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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wol glauben. Schon die Umgebungen waren zu erbärmlich und niederschla¬
gend, um meinen Geist auf das hohe Pferd zu sehen. . . Daß schon früher
zweimal, 1834 und 1836, die Gnade Gottes mit dem flüchtigen Gedanken,
in die katholische Kirche zurückzukehren, bei mir angepocht hatte, daran dachte
ich nicht mehr. . ."

Der Einfall kam ihm wieder, als er einmal, halb genesen, ein Glocken¬
gelnute hörte. Er forderte den Priester des Hospitals auf, ihn zu besuchen.
"Er gab mir zunächst eine zweibändige, lateinisch geschriebene Symbolik, deren
Versasser ich leider vergessen habe, hiernächst den OateeKismö alö
transMK. Mit Begierde, mit einem Heißhunger meiner Seele verschlang ich
die geistige Speise, sitzend und betend auf meinem Lager. Nach etwa acht
Tagen konnte ich ausstehn und täglich eine Stunde den Caplan auf seinem
Zimmer besuchen, um mich von ihm prüfen zu lassen. Am 27. April wurde
ich für reif erklärt, die Sacramente zu empfangen.

Was hatte ihn bestimmt? Er untersucht alle denkbaren Motive, und kommt
endlich auf das einfachste: "es war eine reine und ganz unverdiente Barm¬
herzigkeit des allmächtigen Vaters" u. s. w.

Den Tag darauf wurde er als geheilt entlassen, im Juni wurde die
Fremdenlegion aufgelöst, und er kam Anfang September 1837 in Marburg
an, wo ihm ein Freund Dingelstedts Urtheil zeigte: "Kassel hat eigentlich nur
einen einzigen Dichter geboren, den Verfasser der Rosa-Stramin." Die Eltern
höhnten sich mit ihm aus, aber die neue Negierung wollte ihn nicht anstellen.
Endlich erinnerte sich sein alter Gönner Hassenpflug, damals Civilgouverneur
in Luxemburg, des Nothleidenden, und gab ihm eine Stelle als Regierungs-
secretär. Nach Hassenpflugs Abgang machte man ihn Dec. 1842 zum Bureau¬
chef; von dieser Stellung wurde er Jan. 1846 entbunden und erhielt endlich
1848 die Professur der deutschen Sprache am Athenäum, 1847. Den 24. Nov.
1858 starb er.

Außer dem Rosa-Stramin hat er noch Novellen geschrieben, die 1847 ge¬
sammelt wurden. Seine Gedichte sind meist zur Verherrlichung der katholische"
Kirche geschrieben, nicht bigott, sondern in der Weise der alten Marienlieder
von Novalis, Schlegel, doch nicht in dem Rhythmus dieser Schule, sondern mit
Anklängen an seine alten Lieblingsdichter Schiller, Körner und Mat.thissom
Heine, den man in den Novellen hin und wieder herauscrkennt, hat auf seine
Lyrik nicht eingewirkt -- höchstens auf das eine: "Was ist des Deutschen
Vaterland?"

"Wie hat das Lied so schön erklungen, das einst Herr Arndt der Dichter
sang, und das wir alle mitgesungen bei 33 Jahre lang? Das Lied vom deut¬
schen Vaterlande, wo an dem Rhein die Rede blüht, und wo, dem deutschen
Rhein zur Schande, am fernen Belt die Möve zieht. Und,wo wir mit Ver-


wol glauben. Schon die Umgebungen waren zu erbärmlich und niederschla¬
gend, um meinen Geist auf das hohe Pferd zu sehen. . . Daß schon früher
zweimal, 1834 und 1836, die Gnade Gottes mit dem flüchtigen Gedanken,
in die katholische Kirche zurückzukehren, bei mir angepocht hatte, daran dachte
ich nicht mehr. . ."

Der Einfall kam ihm wieder, als er einmal, halb genesen, ein Glocken¬
gelnute hörte. Er forderte den Priester des Hospitals auf, ihn zu besuchen.
„Er gab mir zunächst eine zweibändige, lateinisch geschriebene Symbolik, deren
Versasser ich leider vergessen habe, hiernächst den OateeKismö alö
transMK. Mit Begierde, mit einem Heißhunger meiner Seele verschlang ich
die geistige Speise, sitzend und betend auf meinem Lager. Nach etwa acht
Tagen konnte ich ausstehn und täglich eine Stunde den Caplan auf seinem
Zimmer besuchen, um mich von ihm prüfen zu lassen. Am 27. April wurde
ich für reif erklärt, die Sacramente zu empfangen.

Was hatte ihn bestimmt? Er untersucht alle denkbaren Motive, und kommt
endlich auf das einfachste: „es war eine reine und ganz unverdiente Barm¬
herzigkeit des allmächtigen Vaters" u. s. w.

