Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ständische als katholische Frömmigkeit meisterhaft geschildert habe (was beiläufig
nicht wahr ist) als Beleg für Schillers Religiosität anführt, so hätte er grade
das Gegentheil daraus herleiten sollen: denn wer sich mit gleicher Liebeln
widersprechende religiöse Gefühle versetzen kann, der gehört keinen von ihnen
an. Schiller hat eben die Religion in den Balladen, Elegien und theil-
weise auch in den Tragödien, namentlich in der Braut von Messina, nur
als poetisches Costüm benutzt. -- Wenn er aber reflectirte, so empfand
er zu allen Zeiten gegen das, was man damals Christenthum nannte,
entweder Abneigung, weil es seinen poetischen Lebensidealen widersprach,
oder Gleichgiltigkeit, weil es seiner Bildung ganz sern lag. Auch der Brief
an Zelter, der keineswegs so unbemerkt geblieben ist wie der Versasser meint,
zeigt nur, daß Schiller damals unter dem Einfluß der romantischen Schule
gelegentlich auch wol den Einfall haben konnte, durch Verbindung der Kirche
mit den Künsten einen neuen Cultus hervorzubringen. Wenn Schiller am
weitesten ging in seiner Anerkennung des Christenthums, so war es dasjenige
Christenthum, welches Kant in seiner "Religion innerhalb der Grenzen der
bloßen Vernunft" darstellt und, wohl gemerkt, auch dieses nur, insofern es durch
Kant veredelt war. -- Die neue Auslegung der Götter Griechenlands, die
übrigens nicht so neu ist als der Verfasser glaubt, widerlegt doch nicht im
geringsten die Wahrheit, daß damals Schillers poetischer Empfindung das
Christenthum widerstrebte. Uebrigens ist die Vergleichung des christlichen und
griechischen "Todes" keine "Sophistik des Poeten", sondern nur eine Bearbeitung
der Lessingschen Abhandlung "wie die Alten den Tod gebildet." -- Daß der
Verfasser die Aussage eines Mitschülers ans der Carlsschule, Schiller sei ein
guter Christ gewesen, aber nicht sehr reinlich, als Beleg für Schillers Christen-
thun anführt, ist doch wol nur scherzhaft gemeint. -- Es ist in all solchen
Definitionen viel Wortstreit, und man thut gut daran, sich zu erinnern, daß
sie immer nnr eine relative Geltung haben.' Wenn der Verfasser behauptet,
Schiller sei ein Nationaldichter der Deutschen, die Deutschen seien ein religiö¬
ses Volk, also müsse auch Schiller religiös gewesen sein, so vergißt er dabei,
daß man von den Deutschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
in der Regel das Gegentheil behauptet, nämlich daß sie ganz und gar nicht
religiös gewesen seien. In der Reihe der großen Denker und Dichter jener
Zeit, von denen zu den Christen im heutigen Sinn, d. h. zu den biblisch
Rechtgläubigen kein einziger gehörte, auch Jakobi. Haman und Lavater nicht --
würde Schiller etwa, um den heutigen Ausdruck zu gebrauchen, im linken Centrum
stehen. Er ist z. B. weniger christlich als Lessing, da dieser, so leidenschaftlich
er zuweilen über das Christenthum sprach, sich doch beständig über das Christen¬
thum Gedanken machte. Dagegen steht er dem Christenthum weniger sern
als Goethe, weil er Deist war und Goethe Pantheist. Aber auch das ist


ständische als katholische Frömmigkeit meisterhaft geschildert habe (was beiläufig
nicht wahr ist) als Beleg für Schillers Religiosität anführt, so hätte er grade
das Gegentheil daraus herleiten sollen: denn wer sich mit gleicher Liebeln
widersprechende religiöse Gefühle versetzen kann, der gehört keinen von ihnen
an. Schiller hat eben die Religion in den Balladen, Elegien und theil-
weise auch in den Tragödien, namentlich in der Braut von Messina, nur
