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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Armee gilt, und wie sehr seine Art zu denken aufs ganze Einfluß hat. Mein
Bruder wird den Winter in Holland zubringen und wo uns das Schicksaal
hinbringen wird, ist uns noch gänzlich unbekannt, diese Gegend, wo wir bis
jetzt gestanden, ist gänzlich ausgehungert und werden wir daher schwerlich noch
10 Tage diese Position behaupten können; selbst um Winter-Quartiere zuneh¬
men, wird sich wahrscheinlich das ganze Corps dem Rhein nähern: allein so
traurig wie es auf der einen Seite währe, alles dieses eroberte Land dem
Feinde wieder zu überlassen, so bin ich dennoch überzeugt, daß die Noth uns
zwingen wird, rückwärts zu gehn; Sie müßten unsere Position sehen, um von
der unangenehmen Lage im Fall eines Rückzugs zu urtheilen, denn wir stehen
so nahe, daß der Feind jede unserer Bewegungen beurtheilen kann, und im
Fall solcher den Abzug merkt, sind wir verlohren, da beinahe das ganze Corps
den Weg durch eine sehr enge Gorge nehmen muß. Mein Bataillon wird die
Ariergarde machen. Ueberhaupt sind alle unsere Gedanken gespannt, da man
nichts mit Bestimmtheit über unser Schicksaal weiß. So eben erfahren wir
die neuen schändlichen Handlungen, so den unglücklichen Dosing (Dauphin)
dessen Tante und Schwester betroffen, wie äußerst niederschlagend ist es nicht
daß keine Macht im Stande ist deren Grausamkeiten Einhalt zu thun, und
ich gestehe, daß es äußerst traurig wäre, wenn der Krieg blos wegen persön¬
licher Interesse geendigt werden sollte. Mein Onkel soll sich mit dem Könige
zu Breslau ausgesöhnt haben und dieser würde daher nach Berlin zurückkehren,
auch habe Brenkenhof ein Exilium abeundi bekommen; wahrscheinlich hat
dazu das gedruckte Blatt Gelegenheit gegeben, wen kann man nicht zum
Feldmarschall machen? diese Nachricht habe ich von Langwerdten und
halte sie daher für wahr. Die üble Witterung hat so zugenommen, daß man
im Lager bis an die Knöchel in Dreck füllt auch sind alle Wege beinahe im-
prakticable; und sinken die Kanonen so tief ein, daß es Mühe kostet, sie vom
Fleck zu bringen. Hierbei folgt das gewöhnliche Journal, welches Ihnen
interressanter sein würde, dürste man jede lächerliche Anecdote unserer beiden
commandirenden Generals wesentlich des Kalkreuth und Knobelsdorf bemerken,
Leben Sie wohl, und machen Sie ja meine besten Empfehlungen an Dero
Familie: mit den Gesinnungen der größten Freundschaft verharre ich stets un¬
Wilhelm Pr. v. Braunschweig. veränderlich

Hochspeier 5. December
1793.

13. Welches Wunder daß ohnerachtet so vieler gehabten Affairen und
Strapazen der größte Theil unsers braven Regiments noch gesund ist. Sie
werden Sich erinnern, daß ich Ihnen in einem meiner Briefe schon vor eini¬
gen Wochen bemerkte, daß wir zurückgehen würden um unsere Cantonnirun-
gen zu beziehen. Der 17. November wurde daher zu diesem allgemeinen


Armee gilt, und wie sehr seine Art zu denken aufs ganze Einfluß hat. Mein
Bruder wird den Winter in Holland zubringen und wo uns das Schicksaal
hinbringen wird, ist uns noch gänzlich unbekannt, diese Gegend, wo wir bis
jetzt gestanden, ist gänzlich ausgehungert und werden wir daher schwerlich noch
10 Tage diese Position behaupten können; selbst um Winter-Quartiere zuneh¬
men, wird sich wahrscheinlich das ganze Corps dem Rhein nähern: allein so
traurig wie es auf der einen Seite währe, alles dieses eroberte Land dem
Feinde wieder zu überlassen, so bin ich dennoch überzeugt, daß die Noth uns
zwingen wird, rückwärts zu gehn; Sie müßten unsere Position sehen, um von
der unangenehmen Lage im Fall eines Rückzugs zu urtheilen, denn wir stehen
so nahe, daß der Feind jede unserer Bewegungen beurtheilen kann, und im
Fall solcher den Abzug merkt, sind wir verlohren, da beinahe das ganze Corps
den Weg durch eine sehr enge Gorge nehmen muß. Mein Bataillon wird die
Ariergarde machen. Ueberhaupt sind alle unsere Gedanken gespannt, da man
nichts mit Bestimmtheit über unser Schicksaal weiß. So eben erfahren wir
die neuen schändlichen Handlungen, so den unglücklichen Dosing (Dauphin)
dessen Tante und Schwester betroffen, wie äußerst niederschlagend ist es nicht
daß keine Macht im Stande ist deren Grausamkeiten Einhalt zu thun, und
ich gestehe, daß es äußerst traurig wäre, wenn der Krieg blos wegen persön¬
licher Interesse geendigt werden sollte. Mein Onkel soll sich mit dem Könige
zu Breslau ausgesöhnt haben und dieser würde daher nach Berlin zurückkehren,
auch habe Brenkenhof ein Exilium abeundi bekommen; wahrscheinlich hat
dazu das gedruckte Blatt Gelegenheit gegeben, wen kann man nicht zum
Feldmarschall machen? diese Nachricht habe ich von Langwerdten und
halte sie daher für wahr. Die üble Witterung hat so zugenommen, daß man
im Lager bis an die Knöchel in Dreck füllt auch sind alle Wege beinahe im-
prakticable; und sinken die Kanonen so tief ein, daß es Mühe kostet, sie vom
Fleck zu bringen. Hierbei folgt das gewöhnliche Journal, welches Ihnen
interressanter sein würde, dürste man jede lächerliche Anecdote unserer beiden
commandirenden Generals wesentlich des Kalkreuth und Knobelsdorf bemerken,
Leben Sie wohl, und machen Sie ja meine besten Empfehlungen an Dero
Familie: mit den Gesinnungen der größten Freundschaft verharre ich stets un¬
Wilhelm Pr. v. Braunschweig. veränderlich