Den Tag darauf wurde er als geheilt entlassen, im Juni wurde die
Fremdenlegion aufgelöst, und er kam Anfang September 1837 in Marburg
an, wo ihm ein Freund Dingelstedts Urtheil zeigte: „Kassel hat eigentlich nur
einen einzigen Dichter geboren, den Verfasser der Rosa-Stramin." Die Eltern
höhnten sich mit ihm aus, aber die neue Negierung wollte ihn nicht anstellen.
Endlich erinnerte sich sein alter Gönner Hassenpflug, damals Civilgouverneur
in Luxemburg, des Nothleidenden, und gab ihm eine Stelle als Regierungs-
secretär. Nach Hassenpflugs Abgang machte man ihn Dec. 1842 zum Bureau¬
chef; von dieser Stellung wurde er Jan. 1846 entbunden und erhielt endlich
1848 die Professur der deutschen Sprache am Athenäum, 1847. Den 24. Nov.
1858 starb er.

Außer dem Rosa-Stramin hat er noch Novellen geschrieben, die 1847 ge¬
sammelt wurden. Seine Gedichte sind meist zur Verherrlichung der katholische»
Kirche geschrieben, nicht bigott, sondern in der Weise der alten Marienlieder
von Novalis, Schlegel, doch nicht in dem Rhythmus dieser Schule, sondern mit
Anklängen an seine alten Lieblingsdichter Schiller, Körner und Mat.thissom
Heine, den man in den Novellen hin und wieder herauscrkennt, hat auf seine
Lyrik nicht eingewirkt — höchstens auf das eine: „Was ist des Deutschen
Vaterland?"

„Wie hat das Lied so schön erklungen, das einst Herr Arndt der Dichter
sang, und das wir alle mitgesungen bei 33 Jahre lang? Das Lied vom deut¬
schen Vaterlande, wo an dem Rhein die Rede blüht, und wo, dem deutschen
Rhein zur Schande, am fernen Belt die Möve zieht. Und,wo wir mit Ver-


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[0528] wol glauben. Schon die Umgebungen waren zu erbärmlich und niederschla¬ gend, um meinen Geist auf das hohe Pferd zu sehen. . . Daß schon früher zweimal, 1834 und 1836, die Gnade Gottes mit dem flüchtigen Gedanken, in die katholische Kirche zurückzukehren, bei mir angepocht hatte, daran dachte ich nicht mehr. . ." Der Einfall kam ihm wieder, als er einmal, halb genesen, ein Glocken¬ gelnute hörte. Er forderte den Priester des Hospitals auf, ihn zu besuchen. „Er gab mir zunächst eine zweibändige, lateinisch geschriebene Symbolik, deren Versasser ich leider vergessen habe, hiernächst den OateeKismö alö transMK. Mit Begierde, mit einem Heißhunger meiner Seele verschlang ich die geistige Speise, sitzend und betend auf meinem Lager. Nach etwa acht Tagen konnte ich ausstehn und täglich eine Stunde den Caplan auf seinem Zimmer besuchen, um mich von ihm prüfen zu lassen. Am 27. April wurde ich für reif erklärt, die Sacramente zu empfangen. Was hatte ihn bestimmt? Er untersucht alle denkbaren Motive, und kommt endlich auf das einfachste: „es war eine reine und ganz unverdiente Barm¬ herzigkeit des allmächtigen Vaters" u. s. w. Den Tag darauf wurde er als geheilt entlassen, im Juni wurde die Fremdenlegion aufgelöst, und er kam Anfang September 1837 in Marburg an, wo ihm ein Freund Dingelstedts Urtheil zeigte: „Kassel hat eigentlich nur einen einzigen Dichter geboren, den Verfasser der Rosa-Stramin." Die Eltern höhnten sich mit ihm aus, aber die neue Negierung wollte ihn nicht anstellen. Endlich erinnerte sich sein alter Gönner Hassenpflug, damals Civilgouverneur in Luxemburg, des Nothleidenden, und gab ihm eine Stelle als Regierungs- secretär. Nach Hassenpflugs Abgang machte man ihn Dec. 1842 zum Bureau¬ chef; von dieser Stellung wurde er Jan. 1846 entbunden und erhielt endlich 1848 die Professur der deutschen Sprache am Athenäum, 1847. Den 24. Nov. 1858 starb er. Außer dem Rosa-Stramin hat er noch Novellen geschrieben, die 1847 ge¬ sammelt wurden. Seine Gedichte sind meist zur Verherrlichung der katholische» Kirche geschrieben, nicht bigott, sondern in der Weise der alten Marienlieder von Novalis, Schlegel, doch nicht in dem Rhythmus dieser Schule, sondern mit Anklängen an seine alten Lieblingsdichter Schiller, Körner und Mat.thissom Heine, den man in den Novellen hin und wieder herauscrkennt, hat auf seine Lyrik nicht eingewirkt — höchstens auf das eine: „Was ist des Deutschen Vaterland?" „Wie hat das Lied so schön erklungen, das einst Herr Arndt der Dichter sang, und das wir alle mitgesungen bei 33 Jahre lang? Das Lied vom deut¬ schen Vaterlande, wo an dem Rhein die Rede blüht, und wo, dem deutschen Rhein zur Schande, am fernen Belt die Möve zieht. Und,wo wir mit Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/528>, abgerufen am 03.07.2024.