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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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wegen im Grabe hätten umdrehen sollen. Wir erfuhren unter Anderm, daß
das Corpus Juris, daß gleichermaßen Eile von Nepkows Sachsenspiegel Aus¬
flüsse des Slawentums gewesen und daß sogar das englische Geschwornen¬
gericht eine slawische Erfindung sei. Wir wurden belehrt, daß die bisherige
Schreibart des Namens Guttenberg einen Diebstahl am Erbtheil der Czechen
ausdrücke, indem man den Erfinder der Buchdruckerkunst Johann von Kutten¬
berg oder besser Jan Kutnohorsky zu nennen habe. Daß die Reformation
nicht von Luther, sondern von dem czechischen Huß ausgegangen, bedürfte blos
der Erinnerung' und brauchte man sich darum mit einer Widerlegung andrer Mei¬
nungen nicht aufzuhalten. Nicht weniger sicher war man mit der Behauptung,
daß Lessing ein Westslawc gewesen, war er doch in Kamenz geboren; es war
offenbar bloße Bescheidenheit, wenn man nicht auch Fichte für sich in An¬
spruch nahm, der ja auch aus der Lausitz stammte. Das Drama der neuen
Zeit hatte, wie man uns ferner nachwies, ein Slawe, Adrian Krzyznnowski,
erschaffen, den Blitzableiter nicht der Amerikaner Franklin, sondern der Czeche
Daviz erfunden. Galls Schädellehre und Lavaters Physiognomik waren Dis¬
ciplinen, welche ihre angeblichen Gründer den Slawen abgeborgt hatten.

Bon diesen Behauptungen einer Bewegung, die man als eine Art lite¬
rarischen Hussitengeistcs bezeichnen kann, ist nur eine richtig. Die Czechen sind
in der That durchschnittlich das aufgeweckteste und in der Bildung am Wei¬
testen vorgeschrittene slawische Volk; aber die, welche dies hervorhoben, haben
übersehen, daß gerade hierin die Widerlegung dessen liegt, was sie von der
ganzen Race rühmen. Die böhmischen Slawen erfreuen sich dieses Vorzugs,
weil sie am weitesten westlich wohnen, weil sie rings von Deutschen umgeben,
weil sie dadurch in die deutsche Culturbewegung hineingezogen, von ihr, so¬
weit das slawische Element dies zuläßt, durchdrungen sind. Sie gehören in
allem, was über den Bauer und Kleinbürger, über die Sprache und den
Volksgebrauch hinausliegt, in noch umfassenderen Sinne als die Dänen, von
welchen Aehnliches gilt, der deutschen Civilisation an, und selbst jenes Na-
tionalgefühl, mit dem sie alles Deutsche von sich stoßen möchten, ist, wenig¬
stens in seiner jetzigen Gestalt, aus dem gehaßten Deutschland importirt.

Der Vorrang der Czechen vor den übrigen Slawenstämmen beruht offen¬
bar darauf, daß sich unter ihnen durch deutsche Einflüsse ein Bürgerstand
entwickelt hat. Den übrigen slawischen Völkern mangelt dieser wichtige Cultur-
träger so gut wie ganz/sie scheinen der Anlage dazu zu entbehren und es ist
kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Czechen in anderer geogra¬
phischer Lage eine Ausnahme von der Regel bilden würden. Keine slawische
Nation hat jemals ein aus ihr selbst Herausgebornes freies Städtewesen be¬
sessen, alle blieben sie in dem Gegensatz zwischen Adeligen und Bauern stecken.
Wo wir slawische Städte im Mittelalter zu einem gewissen Aufschwung gelangen


wegen im Grabe hätten umdrehen sollen. Wir erfuhren unter Anderm, daß
das Corpus Juris, daß gleichermaßen Eile von Nepkows Sachsenspiegel Aus¬
flüsse des Slawentums gewesen und daß sogar das englische Geschwornen¬
gericht eine slawische Erfindung sei. Wir wurden belehrt, daß die bisherige
Schreibart des Namens Guttenberg einen Diebstahl am Erbtheil der Czechen
ausdrücke, indem man den Erfinder der Buchdruckerkunst Johann von Kutten¬
berg oder besser Jan Kutnohorsky zu nennen habe. Daß die Reformation
nicht von Luther, sondern von dem czechischen Huß ausgegangen, bedürfte blos
der Erinnerung' und brauchte man sich darum mit einer Widerlegung andrer Mei¬
nungen nicht aufzuhalten. Nicht weniger sicher war man mit der Behauptung,
daß Lessing ein Westslawc gewesen, war er doch in Kamenz geboren; es war
offenbar bloße Bescheidenheit, wenn man nicht auch Fichte für sich in An¬
spruch nahm, der ja auch aus der Lausitz stammte. Das Drama der neuen
Zeit hatte, wie man uns ferner nachwies, ein Slawe, Adrian Krzyznnowski,
erschaffen, den Blitzableiter nicht der Amerikaner Franklin, sondern der Czeche
Daviz erfunden. Galls Schädellehre und Lavaters Physiognomik waren Dis¬
ciplinen, welche ihre angeblichen Gründer den Slawen abgeborgt hatten.

