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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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hinreichend gefüllten Geldbeutel geboren wurde, erlangt Aufenthaltserlaubnis?
oder Gewerberecht. Die Uebrigen müssen entweder in der Gemeinde, wo sie
zur Welt kamen, und in welche sie auch dann, wenn dort zur Ausübung des
von ihnen erlernten Gewerbes keine Gelegenheit ist, aus Lebenszeit gebannt
bleiben, verkommen oder jenseits des Oceans ihr Glück suchen oder gar die
Steuerkraft unseres Erbfeindes, des erwerbsfreien Frankreich vermehren.

Dazu kommt, wie angedeutet, daß unter den einzelnen deutschen Gesetz¬
gebungen in dieser Beziehung so wenig wie in den meisten andern Ueberein¬
stimmung herrscht. Und nicht genug, daß jeder einzelne deutsche Staat seine
abgesonderte Gewerbegesctzgebung hat, auch in den einzelnen Provinzen der ver¬
schiedenen Lander, ja in den Kreisen und Ttädten einer und derselben Provinz
herrschen oft ganz entgegengesetzte Vorschriften und Observanzcn. Staat
schließt sich gegen Staat, Bezirk gegen Bezirk ab, und es gibt im gesegneten
doppclzöpfigen Mecklenburg sogar eine gesetzliche Bestimmung, nach welcher
der Arbeiter, der den Arbeitsbezirk, in dem er geboren wurde, zu verlassen und
anderswo für sich und die Seinen Erwerb zu suchen sich erdreistet, mit der
Prügelbank zu bestrafen ist.

In mehren andern Ländern füllt zwar der Stock weg. das Princip aber
ist so ziemlich dasselbe. Daß von Kurhessen nichts Gutes zu berichten sein
wird, setzt der Leser voraus. Aber auch sonst verständiger verwaltete Staaten
verunstaltet in dieser Hinsicht noch entweder der Zunftzopf des Mittelalters
oder der Concessionszopf des Jahrhunderts, in dem die aufgeklärte Despotie
in die Mode kam, deren'Traditionen jetzt in der Bureaukratie fortleben. Das
Concessionswesen konnte nirgends befriedigen. Das Ermessen des Beamten-
thums wird selbst bei den wohlwollendsten Gesinnungen nie im Stande sein,
durch Decretiren aus der Schreibstube einen so zweckmäßigen Zustand zu Schaf.
fen. wie der ist, welcher sich von selbst bildet, wenn man dem großen Princip
freier bürgerlicher Bewegung, wenn man dem Grundsatz der Gewerbefreiheit
unbedingte Geltung zugesteht. Greifen wir aus der Reihe der deutschen Staa¬
ten drei heraus, in denen sich die Uebelstande dieser Einrichtung am deutlichsten
zeigen.

In Sachsen besteht bis jetzt das Zunftsystem in etwas gemilderter Ge¬
stalt fort, und daneben sind von den städtischen Behörden oder der Regierung
zu ertheilende Concessionen eingeführt. Noch gelten mitunter Vorschriften aus
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. An verschiedenen Orten ist die Mei-
sterzahl für einige Handwerke eine geschlossene. Die Vereinigung mehrer Ge¬
schäfte in einer Person wird in der Regel nicht geduldet, sogar bei einigen
freien Gewerben nicht. Ebenso ist der gleichzeitige Betrieb desselben Handwerks
an zwei Orten oder in zwei Werkstätten meist untersagt. Ein Gesetz vom
Jahre 1840 erlaubt (!). daß in jeder Landgemeinde ein Schneider, ein Schuh-


hinreichend gefüllten Geldbeutel geboren wurde, erlangt Aufenthaltserlaubnis?
oder Gewerberecht. Die Uebrigen müssen entweder in der Gemeinde, wo sie
zur Welt kamen, und in welche sie auch dann, wenn dort zur Ausübung des
von ihnen erlernten Gewerbes keine Gelegenheit ist, aus Lebenszeit gebannt
bleiben, verkommen oder jenseits des Oceans ihr Glück suchen oder gar die
Steuerkraft unseres Erbfeindes, des erwerbsfreien Frankreich vermehren.

Dazu kommt, wie angedeutet, daß unter den einzelnen deutschen Gesetz¬
gebungen in dieser Beziehung so wenig wie in den meisten andern Ueberein¬
stimmung herrscht. Und nicht genug, daß jeder einzelne deutsche Staat seine
abgesonderte Gewerbegesctzgebung hat, auch in den einzelnen Provinzen der ver¬
schiedenen Lander, ja in den Kreisen und Ttädten einer und derselben Provinz
herrschen oft ganz entgegengesetzte Vorschriften und Observanzcn. Staat
schließt sich gegen Staat, Bezirk gegen Bezirk ab, und es gibt im gesegneten
doppclzöpfigen Mecklenburg sogar eine gesetzliche Bestimmung, nach welcher
der Arbeiter, der den Arbeitsbezirk, in dem er geboren wurde, zu verlassen und
anderswo für sich und die Seinen Erwerb zu suchen sich erdreistet, mit der
Prügelbank zu bestrafen ist.

In mehren andern Ländern füllt zwar der Stock weg. das Princip aber
ist so ziemlich dasselbe. Daß von Kurhessen nichts Gutes zu berichten sein
wird, setzt der Leser voraus. Aber auch sonst verständiger verwaltete Staaten
verunstaltet in dieser Hinsicht noch entweder der Zunftzopf des Mittelalters
oder der Concessionszopf des Jahrhunderts, in dem die aufgeklärte Despotie
in die Mode kam, deren'Traditionen jetzt in der Bureaukratie fortleben. Das
Concessionswesen konnte nirgends befriedigen. Das Ermessen des Beamten-
thums wird selbst bei den wohlwollendsten Gesinnungen nie im Stande sein,
durch Decretiren aus der Schreibstube einen so zweckmäßigen Zustand zu Schaf.
fen. wie der ist, welcher sich von selbst bildet, wenn man dem großen Princip
freier bürgerlicher Bewegung, wenn man dem Grundsatz der Gewerbefreiheit
unbedingte Geltung zugesteht. Greifen wir aus der Reihe der deutschen Staa¬
ten drei heraus, in denen sich die Uebelstande dieser Einrichtung am deutlichsten
zeigen.

In Sachsen besteht bis jetzt das Zunftsystem in etwas gemilderter Ge¬
stalt fort, und daneben sind von den städtischen Behörden oder der Regierung
zu ertheilende Concessionen eingeführt. Noch gelten mitunter Vorschriften aus
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. An verschiedenen Orten ist die Mei-
sterzahl für einige Handwerke eine geschlossene. Die Vereinigung mehrer Ge¬
schäfte in einer Person wird in der Regel nicht geduldet, sogar bei einigen
freien Gewerben nicht. Ebenso ist der gleichzeitige Betrieb desselben Handwerks
an zwei Orten oder in zwei Werkstätten meist untersagt. Ein Gesetz vom
Jahre 1840 erlaubt (!). daß in jeder Landgemeinde ein Schneider, ein Schuh-


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[0166] hinreichend gefüllten Geldbeutel geboren wurde, erlangt Aufenthaltserlaubnis? oder Gewerberecht. Die Uebrigen müssen entweder in der Gemeinde, wo sie zur Welt kamen, und in welche sie auch dann, wenn dort zur Ausübung des von ihnen erlernten Gewerbes keine Gelegenheit ist, aus Lebenszeit gebannt bleiben, verkommen oder jenseits des Oceans ihr Glück suchen oder gar die Steuerkraft unseres Erbfeindes, des erwerbsfreien Frankreich vermehren. Dazu kommt, wie angedeutet, daß unter den einzelnen deutschen Gesetz¬ gebungen in dieser Beziehung so wenig wie in den meisten andern Ueberein¬ stimmung herrscht. Und nicht genug, daß jeder einzelne deutsche Staat seine abgesonderte Gewerbegesctzgebung hat, auch in den einzelnen Provinzen der ver¬ schiedenen Lander, ja in den Kreisen und Ttädten einer und derselben Provinz herrschen oft ganz entgegengesetzte Vorschriften und Observanzcn. Staat schließt sich gegen Staat, Bezirk gegen Bezirk ab, und es gibt im gesegneten doppclzöpfigen Mecklenburg sogar eine gesetzliche Bestimmung, nach welcher der Arbeiter, der den Arbeitsbezirk, in dem er geboren wurde, zu verlassen und anderswo für sich und die Seinen Erwerb zu suchen sich erdreistet, mit der Prügelbank zu bestrafen ist. In mehren andern Ländern füllt zwar der Stock weg. das Princip aber ist so ziemlich dasselbe. Daß von Kurhessen nichts Gutes zu berichten sein wird, setzt der Leser voraus. Aber auch sonst verständiger verwaltete Staaten verunstaltet in dieser Hinsicht noch entweder der Zunftzopf des Mittelalters oder der Concessionszopf des Jahrhunderts, in dem die aufgeklärte Despotie in die Mode kam, deren'Traditionen jetzt in der Bureaukratie fortleben. Das Concessionswesen konnte nirgends befriedigen. Das Ermessen des Beamten- thums wird selbst bei den wohlwollendsten Gesinnungen nie im Stande sein, durch Decretiren aus der Schreibstube einen so zweckmäßigen Zustand zu Schaf. fen. wie der ist, welcher sich von selbst bildet, wenn man dem großen Princip freier bürgerlicher Bewegung, wenn man dem Grundsatz der Gewerbefreiheit unbedingte Geltung zugesteht. Greifen wir aus der Reihe der deutschen Staa¬ ten drei heraus, in denen sich die Uebelstande dieser Einrichtung am deutlichsten zeigen. In Sachsen besteht bis jetzt das Zunftsystem in etwas gemilderter Ge¬ stalt fort, und daneben sind von den städtischen Behörden oder der Regierung zu ertheilende Concessionen eingeführt. Noch gelten mitunter Vorschriften aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. An verschiedenen Orten ist die Mei- sterzahl für einige Handwerke eine geschlossene. Die Vereinigung mehrer Ge¬ schäfte in einer Person wird in der Regel nicht geduldet, sogar bei einigen freien Gewerben nicht. Ebenso ist der gleichzeitige Betrieb desselben Handwerks an zwei Orten oder in zwei Werkstätten meist untersagt. Ein Gesetz vom Jahre 1840 erlaubt (!). daß in jeder Landgemeinde ein Schneider, ein Schuh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/166>, abgerufen am 24.07.2024.