Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.Familiengeschichten, Complimenten, bedenklichen Anecdoten und Scherzen Zahlreich sind die Mitglieder des Haushaltes und die Dienerschaft, da¬ ") Zu vergleichen Schlesischer Robinson. 1723. 8. I. S. 16. Der Verfasser diese"
Buches hat die geschriebene Selbstbiographie von Paul Winckler vielfach benutzt und einige Mal ausgezogen. Er hat den Verfasser des Edelmanns selbst in seine Erzäh¬ lung verflochten und scheint ihn persönlich gekannt zu haben, wenigstens benutzt er meh¬ rere Veranlassungen, mit besonderer Hochachtung von ihm zu sprechen. Seine Hauptquelle aber waren andere biographische Aufzeichnungen eines schlestschcn Adligen aus dem Herzogthum Brieg, den er selbst von C, nennt. Es ist sehr zu bedauern, daß das interessante Detail dieser Biographie in einer Form überliefert ist, in welcher wirklich Erlebtes und vom Verfasser Er¬ fundenes nicht immer mit Sicherheit getrennt werden kann. Im Verlauf der Erzählung ist Vieles aus andern ungedruckten und gedruckten Quellen zusammengearbeitet, im zweiten Theil z, B. das geschriebene Tagebuch einer italienischen Reise, den Schluß bildet der wörtliche Ab¬ druck einer kleinen Druckschrift: Umständlicher Bericht von Herrn Johann Wilhelm Herzogen von Sachsen auf der Ost-See erlittenen Schiffbruch (Gotha, 1702. 4). -- Der Verfasser dieses Robinsons ist mir unbekannt, Da der Sohn Paul Wincklers. Ferdinand (geb. 20. März 1676) in die adlige Familie von Gladis heirathete, und eine Zeit lang ein kleines Gut in der fürst¬ lichen Doniaine Briefen bei Brieg besaß, so liegt die Vermuthung nahe, daß er einen Antheil an der Abfassung des Buches haben könnte, er hatte wenigstens ebenfalls studirt und sich im Kriege versucht. Dem widerspricht freilich der Umstand, daß dem Manuscript der Selbstbio¬ graphie Wincklers, welches zu Breslau in der städtischen Bibliothek von Se. Bernhardin auf¬ bewahrt wird, ein Zettel von fremder Hand angeheftet ist, welcher Fragen nach dem Todes¬ tag Wincklers und dem Schicksale seiner Kinder enthält. Von den dazu geschriebenen Ant¬ worten eines Dritten ist mehreres fast wörtlich in den schlesischen Robinson (II. S. 2.) auf¬ genommen worden. Darnach hätte der Verfasser nur die erwähnte Abschrift der Biographie und vielleicht einige andere Papiere aus der Hinterlassenschaft Wincklers in Händen gehabt. -- Der erste Theil der Geschichte ist sehr anschaulich erzählt, mit nicht unbedeutendem Talent. Familiengeschichten, Complimenten, bedenklichen Anecdoten und Scherzen Zahlreich sind die Mitglieder des Haushaltes und die Dienerschaft, da¬ ") Zu vergleichen Schlesischer Robinson. 1723. 8. I. S. 16. Der Verfasser diese«
Buches hat die geschriebene Selbstbiographie von Paul Winckler vielfach benutzt und einige Mal ausgezogen. Er hat den Verfasser des Edelmanns selbst in seine Erzäh¬ lung verflochten und scheint ihn persönlich gekannt zu haben, wenigstens benutzt er meh¬ rere Veranlassungen, mit besonderer Hochachtung von ihm zu sprechen. Seine Hauptquelle aber waren andere biographische Aufzeichnungen eines schlestschcn Adligen aus dem Herzogthum Brieg, den er selbst von C, nennt. Es ist sehr zu bedauern, daß das interessante Detail dieser Biographie in einer Form überliefert ist, in welcher wirklich Erlebtes und vom Verfasser Er¬ fundenes nicht immer mit Sicherheit getrennt werden kann. Im Verlauf der Erzählung ist Vieles aus andern ungedruckten und gedruckten Quellen zusammengearbeitet, im zweiten Theil z, B. das geschriebene Tagebuch einer italienischen Reise, den Schluß bildet der wörtliche Ab¬ druck einer kleinen Druckschrift: Umständlicher Bericht von Herrn Johann Wilhelm Herzogen von Sachsen auf der Ost-See erlittenen Schiffbruch (Gotha, 1702. 4). — Der Verfasser dieses Robinsons ist mir unbekannt, Da der Sohn Paul Wincklers. Ferdinand (geb. 20. März 1676) in die adlige Familie von Gladis heirathete, und eine Zeit lang ein kleines Gut in der fürst¬ lichen Doniaine Briefen bei Brieg besaß, so liegt die Vermuthung nahe, daß er einen Antheil an der Abfassung des Buches haben könnte, er hatte wenigstens ebenfalls studirt und sich im Kriege versucht. Dem widerspricht freilich der Umstand, daß dem Manuscript der Selbstbio¬ graphie Wincklers, welches zu Breslau in der städtischen Bibliothek von Se. Bernhardin auf¬ bewahrt wird, ein Zettel von fremder Hand angeheftet ist, welcher Fragen nach dem Todes¬ tag Wincklers und dem Schicksale seiner Kinder enthält. Von den dazu geschriebenen Ant¬ worten eines Dritten ist mehreres fast wörtlich in den schlesischen Robinson (II. S. 2.) auf¬ genommen worden. Darnach hätte der Verfasser nur die erwähnte Abschrift der Biographie und vielleicht einige andere Papiere aus der Hinterlassenschaft Wincklers in Händen gehabt. — Der erste Theil der Geschichte ist sehr anschaulich erzählt, mit nicht unbedeutendem Talent. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109823"/> <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> Familiengeschichten, Complimenten, bedenklichen Anecdoten und Scherzen<lb/> von derber Natur. Es wird stark getrunken und nur die Feinster entziehen<lb/> sich dem Gelage. Zuweilen wird auch eine gesellige Zusammenkunft mit<lb/> Damen an einem dritten Orte arrangirt, im Gasthof oder PostHause, dann<lb/> besorgt jede Dame einige Speisen, die Herren aber Wein und Musik: ist<lb/> ein Bad in der Nähe, so wird die Badesahrt ungern versäumt; auch Schie߬<lb/> feste werden eingerichtet mit ausgesetzten Preisen, das „Beste" ist dann wol ein<lb/> Ochs oder Widder, die Herren schießen entweder mit dem Volk oder unter¬<lb/> einander.</p><lb/> <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Zahlreich sind die Mitglieder des Haushaltes und die Dienerschaft, da¬<lb/> runter originelle Gestalten. Außer dem Hauslehrer lebt im Hause vielleicht<lb/> noch ein alter dem Trunk ergebener Söldner des großen Krieges, „ein Lux-<lb/> bruder," der viel von Torstenson oder Jean de Werth zu lügen weiß; er<lb/> lehrt die Söhne des Edelmanns fechten, die Pike gebrauchen und mit der<lb/> Fahne „spielen", was damals für Salut und Kommando noch viel größere<lb/> Wichtigkeit hatte, als jetzt und er hat ein Patent aufzuweisen, daß er in<lb/> Frankfurt a. M. zum approbirten Meister des langen Schwertes von Se.<lb/> Marco und der Leuenburg geschlagen ist.*) Selten fehlt ein heruntcrgckommner<lb/> Seitenverwandter der Familie, Gebieter des Hundestalls, der den Titel: „Jagd¬<lb/> meister" erhalten hat, der Bewahrer finsterer Waidmannsgebräuche; er weiß</p><lb/> <note xml:id="FID_3" place="foot"> ") Zu vergleichen Schlesischer Robinson. 1723. 8. I. S. 16. Der Verfasser diese«<lb/> Buches hat die geschriebene Selbstbiographie von Paul Winckler vielfach benutzt und<lb/> einige Mal ausgezogen. Er hat den Verfasser des Edelmanns selbst in seine Erzäh¬<lb/> lung verflochten und scheint ihn persönlich gekannt zu haben, wenigstens benutzt er meh¬<lb/> rere Veranlassungen, mit besonderer Hochachtung von ihm zu sprechen. Seine Hauptquelle<lb/> aber waren andere biographische Aufzeichnungen eines schlestschcn Adligen aus dem Herzogthum<lb/> Brieg, den er selbst von C, nennt. Es ist sehr zu bedauern, daß das interessante Detail dieser<lb/> Biographie in einer Form überliefert ist, in welcher wirklich Erlebtes und vom Verfasser Er¬<lb/> fundenes nicht immer mit Sicherheit getrennt werden kann. Im Verlauf der Erzählung ist<lb/> Vieles aus andern ungedruckten und gedruckten Quellen zusammengearbeitet, im zweiten Theil<lb/> z, B. das geschriebene Tagebuch einer italienischen Reise, den Schluß bildet der wörtliche Ab¬<lb/> druck einer kleinen Druckschrift: Umständlicher Bericht von Herrn Johann Wilhelm Herzogen<lb/> von Sachsen auf der Ost-See erlittenen Schiffbruch (Gotha, 1702. 4). — Der Verfasser dieses<lb/> Robinsons ist mir unbekannt, Da der Sohn Paul Wincklers. Ferdinand (geb. 20. März 1676)<lb/> in die adlige Familie von Gladis heirathete, und eine Zeit lang ein kleines Gut in der fürst¬<lb/> lichen Doniaine Briefen bei Brieg besaß, so liegt die Vermuthung nahe, daß er einen Antheil<lb/> an der Abfassung des Buches haben könnte, er hatte wenigstens ebenfalls studirt und sich im<lb/> Kriege versucht. Dem widerspricht freilich der Umstand, daß dem Manuscript der Selbstbio¬<lb/> graphie Wincklers, welches zu Breslau in der städtischen Bibliothek von Se. Bernhardin auf¬<lb/> bewahrt wird, ein Zettel von fremder Hand angeheftet ist, welcher Fragen nach dem Todes¬<lb/> tag Wincklers und dem Schicksale seiner Kinder enthält. Von den dazu geschriebenen Ant¬<lb/> worten eines Dritten ist mehreres fast wörtlich in den schlesischen Robinson (II. S. 2.) auf¬<lb/> genommen worden. Darnach hätte der Verfasser nur die erwähnte Abschrift der Biographie<lb/> und vielleicht einige andere Papiere aus der Hinterlassenschaft Wincklers in Händen gehabt. —<lb/> Der erste Theil der Geschichte ist sehr anschaulich erzählt, mit nicht unbedeutendem Talent.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Familiengeschichten, Complimenten, bedenklichen Anecdoten und Scherzen
von derber Natur. Es wird stark getrunken und nur die Feinster entziehen
sich dem Gelage. Zuweilen wird auch eine gesellige Zusammenkunft mit
Damen an einem dritten Orte arrangirt, im Gasthof oder PostHause, dann
besorgt jede Dame einige Speisen, die Herren aber Wein und Musik: ist
ein Bad in der Nähe, so wird die Badesahrt ungern versäumt; auch Schie߬
feste werden eingerichtet mit ausgesetzten Preisen, das „Beste" ist dann wol ein
Ochs oder Widder, die Herren schießen entweder mit dem Volk oder unter¬
einander.
