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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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von den Besitzenden ausgebeutet werden. Diesen Uebelstand vermied die alt¬
türkische Manier, welche das Geld nicht von denen forderte, die es nicht hat¬
ten, sondern denen nahm, die es besaßen. Weiter folgt die Börsenanleihe,
von welcher auf S. 520 gedruckt steht: "Dadurch, daß sie ohne alle Rücksicht
auf Volk und Land einzelne Kapitalisten zu Creditoren der einzelnen Staaten
macht, gibt sie diesen ein praktisches wirthschaftliches Interesse an der wirth-
schaftlichen Wohlfahrt des Landes, das ihnen Schulter; ein Interesse mithin,
das sie mit diesem Lande als Ganzem -- also mit seiner Regierung --und
Mit jedem Einzelnen in diesem Lande theilen. Die durch Börsenanleihen zu
Stande kommenden Staatsanleihe" erscheinen daher als einer der Aus¬
drücke der Gemeinschaft aller menschlichen Interessen, als deren
letzte Verwirklichung das höchste äußerliche Ziel alles wirth¬
schaftlichen Lebens dasteht." -- Nicht ohne Thränen der Rührung wer¬
den diesen Trost, den die "Wissenschaft" spendet, die zahlreichen Inhaber von
Metalliques und Nationalanleihe in Frankfurt und Amsterdam, in München,
Stuttgart, Berlin und Hannover einschlürfen. Indessen -- auch dieses kos¬
mopolitische Ideal hat seine Schattenseiten; es kostet Provision, und die
Börse will zuweilen nichts mehr geben, oder, wie Lorenz Stein sich wissent-
schaftlich ausdrückt: fremde und mithin oft auch sehr unbegründete Urtheile
üben Einfluß auf den Credit (S. 521). Dies war z. B. der Fall, nachdem
ruchbar geworden war, daß die Verwaltung den gesetzlichen Maximalbetrag
von 500 Millionen Gulden Nationalanleihe heimlich um 111 Millionen über¬
schritten hatte, eine Anwendung von dem wirthschaftlichen Hoheitsrechte. welche
selbst in Oestreich nur einen einzigen Vertheidiger Lorenz Stein gefunden
haben soll. Wollen die Börsen nicht mehr ziehen, so greift man zu den (in
diesem Stadium des Credits nur euphemistisch so genannten) freiwilligen
Volksanleihcn, von denen jedoch der Verfasser keine großen Erwartungen hegt.
Die Gruppe der festen Schulden schließt dann mit den verschiedenen Arten
der Umwandlung schwebender in feste Schulden, darunter die gezwungene
Consolidirung, welche darin besteht. daß die Verwaltung Depositen, Spar¬
kassengelder und drgl. wegnimmt und Staatsschuldscheine an deren Stelle hin¬
legt, ohne die Eigenthümer zu fragen. Die Wissenschaft von Lorenz Stein
nennt dies "ein neues Verhältniß", "eine rationelle Anordnung, welche die
Solidarität des Staats- und des Privatcredits namentlich im Gebiet der
Kapitalbildung verwirklicht (S. 525 -- 26)." -- An einer andern Stelle in
der ersten Gruppe (schwebende Schuld), wird das nämliche Verfahren, wel¬
ches wir eben als gezwungene Consolidirung kennen und achten gelernt ha¬
ben, als "uneigentliche oder gezwungene Depositenschuld" aufgeführt, mit dem
Unterschiede von andern Schulden, daß der Staat meistens dafür eine Art
von Garantie übernehme. -- Also nur für diese Art?! Aus der er-


von den Besitzenden ausgebeutet werden. Diesen Uebelstand vermied die alt¬
türkische Manier, welche das Geld nicht von denen forderte, die es nicht hat¬
ten, sondern denen nahm, die es besaßen. Weiter folgt die Börsenanleihe,
von welcher auf S. 520 gedruckt steht: „Dadurch, daß sie ohne alle Rücksicht
auf Volk und Land einzelne Kapitalisten zu Creditoren der einzelnen Staaten
macht, gibt sie diesen ein praktisches wirthschaftliches Interesse an der wirth-
schaftlichen Wohlfahrt des Landes, das ihnen Schulter; ein Interesse mithin,
das sie mit diesem Lande als Ganzem — also mit seiner Regierung —und
Mit jedem Einzelnen in diesem Lande theilen. Die durch Börsenanleihen zu
Stande kommenden Staatsanleihe» erscheinen daher als einer der Aus¬
drücke der Gemeinschaft aller menschlichen Interessen, als deren
letzte Verwirklichung das höchste äußerliche Ziel alles wirth¬
schaftlichen Lebens dasteht." — Nicht ohne Thränen der Rührung wer¬
den diesen Trost, den die „Wissenschaft" spendet, die zahlreichen Inhaber von
Metalliques und Nationalanleihe in Frankfurt und Amsterdam, in München,
Stuttgart, Berlin und Hannover einschlürfen. Indessen — auch dieses kos¬
mopolitische Ideal hat seine Schattenseiten; es kostet Provision, und die
Börse will zuweilen nichts mehr geben, oder, wie Lorenz Stein sich wissent-
schaftlich ausdrückt: fremde und mithin oft auch sehr unbegründete Urtheile
üben Einfluß auf den Credit (S. 521). Dies war z. B. der Fall, nachdem
ruchbar geworden war, daß die Verwaltung den gesetzlichen Maximalbetrag
von 500 Millionen Gulden Nationalanleihe heimlich um 111 Millionen über¬
schritten hatte, eine Anwendung von dem wirthschaftlichen Hoheitsrechte. welche
selbst in Oestreich nur einen einzigen Vertheidiger Lorenz Stein gefunden
haben soll. Wollen die Börsen nicht mehr ziehen, so greift man zu den (in
diesem Stadium des Credits nur euphemistisch so genannten) freiwilligen
Volksanleihcn, von denen jedoch der Verfasser keine großen Erwartungen hegt.