Hochspeier 5. December
1793.

13. Welches Wunder daß ohnerachtet so vieler gehabten Affairen und
Strapazen der größte Theil unsers braven Regiments noch gesund ist. Sie
werden Sich erinnern, daß ich Ihnen in einem meiner Briefe schon vor eini¬
gen Wochen bemerkte, daß wir zurückgehen würden um unsere Cantonnirun-
gen zu beziehen. Der 17. November wurde daher zu diesem allgemeinen


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[0076] Armee gilt, und wie sehr seine Art zu denken aufs ganze Einfluß hat. Mein Bruder wird den Winter in Holland zubringen und wo uns das Schicksaal hinbringen wird, ist uns noch gänzlich unbekannt, diese Gegend, wo wir bis jetzt gestanden, ist gänzlich ausgehungert und werden wir daher schwerlich noch 10 Tage diese Position behaupten können; selbst um Winter-Quartiere zuneh¬ men, wird sich wahrscheinlich das ganze Corps dem Rhein nähern: allein so traurig wie es auf der einen Seite währe, alles dieses eroberte Land dem Feinde wieder zu überlassen, so bin ich dennoch überzeugt, daß die Noth uns zwingen wird, rückwärts zu gehn; Sie müßten unsere Position sehen, um von der unangenehmen Lage im Fall eines Rückzugs zu urtheilen, denn wir stehen so nahe, daß der Feind jede unserer Bewegungen beurtheilen kann, und im Fall solcher den Abzug merkt, sind wir verlohren, da beinahe das ganze Corps den Weg durch eine sehr enge Gorge nehmen muß. Mein Bataillon wird die Ariergarde machen. Ueberhaupt sind alle unsere Gedanken gespannt, da man nichts mit Bestimmtheit über unser Schicksaal weiß. So eben erfahren wir die neuen schändlichen Handlungen, so den unglücklichen Dosing (Dauphin) dessen Tante und Schwester betroffen, wie äußerst niederschlagend ist es nicht daß keine Macht im Stande ist deren Grausamkeiten Einhalt zu thun, und ich gestehe, daß es äußerst traurig wäre, wenn der Krieg blos wegen persön¬ licher Interesse geendigt werden sollte. Mein Onkel soll sich mit dem Könige zu Breslau ausgesöhnt haben und dieser würde daher nach Berlin zurückkehren, auch habe Brenkenhof ein Exilium abeundi bekommen; wahrscheinlich hat dazu das gedruckte Blatt Gelegenheit gegeben, wen kann man nicht zum Feldmarschall machen? diese Nachricht habe ich von Langwerdten und halte sie daher für wahr. Die üble Witterung hat so zugenommen, daß man im Lager bis an die Knöchel in Dreck füllt auch sind alle Wege beinahe im- prakticable; und sinken die Kanonen so tief ein, daß es Mühe kostet, sie vom Fleck zu bringen. Hierbei folgt das gewöhnliche Journal, welches Ihnen interressanter sein würde, dürste man jede lächerliche Anecdote unserer beiden commandirenden Generals wesentlich des Kalkreuth und Knobelsdorf bemerken, Leben Sie wohl, und machen Sie ja meine besten Empfehlungen an Dero Familie: mit den Gesinnungen der größten Freundschaft verharre ich stets un¬ Wilhelm Pr. v. Braunschweig. veränderlich Hochspeier 5. December 1793. 13. Welches Wunder daß ohnerachtet so vieler gehabten Affairen und Strapazen der größte Theil unsers braven Regiments noch gesund ist. Sie werden Sich erinnern, daß ich Ihnen in einem meiner Briefe schon vor eini¬ gen Wochen bemerkte, daß wir zurückgehen würden um unsere Cantonnirun- gen zu beziehen. Der 17. November wurde daher zu diesem allgemeinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/76>, abgerufen am 23.07.2024.