Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterofficiere und Soldaten, welche irrthümliche Behauptungen in Bezug auf
die Befreiung der Leibeignen ausstreuen, sind streng zu bestrafen."

Wir gehen zu dem über, was Fürst Dolgorukow über die Censur und
die Presse in Rußland mittheilt. Was die erstere unter Nikolaus, namentlich
in den letzten sieben Regicrungsjahren dieses Herrschers war, grenzt an das
Groteske. Bücher, die unter Alexander dem Ersten mit dem Visum der Cen¬
sur erschienen waren, konnten nur mit Auslassungen neu aufgelegt werden.
Es war verboten. Nero oder Caligula oder gar den Czar Iwan den Vierten
als Tyrannen zu bezeichnen. Eine Geschichte des Alterthums zum Schul¬
gebrauch erschien, in der es hieß, die Römer hätten in einer Republik gelebt,
weil sie noch nicht so glücklich gewesen wären, zu erkennen, welch eine Wohl¬
that es sei, von einem Selbstherrscher regiert zu werden. Es war streng unter¬
sagt, von einem Haus Holstein-Gottorf zu sprechen, welches in Rußland den
Thron innehabe, man mußte sagen, es seien die Romanows.

Von 1833 bis 1849 geschah viel für wahre Bildung des Volkes. Der
Unterrichtsminister Uwarow erwarb sich durch Förderung der Schulen und
Universitäten große Verdienste um die Weiterführung Rußlands aus der
Bahn der Civilisation, und der beste Theil der gegenwärtig in Künsten und
Wissenschaften sich auszeichnenden Russen dankt ihm seine Erziehung. Unter
ihm war auch die Censur verhältnißmäßig mild. Da kam der Rückschlag der
Ereignisse von 1848. Uwarow wurde von seinem Posten entfernt, und der
Prinz Platon Schihmatow, ein Tartar von Geburt wie von Grundsätzen, trat
an seine Stelle. Unter ihm erreichte das Regiment der Censur den Gipfel der
Gehässigkeit. In dieser Zeit kam es vor, daß ein Censor Schwierigkeiten
machte, als es in einem Buche dieß, das russische Heer habe bei Kunnersdorf
einen Sieg über den König von Preußen erfochten. Dies dürfe nicht gedruckt
werden, weil "das königliche Haus von Preußen gegenwärtig mit dem kaiser¬
lichen Haus von Nußland verbündet sei". Derselbe gewissenhafte Wächter
politischer Schicklichkeit verhinderte den Verfasser in einem genealogischen Buche
die Namen der Verbannten von 1826 aufzuführen. In dieser Zeit war
es ferner verboten, Pferden Namen von Heiligen zu geben, und man discutirte
in voller Sitzung des Censurcomites, ob dieses Verbot sich blos auf die Hei¬
ligen des Kalenders der griechischen oder auch auf die des Kalenders der abend¬
ländischen Kirche erstrecken solle. Die letztere Meinung behielt die Oberhand.
Dann wurde das Wort Wolnoi Dus aus den Büchern gestrichen, weil es
Wasserbad und zugleich einen freien Geist bedeutet. Ein Mann, dem sein
Hund, der auf den Namen Tyrann hörte, verloren gegangen, wurde verhindert
ihn unter diesem Namen in den Zeitungen zu reclamiren. Man zwang ih",
eine Anzeige einrücken zu lassen, in der demjenigen eine Belohnung zugesagt
wurde, der einen Hund zurückbringe, welcher auf den Namen Fidele höre!


Unterofficiere und Soldaten, welche irrthümliche Behauptungen in Bezug auf
die Befreiung der Leibeignen ausstreuen, sind streng zu bestrafen."

Wir gehen zu dem über, was Fürst Dolgorukow über die Censur und
die Presse in Rußland mittheilt. Was die erstere unter Nikolaus, namentlich
in den letzten sieben Regicrungsjahren dieses Herrschers war, grenzt an das
Groteske. Bücher, die unter Alexander dem Ersten mit dem Visum der Cen¬
sur erschienen waren, konnten nur mit Auslassungen neu aufgelegt werden.
Es war verboten. Nero oder Caligula oder gar den Czar Iwan den Vierten
als Tyrannen zu bezeichnen. Eine Geschichte des Alterthums zum Schul¬
gebrauch erschien, in der es hieß, die Römer hätten in einer Republik gelebt,
weil sie noch nicht so glücklich gewesen wären, zu erkennen, welch eine Wohl¬
that es sei, von einem Selbstherrscher regiert zu werden. Es war streng unter¬
sagt, von einem Haus Holstein-Gottorf zu sprechen, welches in Rußland den
Thron innehabe, man mußte sagen, es seien die Romanows.