als poetisches Costüm benutzt. — Wenn er aber reflectirte, so empfand
er zu allen Zeiten gegen das, was man damals Christenthum nannte,
entweder Abneigung, weil es seinen poetischen Lebensidealen widersprach,
oder Gleichgiltigkeit, weil es seiner Bildung ganz sern lag. Auch der Brief
an Zelter, der keineswegs so unbemerkt geblieben ist wie der Versasser meint,
zeigt nur, daß Schiller damals unter dem Einfluß der romantischen Schule
gelegentlich auch wol den Einfall haben konnte, durch Verbindung der Kirche
mit den Künsten einen neuen Cultus hervorzubringen. Wenn Schiller am
weitesten ging in seiner Anerkennung des Christenthums, so war es dasjenige
Christenthum, welches Kant in seiner „Religion innerhalb der Grenzen der
bloßen Vernunft" darstellt und, wohl gemerkt, auch dieses nur, insofern es durch
Kant veredelt war. — Die neue Auslegung der Götter Griechenlands, die
übrigens nicht so neu ist als der Verfasser glaubt, widerlegt doch nicht im
geringsten die Wahrheit, daß damals Schillers poetischer Empfindung das
Christenthum widerstrebte. Uebrigens ist die Vergleichung des christlichen und
griechischen „Todes" keine „Sophistik des Poeten", sondern nur eine Bearbeitung
der Lessingschen Abhandlung „wie die Alten den Tod gebildet." — Daß der
Verfasser die Aussage eines Mitschülers ans der Carlsschule, Schiller sei ein
guter Christ gewesen, aber nicht sehr reinlich, als Beleg für Schillers Christen-
thun anführt, ist doch wol nur scherzhaft gemeint. — Es ist in all solchen
Definitionen viel Wortstreit, und man thut gut daran, sich zu erinnern, daß
sie immer nnr eine relative Geltung haben.' Wenn der Verfasser behauptet,
Schiller sei ein Nationaldichter der Deutschen, die Deutschen seien ein religiö¬
ses Volk, also müsse auch Schiller religiös gewesen sein, so vergißt er dabei,
daß man von den Deutschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
in der Regel das Gegentheil behauptet, nämlich daß sie ganz und gar nicht
religiös gewesen seien. In der Reihe der großen Denker und Dichter jener
Zeit, von denen zu den Christen im heutigen Sinn, d. h. zu den biblisch
Rechtgläubigen kein einziger gehörte, auch Jakobi. Haman und Lavater nicht —
würde Schiller etwa, um den heutigen Ausdruck zu gebrauchen, im linken Centrum
stehen. Er ist z. B. weniger christlich als Lessing, da dieser, so leidenschaftlich
er zuweilen über das Christenthum sprach, sich doch beständig über das Christen¬
thum Gedanken machte. Dagegen steht er dem Christenthum weniger sern
als Goethe, weil er Deist war und Goethe Pantheist. Aber auch das ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109147"/>
          <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214" next="#ID_1216"> ständische als katholische Frömmigkeit meisterhaft geschildert habe (was beiläufig<lb/>
nicht wahr ist) als Beleg für Schillers Religiosität anführt, so hätte er grade<lb/>
das Gegentheil daraus herleiten sollen: denn wer sich mit gleicher Liebeln<lb/>
widersprechende religiöse Gefühle versetzen kann, der gehört keinen von ihnen<lb/>
an. Schiller hat eben die Religion in den Balladen, Elegien und theil-<lb/>
weise auch in den Tragödien, namentlich in der Braut von Messina, nur<lb/>
als poetisches Costüm benutzt. &#x2014; Wenn er aber reflectirte, so empfand<lb/>
er zu allen Zeiten gegen das, was man damals Christenthum nannte,<lb/>
entweder Abneigung, weil es seinen poetischen Lebensidealen widersprach,<lb/>
oder Gleichgiltigkeit, weil es seiner Bildung ganz sern lag. Auch der Brief<lb/>
an Zelter, der keineswegs so unbemerkt geblieben ist wie der Versasser meint,<lb/>