Bon diesen Behauptungen einer Bewegung, die man als eine Art lite¬
rarischen Hussitengeistcs bezeichnen kann, ist nur eine richtig. Die Czechen sind
in der That durchschnittlich das aufgeweckteste und in der Bildung am Wei¬
testen vorgeschrittene slawische Volk; aber die, welche dies hervorhoben, haben
übersehen, daß gerade hierin die Widerlegung dessen liegt, was sie von der
ganzen Race rühmen. Die böhmischen Slawen erfreuen sich dieses Vorzugs,
weil sie am weitesten westlich wohnen, weil sie rings von Deutschen umgeben,
weil sie dadurch in die deutsche Culturbewegung hineingezogen, von ihr, so¬
weit das slawische Element dies zuläßt, durchdrungen sind. Sie gehören in
allem, was über den Bauer und Kleinbürger, über die Sprache und den
Volksgebrauch hinausliegt, in noch umfassenderen Sinne als die Dänen, von
welchen Aehnliches gilt, der deutschen Civilisation an, und selbst jenes Na-
tionalgefühl, mit dem sie alles Deutsche von sich stoßen möchten, ist, wenig¬
stens in seiner jetzigen Gestalt, aus dem gehaßten Deutschland importirt.

Der Vorrang der Czechen vor den übrigen Slawenstämmen beruht offen¬
bar darauf, daß sich unter ihnen durch deutsche Einflüsse ein Bürgerstand
entwickelt hat. Den übrigen slawischen Völkern mangelt dieser wichtige Cultur-
träger so gut wie ganz/sie scheinen der Anlage dazu zu entbehren und es ist
kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Czechen in anderer geogra¬
phischer Lage eine Ausnahme von der Regel bilden würden. Keine slawische
Nation hat jemals ein aus ihr selbst Herausgebornes freies Städtewesen be¬
sessen, alle blieben sie in dem Gegensatz zwischen Adeligen und Bauern stecken.
Wo wir slawische Städte im Mittelalter zu einem gewissen Aufschwung gelangen


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[0432] wegen im Grabe hätten umdrehen sollen. Wir erfuhren unter Anderm, daß das Corpus Juris, daß gleichermaßen Eile von Nepkows Sachsenspiegel Aus¬ flüsse des Slawentums gewesen und daß sogar das englische Geschwornen¬ gericht eine slawische Erfindung sei. Wir wurden belehrt, daß die bisherige Schreibart des Namens Guttenberg einen Diebstahl am Erbtheil der Czechen ausdrücke, indem man den Erfinder der Buchdruckerkunst Johann von Kutten¬ berg oder besser Jan Kutnohorsky zu nennen habe. Daß die Reformation nicht von Luther, sondern von dem czechischen Huß ausgegangen, bedürfte blos der Erinnerung' und brauchte man sich darum mit einer Widerlegung andrer Mei¬ nungen nicht aufzuhalten. Nicht weniger sicher war man mit der Behauptung, daß Lessing ein Westslawc gewesen, war er doch in Kamenz geboren; es war offenbar bloße Bescheidenheit, wenn man nicht auch Fichte für sich in An¬ spruch nahm, der ja auch aus der Lausitz stammte. Das Drama der neuen Zeit hatte, wie man uns ferner nachwies, ein Slawe, Adrian Krzyznnowski, erschaffen, den Blitzableiter nicht der Amerikaner Franklin, sondern der Czeche Daviz erfunden. Galls Schädellehre und Lavaters Physiognomik waren Dis¬ ciplinen, welche ihre angeblichen Gründer den Slawen abgeborgt hatten. Bon diesen Behauptungen einer Bewegung, die man als eine Art lite¬ rarischen Hussitengeistcs bezeichnen kann, ist nur eine richtig. Die Czechen sind in der That durchschnittlich das aufgeweckteste und in der Bildung am Wei¬ testen vorgeschrittene slawische Volk; aber die, welche dies hervorhoben, haben übersehen, daß gerade hierin die Widerlegung dessen liegt, was sie von der ganzen Race rühmen. Die böhmischen Slawen erfreuen sich dieses Vorzugs, weil sie am weitesten westlich wohnen, weil sie rings von Deutschen umgeben, weil sie dadurch in die deutsche Culturbewegung hineingezogen, von ihr, so¬ weit das slawische Element dies zuläßt, durchdrungen sind. Sie gehören in allem, was über den Bauer und Kleinbürger, über die Sprache und den Volksgebrauch hinausliegt, in noch umfassenderen Sinne als die Dänen, von welchen Aehnliches gilt, der deutschen Civilisation an, und selbst jenes Na- tionalgefühl, mit dem sie alles Deutsche von sich stoßen möchten, ist, wenig¬ stens in seiner jetzigen Gestalt, aus dem gehaßten Deutschland importirt. Der Vorrang der Czechen vor den übrigen Slawenstämmen beruht offen¬ bar darauf, daß sich unter ihnen durch deutsche Einflüsse ein Bürgerstand entwickelt hat. Den übrigen slawischen Völkern mangelt dieser wichtige Cultur- träger so gut wie ganz/sie scheinen der Anlage dazu zu entbehren und es ist kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Czechen in anderer geogra¬ phischer Lage eine Ausnahme von der Regel bilden würden. Keine slawische Nation hat jemals ein aus ihr selbst Herausgebornes freies Städtewesen be¬ sessen, alle blieben sie in dem Gegensatz zwischen Adeligen und Bauern stecken. Wo wir slawische Städte im Mittelalter zu einem gewissen Aufschwung gelangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/432>, abgerufen am 23.07.2024.