Von 1833 bis 1849 geschah viel für wahre Bildung des Volkes. Der
Unterrichtsminister Uwarow erwarb sich durch Förderung der Schulen und
Universitäten große Verdienste um die Weiterführung Rußlands aus der
Bahn der Civilisation, und der beste Theil der gegenwärtig in Künsten und
Wissenschaften sich auszeichnenden Russen dankt ihm seine Erziehung. Unter
ihm war auch die Censur verhältnißmäßig mild. Da kam der Rückschlag der
Ereignisse von 1848. Uwarow wurde von seinem Posten entfernt, und der
Prinz Platon Schihmatow, ein Tartar von Geburt wie von Grundsätzen, trat
an seine Stelle. Unter ihm erreichte das Regiment der Censur den Gipfel der
Gehässigkeit. In dieser Zeit kam es vor, daß ein Censor Schwierigkeiten
machte, als es in einem Buche dieß, das russische Heer habe bei Kunnersdorf
einen Sieg über den König von Preußen erfochten. Dies dürfe nicht gedruckt
werden, weil „das königliche Haus von Preußen gegenwärtig mit dem kaiser¬
lichen Haus von Nußland verbündet sei". Derselbe gewissenhafte Wächter
politischer Schicklichkeit verhinderte den Verfasser in einem genealogischen Buche
die Namen der Verbannten von 1826 aufzuführen. In dieser Zeit war
es ferner verboten, Pferden Namen von Heiligen zu geben, und man discutirte
in voller Sitzung des Censurcomites, ob dieses Verbot sich blos auf die Hei¬
ligen des Kalenders der griechischen oder auch auf die des Kalenders der abend¬
ländischen Kirche erstrecken solle. Die letztere Meinung behielt die Oberhand.
Dann wurde das Wort Wolnoi Dus aus den Büchern gestrichen, weil es
Wasserbad und zugleich einen freien Geist bedeutet. Ein Mann, dem sein
Hund, der auf den Namen Tyrann hörte, verloren gegangen, wurde verhindert
ihn unter diesem Namen in den Zeitungen zu reclamiren. Man zwang ih»,
eine Anzeige einrücken zu lassen, in der demjenigen eine Belohnung zugesagt
wurde, der einen Hund zurückbringe, welcher auf den Namen Fidele höre!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109962"/>
          <p xml:id="ID_413" prev="#ID_412"> Unterofficiere und Soldaten, welche irrthümliche Behauptungen in Bezug auf<lb/>
die Befreiung der Leibeignen ausstreuen, sind streng zu bestrafen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_414"> Wir gehen zu dem über, was Fürst Dolgorukow über die Censur und<lb/>
die Presse in Rußland mittheilt. Was die erstere unter Nikolaus, namentlich<lb/>
in den letzten sieben Regicrungsjahren dieses Herrschers war, grenzt an das<lb/>
Groteske. Bücher, die unter Alexander dem Ersten mit dem Visum der Cen¬<lb/>
sur erschienen waren, konnten nur mit Auslassungen neu aufgelegt werden.<lb/>
Es war verboten. Nero oder Caligula oder gar den Czar Iwan den Vierten<lb/>
als Tyrannen zu bezeichnen. Eine Geschichte des Alterthums zum Schul¬<lb/>
gebrauch erschien, in der es hieß, die Römer hätten in einer Republik gelebt,<lb/>
weil sie noch nicht so glücklich gewesen wären, zu erkennen, welch eine Wohl¬<lb/>
that es sei, von einem Selbstherrscher regiert zu werden. Es war streng unter¬<lb/>
sagt, von einem Haus Holstein-Gottorf zu sprechen, welches in Rußland den<lb/>
Thron innehabe, man mußte sagen, es seien die Romanows.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_415"> Von 1833 bis 1849 geschah viel für wahre Bildung des Volkes. Der<lb/>
Unterrichtsminister Uwarow erwarb sich durch Förderung der Schulen und<lb/>
Universitäten große Verdienste um die Weiterführung Rußlands aus der<lb/>
Bahn der Civilisation, und der beste Theil der gegenwärtig in Künsten und<lb/>
Wissenschaften sich auszeichnenden Russen dankt ihm seine Erziehung. Unter<lb/>
ihm war auch die Censur verhältnißmäßig mild. Da kam der Rückschlag der<lb/>
Ereignisse von 1848. Uwarow wurde von seinem Posten entfernt, und der<lb/>
Prinz Platon Schihmatow, ein Tartar von Geburt wie von Grundsätzen, trat<lb/>
an seine Stelle. Unter ihm erreichte das Regiment der Censur den Gipfel der<lb/>
Gehässigkeit. In dieser Zeit kam es vor, daß ein Censor Schwierigkeiten<lb/>
machte, als es in einem Buche dieß, das russische Heer habe bei Kunnersdorf<lb/>
einen Sieg über den König von Preußen erfochten. Dies dürfe nicht gedruckt<lb/>
