanz gegen Preußen selbst gerichtet wäre; denn sobald Oestreich in Italien die alte Stel¬ lung errungen hat, ist seine nächste natürliche Aufgabe, auch in Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/209>, abgerufen am 04.07.2024.