Zahlreich sind die Mitglieder des Haushaltes und die Dienerschaft, da¬
runter originelle Gestalten. Außer dem Hauslehrer lebt im Hause vielleicht
noch ein alter dem Trunk ergebener Söldner des großen Krieges, „ein Lux-
bruder," der viel von Torstenson oder Jean de Werth zu lügen weiß; er
lehrt die Söhne des Edelmanns fechten, die Pike gebrauchen und mit der
Fahne „spielen", was damals für Salut und Kommando noch viel größere
Wichtigkeit hatte, als jetzt und er hat ein Patent aufzuweisen, daß er in
Frankfurt a. M. zum approbirten Meister des langen Schwertes von Se.
Marco und der Leuenburg geschlagen ist.*) Selten fehlt ein heruntcrgckommner
Seitenverwandter der Familie, Gebieter des Hundestalls, der den Titel: „Jagd¬
meister" erhalten hat, der Bewahrer finsterer Waidmannsgebräuche; er weiß
") Zu vergleichen Schlesischer Robinson. 1723. 8. I. S. 16. Der Verfasser diese«
Buches hat die geschriebene Selbstbiographie von Paul Winckler vielfach benutzt und
einige Mal ausgezogen. Er hat den Verfasser des Edelmanns selbst in seine Erzäh¬
lung verflochten und scheint ihn persönlich gekannt zu haben, wenigstens benutzt er meh¬
rere Veranlassungen, mit besonderer Hochachtung von ihm zu sprechen. Seine Hauptquelle
aber waren andere biographische Aufzeichnungen eines schlestschcn Adligen aus dem Herzogthum
Brieg, den er selbst von C, nennt. Es ist sehr zu bedauern, daß das interessante Detail dieser
Biographie in einer Form überliefert ist, in welcher wirklich Erlebtes und vom Verfasser Er¬
fundenes nicht immer mit Sicherheit getrennt werden kann. Im Verlauf der Erzählung ist
Vieles aus andern ungedruckten und gedruckten Quellen zusammengearbeitet, im zweiten Theil
z, B. das geschriebene Tagebuch einer italienischen Reise, den Schluß bildet der wörtliche Ab¬
druck einer kleinen Druckschrift: Umständlicher Bericht von Herrn Johann Wilhelm Herzogen
von Sachsen auf der Ost-See erlittenen Schiffbruch (Gotha, 1702. 4). — Der Verfasser dieses
Robinsons ist mir unbekannt, Da der Sohn Paul Wincklers. Ferdinand (geb. 20. März 1676)
in die adlige Familie von Gladis heirathete, und eine Zeit lang ein kleines Gut in der fürst¬
lichen Doniaine Briefen bei Brieg besaß, so liegt die Vermuthung nahe, daß er einen Antheil
an der Abfassung des Buches haben könnte, er hatte wenigstens ebenfalls studirt und sich im
Kriege versucht. Dem widerspricht freilich der Umstand, daß dem Manuscript der Selbstbio¬
graphie Wincklers, welches zu Breslau in der städtischen Bibliothek von Se. Bernhardin auf¬
bewahrt wird, ein Zettel von fremder Hand angeheftet ist, welcher Fragen nach dem Todes¬
tag Wincklers und dem Schicksale seiner Kinder enthält. Von den dazu geschriebenen Ant¬
worten eines Dritten ist mehreres fast wörtlich in den schlesischen Robinson (II. S. 2.) auf¬
genommen worden. Darnach hätte der Verfasser nur die erwähnte Abschrift der Biographie
und vielleicht einige andere Papiere aus der Hinterlassenschaft Wincklers in Händen gehabt. —
Der erste Theil der Geschichte ist sehr anschaulich erzählt, mit nicht unbedeutendem Talent.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |