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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die russische Allianz mit Frankreich wird nur dann von Dauer sein, wenn
sie Rußland einen bestimmten Vortheil gewährt. Dieser Erwerb kann nur im
Orient liegen. Die Frucht ist reif zum Abschütteln. Ein russischer Fortschritt
im Orient kann aber nur auf Kosten Oestreichs geschehn, und dieser Umstand
wird die russischen Politiker nicht grade zurückhalten.

Wenn man Napoleon, abgesehn von seiner Staatsklugheit, eine Sym¬
pathie des Instincts zuschreiben darf, so ist es die Sympathie für Nationali¬
täten. Freilich wird diese Sympathie unbedingt weichen, wenn sie mit der
Staatsklugheit streitet; wo das aber nicht der Fall ist, muß man sie allerdings
in Rechnung bringen. Gegen keine Nation -- die Italiener ausgenommen --
hat sich diese Sympathie so laut ausgesprochen, als gegen die Ungarn.

Mit einem Wort: die Lage der Dinge spricht dafür, daß der nächste
Sturm wieder gegen Oestreich gerichtet ist. Ohnehin kann Oestreich aus die
Dauer in seiner passiven Lage nicht verharren, und es wird äußerst leicht sein,
sobald die Frucht reif ist, die Rolle des Angreifers Oestreich zuzutheilen, grade
wie 1859.

Das alles kann freilich nicht mit mathematischer Gewißheit behauptet
werden; aber die Gründe der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit sprechen doch
so laut, daß man sich wenigstens die Frage vorlegen muß: was soll Deutsch¬
land thun, wenn der Fall eintritt? wenn eine russisch-französisch-italienische
Allianz sich gegen Oestreich erhebt, und allenfalls noch Verbündete im Innern
Oestreichs findet? -- Die Frage ist ernst, ja entscheidend für unsre Zukunft.

Wären die deutschen Fürsten (mit Ausschluß von Oestreich) einig, so wäre
die Frage leicht zu beantworten; leider ist es aber nicht der Fall, und die vier
Könige, in steter Besorgnis; vor preußischen Annexationsgelüsten, werden es
entschieden mit Oestreich halten. In dem einzigen Staat, wo vielleicht die
Regierung durch ihr eignes Interesse noch am nächsten zu Preußen hingezogen
wäre, in Bayern ist die Bevölkerung für jetzt noch überwiegend östreichisch
gesinnt.

Wie steht es mit Preußen? -- Bon allem, was in Baden gesprochen ist,
haben uns am meisten die Worte des Prinzregenten überrascht, die eine Ver¬
ständigung mit Oestreich in Aussicht stellten. Sie haben uns um so mehr
überrascht, da gleichzeitig zwei, nur wenig Tage vorher ausgefertigte Noten
veröffentlicht wurden, von denen die östreichische, so kurz angebunden als mög¬
lich, den preußischen Antrag auf die Reform der Bundeskriegsverfassung ver¬
warf, und die preußische Note, auch nicht übertrieben höflich, diese Thatsache
constatirte. Dann ist zwar eine neue östreichische Note erfolgt, die aber im
Grunde gar nichts sagt; es sind auch neue Unterhandlungen eingeleitet, denen
man aber so lange keinen Erfolg versprechen darf, als die beiden Staaten ihren
Standpunkt festhalten: Oestreich den Standpunkt, daß es allenfalls in eine


Die russische Allianz mit Frankreich wird nur dann von Dauer sein, wenn
sie Rußland einen bestimmten Vortheil gewährt. Dieser Erwerb kann nur im
Orient liegen. Die Frucht ist reif zum Abschütteln. Ein russischer Fortschritt
im Orient kann aber nur auf Kosten Oestreichs geschehn, und dieser Umstand
wird die russischen Politiker nicht grade zurückhalten.

Wenn man Napoleon, abgesehn von seiner Staatsklugheit, eine Sym¬
pathie des Instincts zuschreiben darf, so ist es die Sympathie für Nationali¬
täten. Freilich wird diese Sympathie unbedingt weichen, wenn sie mit der
Staatsklugheit streitet; wo das aber nicht der Fall ist, muß man sie allerdings
in Rechnung bringen. Gegen keine Nation — die Italiener ausgenommen —
hat sich diese Sympathie so laut ausgesprochen, als gegen die Ungarn.

Mit einem Wort: die Lage der Dinge spricht dafür, daß der nächste
Sturm wieder gegen Oestreich gerichtet ist. Ohnehin kann Oestreich aus die
Dauer in seiner passiven Lage nicht verharren, und es wird äußerst leicht sein,
sobald die Frucht reif ist, die Rolle des Angreifers Oestreich zuzutheilen, grade
wie 1859.

Das alles kann freilich nicht mit mathematischer Gewißheit behauptet
werden; aber die Gründe der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit sprechen doch
so laut, daß man sich wenigstens die Frage vorlegen muß: was soll Deutsch¬
land thun, wenn der Fall eintritt? wenn eine russisch-französisch-italienische
Allianz sich gegen Oestreich erhebt, und allenfalls noch Verbündete im Innern
Oestreichs findet? — Die Frage ist ernst, ja entscheidend für unsre Zukunft.