werden, weil &#x201E;das königliche Haus von Preußen gegenwärtig mit dem kaiser¬<lb/>
lichen Haus von Nußland verbündet sei". Derselbe gewissenhafte Wächter<lb/>
politischer Schicklichkeit verhinderte den Verfasser in einem genealogischen Buche<lb/>
die Namen der Verbannten von 1826 aufzuführen. In dieser Zeit war<lb/>
es ferner verboten, Pferden Namen von Heiligen zu geben, und man discutirte<lb/>
in voller Sitzung des Censurcomites, ob dieses Verbot sich blos auf die Hei¬<lb/>
ligen des Kalenders der griechischen oder auch auf die des Kalenders der abend¬<lb/>
ländischen Kirche erstrecken solle. Die letztere Meinung behielt die Oberhand.<lb/>
Dann wurde das Wort Wolnoi Dus aus den Büchern gestrichen, weil es<lb/>
Wasserbad und zugleich einen freien Geist bedeutet. Ein Mann, dem sein<lb/>
Hund, der auf den Namen Tyrann hörte, verloren gegangen, wurde verhindert<lb/>
ihn unter diesem Namen in den Zeitungen zu reclamiren. Man zwang ih»,<lb/>
eine Anzeige einrücken zu lassen, in der demjenigen eine Belohnung zugesagt<lb/>
wurde, der einen Hund zurückbringe, welcher auf den Namen Fidele höre!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] Unterofficiere und Soldaten, welche irrthümliche Behauptungen in Bezug auf die Befreiung der Leibeignen ausstreuen, sind streng zu bestrafen." Wir gehen zu dem über, was Fürst Dolgorukow über die Censur und die Presse in Rußland mittheilt. Was die erstere unter Nikolaus, namentlich in den letzten sieben Regicrungsjahren dieses Herrschers war, grenzt an das Groteske. Bücher, die unter Alexander dem Ersten mit dem Visum der Cen¬ sur erschienen waren, konnten nur mit Auslassungen neu aufgelegt werden. Es war verboten. Nero oder Caligula oder gar den Czar Iwan den Vierten als Tyrannen zu bezeichnen. Eine Geschichte des Alterthums zum Schul¬ gebrauch erschien, in der es hieß, die Römer hätten in einer Republik gelebt, weil sie noch nicht so glücklich gewesen wären, zu erkennen, welch eine Wohl¬ that es sei, von einem Selbstherrscher regiert zu werden. Es war streng unter¬ sagt, von einem Haus Holstein-Gottorf zu sprechen, welches in Rußland den Thron innehabe, man mußte sagen, es seien die Romanows. Von 1833 bis 1849 geschah viel für wahre Bildung des Volkes. Der Unterrichtsminister Uwarow erwarb sich durch Förderung der Schulen und Universitäten große Verdienste um die Weiterführung Rußlands aus der Bahn der Civilisation, und der beste Theil der gegenwärtig in Künsten und Wissenschaften sich auszeichnenden Russen dankt ihm seine Erziehung. Unter ihm war auch die Censur verhältnißmäßig mild. Da kam der Rückschlag der Ereignisse von 1848. Uwarow wurde von seinem Posten entfernt, und der Prinz Platon Schihmatow, ein Tartar von Geburt wie von Grundsätzen, trat an seine Stelle. Unter ihm erreichte das Regiment der Censur den Gipfel der Gehässigkeit. In dieser Zeit kam es vor, daß ein Censor Schwierigkeiten machte, als es in einem Buche dieß, das russische Heer habe bei Kunnersdorf einen Sieg über den König von Preußen erfochten. Dies dürfe nicht gedruckt werden, weil „das königliche Haus von Preußen gegenwärtig mit dem kaiser¬ lichen Haus von Nußland verbündet sei". Derselbe gewissenhafte Wächter politischer Schicklichkeit verhinderte den Verfasser in einem genealogischen Buche die Namen der Verbannten von 1826 aufzuführen. In dieser Zeit war es ferner verboten, Pferden Namen von Heiligen zu geben, und man discutirte in voller Sitzung des Censurcomites, ob dieses Verbot sich blos auf die Hei¬ ligen des Kalenders der griechischen oder auch auf die des Kalenders der abend¬ ländischen Kirche erstrecken solle. Die letztere Meinung behielt die Oberhand. Dann wurde das Wort Wolnoi Dus aus den Büchern gestrichen, weil es Wasserbad und zugleich einen freien Geist bedeutet. Ein Mann, dem sein Hund, der auf den Namen Tyrann hörte, verloren gegangen, wurde verhindert ihn unter diesem Namen in den Zeitungen zu reclamiren. Man zwang ih», eine Anzeige einrücken zu lassen, in der demjenigen eine Belohnung zugesagt wurde, der einen Hund zurückbringe, welcher auf den Namen Fidele höre!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/156>, abgerufen am 26.06.2024.