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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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hoffte, erwiesen sich als unzureichend, ja verderblich; die Knebelung der Presse
und jeder freien Entwickelung, die Schaar der servilen Diener und ihre kleinen
Künste, das Spionirwesen und das Bündniß mit Rom, den Jesuiten und
dem gestimmten Klerus, haben nicht Liebe und Vertrauen gesät, kein neues
Band geflochten zwischen Fürst und Unterthan. Man hätte wol noch behag¬
lich in süßem Schlummer fortgeträumt, hätten nicht die Kanonen in Italien
und der Nothschrei der Finanzmänner an die rauhe Wirklichkett gemahnt.
Rathschläge völlig wühlerischer Art tauchten aus, wir jener des Grafen Clam-
Martiny, der aus lauter Furcht vor der Revolution die Umkehr aller staat¬
lichen Verhältnisse, ein Reich des Unverstandes und der Unordnung zu procla-
miren dachte und, weil das Deficit durch höchsten Befehl abgeschafft, fortan
die Kosten der ganzen untern Verwaltung und eines guten Stücks Justiz
auf den Rücken der Gemeinden schreiben wollte. Fast alle bureaukratischen
Reformpläne und darunter selbst jener des Finanzministers Brück zeichneten
sich dadurch aus, daß ihr Aufbau nur bis an die Provincialvcrtretungen reichte;
darüber hinaus wagte sich mit Ausnahme des phantastischen Politikers in der
deutschen Viertcljahrschrift kein Staatsmann in Oestreich, Und nun scheint
es, als ob selbst dieser hochtorystische Reichsrath das verpönteste Wort, den
Schrecken aller gottergebenen Gemüther aus den Lippen trüge: die Constitu-
tion. Die Stimmführer aus Tirol tragen zwar keine Schuld daran, Graf
Wolkenstein ist ein Juwel der Konservativen, und Advocat Straßer erröthet
vor der Öffentlichkeit, und verwahrt sich mit echt tirolischem Patriotismus
gegen jede Verletzung unsrer Eigenthümlichkeiten; aber Ungarn ist es. das
vorwärts drängt, jenes Ungarn, dessen "Einbeziehung in den Reichsverband"
den Vorwand lieh, die Verfassungsurkunde vom 4. März 4849 für "unaus¬
führbar" zu erklären. Unausführbar, dies gestehen wir gerne, war sie von
vorne herein, weil sie Völker so verschiedener Bildungsstufen, so entgegengesetzter
Bestrebungen, so schroffer Antipathien unter einen Hut zu bringen vorgab, dies
führt uns eben aus die Vermuthung, daß man. wenn wieder einmal der Strom
in sein Bett gelenkt, sie wieder zurückzunehmen dachte, so wie sich nun die
reactionäre Hvfpartei über die Scandale die Hände reibt, welche die Wiener
Zeitung so geschäftig abdrückt. Man denkt wol schon auf den unheilbaren
Zwiespalt im Schooß einer so hochgebildeten Versammlung zu verweisen, um
auch dies Almosen als Verschwendung hinzustellen. Daraus folgt aber noch
lange nicht, daß eine freisinnige Verfassung für jede der stammverwandten
Ländergruppen unmöglich ist, für die deutsche, ungarische und slavische. Die
allzuschrvffen Zügel der Einheit, d. i. der Herrschergewalt müßten freilich bei
der bloßen Personalunion nachgelassen werden, der Credit hingegen könnte nur
gewinnen, wenn die Staatsschuld durch Abgeordnete der drei Landtage ver¬
theilt und von diesen verbürgt würde. Vor der Hand deutet noch nicht das


Grenzboten III. 1860, " 25

hoffte, erwiesen sich als unzureichend, ja verderblich; die Knebelung der Presse
und jeder freien Entwickelung, die Schaar der servilen Diener und ihre kleinen
Künste, das Spionirwesen und das Bündniß mit Rom, den Jesuiten und
dem gestimmten Klerus, haben nicht Liebe und Vertrauen gesät, kein neues
Band geflochten zwischen Fürst und Unterthan. Man hätte wol noch behag¬
lich in süßem Schlummer fortgeträumt, hätten nicht die Kanonen in Italien
und der Nothschrei der Finanzmänner an die rauhe Wirklichkett gemahnt.
Rathschläge völlig wühlerischer Art tauchten aus, wir jener des Grafen Clam-
Martiny, der aus lauter Furcht vor der Revolution die Umkehr aller staat¬
lichen Verhältnisse, ein Reich des Unverstandes und der Unordnung zu procla-
miren dachte und, weil das Deficit durch höchsten Befehl abgeschafft, fortan
die Kosten der ganzen untern Verwaltung und eines guten Stücks Justiz
auf den Rücken der Gemeinden schreiben wollte. Fast alle bureaukratischen
Reformpläne und darunter selbst jener des Finanzministers Brück zeichneten
sich dadurch aus, daß ihr Aufbau nur bis an die Provincialvcrtretungen reichte;
darüber hinaus wagte sich mit Ausnahme des phantastischen Politikers in der
deutschen Viertcljahrschrift kein Staatsmann in Oestreich, Und nun scheint
es, als ob selbst dieser hochtorystische Reichsrath das verpönteste Wort, den
Schrecken aller gottergebenen Gemüther aus den Lippen trüge: die Constitu-
tion. Die Stimmführer aus Tirol tragen zwar keine Schuld daran, Graf
Wolkenstein ist ein Juwel der Konservativen, und Advocat Straßer erröthet
vor der Öffentlichkeit, und verwahrt sich mit echt tirolischem Patriotismus
gegen jede Verletzung unsrer Eigenthümlichkeiten; aber Ungarn ist es. das
vorwärts drängt, jenes Ungarn, dessen „Einbeziehung in den Reichsverband"
den Vorwand lieh, die Verfassungsurkunde vom 4. März 4849 für „unaus¬
führbar" zu erklären. Unausführbar, dies gestehen wir gerne, war sie von
vorne herein, weil sie Völker so verschiedener Bildungsstufen, so entgegengesetzter
Bestrebungen, so schroffer Antipathien unter einen Hut zu bringen vorgab, dies
führt uns eben aus die Vermuthung, daß man. wenn wieder einmal der Strom
in sein Bett gelenkt, sie wieder zurückzunehmen dachte, so wie sich nun die
reactionäre Hvfpartei über die Scandale die Hände reibt, welche die Wiener
Zeitung so geschäftig abdrückt. Man denkt wol schon auf den unheilbaren
Zwiespalt im Schooß einer so hochgebildeten Versammlung zu verweisen, um
auch dies Almosen als Verschwendung hinzustellen. Daraus folgt aber noch
lange nicht, daß eine freisinnige Verfassung für jede der stammverwandten
Ländergruppen unmöglich ist, für die deutsche, ungarische und slavische. Die
allzuschrvffen Zügel der Einheit, d. i. der Herrschergewalt müßten freilich bei
der bloßen Personalunion nachgelassen werden, der Credit hingegen könnte nur
gewinnen, wenn die Staatsschuld durch Abgeordnete der drei Landtage ver¬
theilt und von diesen verbürgt würde. Vor der Hand deutet noch nicht das


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[0205] hoffte, erwiesen sich als unzureichend, ja verderblich; die Knebelung der Presse und jeder freien Entwickelung, die Schaar der servilen Diener und ihre kleinen Künste, das Spionirwesen und das Bündniß mit Rom, den Jesuiten und dem gestimmten Klerus, haben nicht Liebe und Vertrauen gesät, kein neues Band geflochten zwischen Fürst und Unterthan. Man hätte wol noch behag¬ lich in süßem Schlummer fortgeträumt, hätten nicht die Kanonen in Italien und der Nothschrei der Finanzmänner an die rauhe Wirklichkett gemahnt. Rathschläge völlig wühlerischer Art tauchten aus, wir jener des Grafen Clam- Martiny, der aus lauter Furcht vor der Revolution die Umkehr aller staat¬ lichen Verhältnisse, ein Reich des Unverstandes und der Unordnung zu procla- miren dachte und, weil das Deficit durch höchsten Befehl abgeschafft, fortan die Kosten der ganzen untern Verwaltung und eines guten Stücks Justiz auf den Rücken der Gemeinden schreiben wollte. Fast alle bureaukratischen Reformpläne und darunter selbst jener des Finanzministers Brück zeichneten sich dadurch aus, daß ihr Aufbau nur bis an die Provincialvcrtretungen reichte; darüber hinaus wagte sich mit Ausnahme des phantastischen Politikers in der deutschen Viertcljahrschrift kein Staatsmann in Oestreich, Und nun scheint es, als ob selbst dieser hochtorystische Reichsrath das verpönteste Wort, den Schrecken aller gottergebenen Gemüther aus den Lippen trüge: die Constitu- tion. Die Stimmführer aus Tirol tragen zwar keine Schuld daran, Graf Wolkenstein ist ein Juwel der Konservativen, und Advocat Straßer erröthet vor der Öffentlichkeit, und verwahrt sich mit echt tirolischem Patriotismus gegen jede Verletzung unsrer Eigenthümlichkeiten; aber Ungarn ist es. das vorwärts drängt, jenes Ungarn, dessen „Einbeziehung in den Reichsverband" den Vorwand lieh, die Verfassungsurkunde vom 4. März 4849 für „unaus¬ führbar" zu erklären. Unausführbar, dies gestehen wir gerne, war sie von vorne herein, weil sie Völker so verschiedener Bildungsstufen, so entgegengesetzter Bestrebungen, so schroffer Antipathien unter einen Hut zu bringen vorgab, dies führt uns eben aus die Vermuthung, daß man. wenn wieder einmal der Strom in sein Bett gelenkt, sie wieder zurückzunehmen dachte, so wie sich nun die reactionäre Hvfpartei über die Scandale die Hände reibt, welche die Wiener Zeitung so geschäftig abdrückt. Man denkt wol schon auf den unheilbaren Zwiespalt im Schooß einer so hochgebildeten Versammlung zu verweisen, um auch dies Almosen als Verschwendung hinzustellen. Daraus folgt aber noch lange nicht, daß eine freisinnige Verfassung für jede der stammverwandten Ländergruppen unmöglich ist, für die deutsche, ungarische und slavische. Die allzuschrvffen Zügel der Einheit, d. i. der Herrschergewalt müßten freilich bei der bloßen Personalunion nachgelassen werden, der Credit hingegen könnte nur gewinnen, wenn die Staatsschuld durch Abgeordnete der drei Landtage ver¬ theilt und von diesen verbürgt würde. Vor der Hand deutet noch nicht das Grenzboten III. 1860, » 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/205>, abgerufen am 24.07.2024.