Wären die deutschen Fürsten (mit Ausschluß von Oestreich) einig, so wäre
die Frage leicht zu beantworten; leider ist es aber nicht der Fall, und die vier
Könige, in steter Besorgnis; vor preußischen Annexationsgelüsten, werden es
entschieden mit Oestreich halten. In dem einzigen Staat, wo vielleicht die
Regierung durch ihr eignes Interesse noch am nächsten zu Preußen hingezogen
wäre, in Bayern ist die Bevölkerung für jetzt noch überwiegend östreichisch
gesinnt.

Wie steht es mit Preußen? — Bon allem, was in Baden gesprochen ist,
haben uns am meisten die Worte des Prinzregenten überrascht, die eine Ver¬
ständigung mit Oestreich in Aussicht stellten. Sie haben uns um so mehr
überrascht, da gleichzeitig zwei, nur wenig Tage vorher ausgefertigte Noten
veröffentlicht wurden, von denen die östreichische, so kurz angebunden als mög¬
lich, den preußischen Antrag auf die Reform der Bundeskriegsverfassung ver¬
warf, und die preußische Note, auch nicht übertrieben höflich, diese Thatsache
constatirte. Dann ist zwar eine neue östreichische Note erfolgt, die aber im
Grunde gar nichts sagt; es sind auch neue Unterhandlungen eingeleitet, denen
man aber so lange keinen Erfolg versprechen darf, als die beiden Staaten ihren
Standpunkt festhalten: Oestreich den Standpunkt, daß es allenfalls in eine


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[0138] Die russische Allianz mit Frankreich wird nur dann von Dauer sein, wenn sie Rußland einen bestimmten Vortheil gewährt. Dieser Erwerb kann nur im Orient liegen. Die Frucht ist reif zum Abschütteln. Ein russischer Fortschritt im Orient kann aber nur auf Kosten Oestreichs geschehn, und dieser Umstand wird die russischen Politiker nicht grade zurückhalten. Wenn man Napoleon, abgesehn von seiner Staatsklugheit, eine Sym¬ pathie des Instincts zuschreiben darf, so ist es die Sympathie für Nationali¬ täten. Freilich wird diese Sympathie unbedingt weichen, wenn sie mit der Staatsklugheit streitet; wo das aber nicht der Fall ist, muß man sie allerdings in Rechnung bringen. Gegen keine Nation — die Italiener ausgenommen — hat sich diese Sympathie so laut ausgesprochen, als gegen die Ungarn. Mit einem Wort: die Lage der Dinge spricht dafür, daß der nächste Sturm wieder gegen Oestreich gerichtet ist. Ohnehin kann Oestreich aus die Dauer in seiner passiven Lage nicht verharren, und es wird äußerst leicht sein, sobald die Frucht reif ist, die Rolle des Angreifers Oestreich zuzutheilen, grade wie 1859. Das alles kann freilich nicht mit mathematischer Gewißheit behauptet werden; aber die Gründe der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit sprechen doch so laut, daß man sich wenigstens die Frage vorlegen muß: was soll Deutsch¬ land thun, wenn der Fall eintritt? wenn eine russisch-französisch-italienische Allianz sich gegen Oestreich erhebt, und allenfalls noch Verbündete im Innern Oestreichs findet? — Die Frage ist ernst, ja entscheidend für unsre Zukunft. Wären die deutschen Fürsten (mit Ausschluß von Oestreich) einig, so wäre die Frage leicht zu beantworten; leider ist es aber nicht der Fall, und die vier Könige, in steter Besorgnis; vor preußischen Annexationsgelüsten, werden es entschieden mit Oestreich halten. In dem einzigen Staat, wo vielleicht die Regierung durch ihr eignes Interesse noch am nächsten zu Preußen hingezogen wäre, in Bayern ist die Bevölkerung für jetzt noch überwiegend östreichisch gesinnt. Wie steht es mit Preußen? — Bon allem, was in Baden gesprochen ist, haben uns am meisten die Worte des Prinzregenten überrascht, die eine Ver¬ ständigung mit Oestreich in Aussicht stellten. Sie haben uns um so mehr überrascht, da gleichzeitig zwei, nur wenig Tage vorher ausgefertigte Noten veröffentlicht wurden, von denen die östreichische, so kurz angebunden als mög¬ lich, den preußischen Antrag auf die Reform der Bundeskriegsverfassung ver¬ warf, und die preußische Note, auch nicht übertrieben höflich, diese Thatsache constatirte. Dann ist zwar eine neue östreichische Note erfolgt, die aber im Grunde gar nichts sagt; es sind auch neue Unterhandlungen eingeleitet, denen man aber so lange keinen Erfolg versprechen darf, als die beiden Staaten ihren Standpunkt festhalten: Oestreich den Standpunkt, daß es allenfalls in eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/138>, abgerufen am 04.07.2024.