Die Gruppe der festen Schulden schließt dann mit den verschiedenen Arten
der Umwandlung schwebender in feste Schulden, darunter die gezwungene
Consolidirung, welche darin besteht. daß die Verwaltung Depositen, Spar¬
kassengelder und drgl. wegnimmt und Staatsschuldscheine an deren Stelle hin¬
legt, ohne die Eigenthümer zu fragen. Die Wissenschaft von Lorenz Stein
nennt dies „ein neues Verhältniß", „eine rationelle Anordnung, welche die
Solidarität des Staats- und des Privatcredits namentlich im Gebiet der
Kapitalbildung verwirklicht (S. 525 — 26)." — An einer andern Stelle in
der ersten Gruppe (schwebende Schuld), wird das nämliche Verfahren, wel¬
ches wir eben als gezwungene Consolidirung kennen und achten gelernt ha¬
ben, als „uneigentliche oder gezwungene Depositenschuld" aufgeführt, mit dem
Unterschiede von andern Schulden, daß der Staat meistens dafür eine Art
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[0126] von den Besitzenden ausgebeutet werden. Diesen Uebelstand vermied die alt¬ türkische Manier, welche das Geld nicht von denen forderte, die es nicht hat¬ ten, sondern denen nahm, die es besaßen. Weiter folgt die Börsenanleihe, von welcher auf S. 520 gedruckt steht: „Dadurch, daß sie ohne alle Rücksicht auf Volk und Land einzelne Kapitalisten zu Creditoren der einzelnen Staaten macht, gibt sie diesen ein praktisches wirthschaftliches Interesse an der wirth- schaftlichen Wohlfahrt des Landes, das ihnen Schulter; ein Interesse mithin, das sie mit diesem Lande als Ganzem — also mit seiner Regierung —und Mit jedem Einzelnen in diesem Lande theilen. Die durch Börsenanleihen zu Stande kommenden Staatsanleihe» erscheinen daher als einer der Aus¬ drücke der Gemeinschaft aller menschlichen Interessen, als deren letzte Verwirklichung das höchste äußerliche Ziel alles wirth¬ schaftlichen Lebens dasteht." — Nicht ohne Thränen der Rührung wer¬ den diesen Trost, den die „Wissenschaft" spendet, die zahlreichen Inhaber von Metalliques und Nationalanleihe in Frankfurt und Amsterdam, in München, Stuttgart, Berlin und Hannover einschlürfen. Indessen — auch dieses kos¬ mopolitische Ideal hat seine Schattenseiten; es kostet Provision, und die Börse will zuweilen nichts mehr geben, oder, wie Lorenz Stein sich wissent- schaftlich ausdrückt: fremde und mithin oft auch sehr unbegründete Urtheile üben Einfluß auf den Credit (S. 521). Dies war z. B. der Fall, nachdem ruchbar geworden war, daß die Verwaltung den gesetzlichen Maximalbetrag von 500 Millionen Gulden Nationalanleihe heimlich um 111 Millionen über¬ schritten hatte, eine Anwendung von dem wirthschaftlichen Hoheitsrechte. welche selbst in Oestreich nur einen einzigen Vertheidiger Lorenz Stein gefunden haben soll. Wollen die Börsen nicht mehr ziehen, so greift man zu den (in diesem Stadium des Credits nur euphemistisch so genannten) freiwilligen Volksanleihcn, von denen jedoch der Verfasser keine großen Erwartungen hegt. Die Gruppe der festen Schulden schließt dann mit den verschiedenen Arten der Umwandlung schwebender in feste Schulden, darunter die gezwungene Consolidirung, welche darin besteht. daß die Verwaltung Depositen, Spar¬ kassengelder und drgl. wegnimmt und Staatsschuldscheine an deren Stelle hin¬ legt, ohne die Eigenthümer zu fragen. Die Wissenschaft von Lorenz Stein nennt dies „ein neues Verhältniß", „eine rationelle Anordnung, welche die Solidarität des Staats- und des Privatcredits namentlich im Gebiet der Kapitalbildung verwirklicht (S. 525 — 26)." — An einer andern Stelle in der ersten Gruppe (schwebende Schuld), wird das nämliche Verfahren, wel¬ ches wir eben als gezwungene Consolidirung kennen und achten gelernt ha¬ ben, als „uneigentliche oder gezwungene Depositenschuld" aufgeführt, mit dem Unterschiede von andern Schulden, daß der Staat meistens dafür eine Art von Garantie übernehme. — Also nur für diese Art?! Aus der er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/126>, abgerufen am 04.07.2024.