zeigt nur, daß Schiller damals unter dem Einfluß der romantischen Schule<lb/>
gelegentlich auch wol den Einfall haben konnte, durch Verbindung der Kirche<lb/>
mit den Künsten einen neuen Cultus hervorzubringen. Wenn Schiller am<lb/>
weitesten ging in seiner Anerkennung des Christenthums, so war es dasjenige<lb/>
Christenthum, welches Kant in seiner &#x201E;Religion innerhalb der Grenzen der<lb/>
bloßen Vernunft" darstellt und, wohl gemerkt, auch dieses nur, insofern es durch<lb/>
Kant veredelt war. &#x2014; Die neue Auslegung der Götter Griechenlands, die<lb/>
übrigens nicht so neu ist als der Verfasser glaubt, widerlegt doch nicht im<lb/>
geringsten die Wahrheit, daß damals Schillers poetischer Empfindung das<lb/>
Christenthum widerstrebte. Uebrigens ist die Vergleichung des christlichen und<lb/>
griechischen &#x201E;Todes" keine &#x201E;Sophistik des Poeten", sondern nur eine Bearbeitung<lb/>
der Lessingschen Abhandlung &#x201E;wie die Alten den Tod gebildet." &#x2014; Daß der<lb/>
Verfasser die Aussage eines Mitschülers ans der Carlsschule, Schiller sei ein<lb/>
guter Christ gewesen, aber nicht sehr reinlich, als Beleg für Schillers Christen-<lb/>
thun anführt, ist doch wol nur scherzhaft gemeint. &#x2014; Es ist in all solchen<lb/>
Definitionen viel Wortstreit, und man thut gut daran, sich zu erinnern, daß<lb/>
sie immer nnr eine relative Geltung haben.' Wenn der Verfasser behauptet,<lb/>
Schiller sei ein Nationaldichter der Deutschen, die Deutschen seien ein religiö¬<lb/>
ses Volk, also müsse auch Schiller religiös gewesen sein, so vergißt er dabei,<lb/>
daß man von den Deutschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts<lb/>
in der Regel das Gegentheil behauptet, nämlich daß sie ganz und gar nicht<lb/>
religiös gewesen seien. In der Reihe der großen Denker und Dichter jener<lb/>
Zeit, von denen zu den Christen im heutigen Sinn, d. h. zu den biblisch<lb/>
Rechtgläubigen kein einziger gehörte, auch Jakobi. Haman und Lavater nicht &#x2014;<lb/>
würde Schiller etwa, um den heutigen Ausdruck zu gebrauchen, im linken Centrum<lb/>
stehen. Er ist z. B. weniger christlich als Lessing, da dieser, so leidenschaftlich<lb/>
er zuweilen über das Christenthum sprach, sich doch beständig über das Christen¬<lb/>
thum Gedanken machte. Dagegen steht er dem Christenthum weniger sern<lb/>
als Goethe, weil er Deist war und Goethe Pantheist.  Aber auch das ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] ständische als katholische Frömmigkeit meisterhaft geschildert habe (was beiläufig nicht wahr ist) als Beleg für Schillers Religiosität anführt, so hätte er grade das Gegentheil daraus herleiten sollen: denn wer sich mit gleicher Liebeln widersprechende religiöse Gefühle versetzen kann, der gehört keinen von ihnen an. Schiller hat eben die Religion in den Balladen, Elegien und theil- weise auch in den Tragödien, namentlich in der Braut von Messina, nur als poetisches Costüm benutzt. — Wenn er aber reflectirte, so empfand er zu allen Zeiten gegen das, was man damals Christenthum nannte, entweder Abneigung, weil es seinen poetischen Lebensidealen widersprach, oder Gleichgiltigkeit, weil es seiner Bildung ganz sern lag. Auch der Brief an Zelter, der keineswegs so unbemerkt geblieben ist wie der Versasser meint, zeigt nur, daß Schiller damals unter dem Einfluß der romantischen Schule gelegentlich auch wol den Einfall haben konnte, durch Verbindung der Kirche mit den Künsten einen neuen Cultus hervorzubringen. Wenn Schiller am weitesten ging in seiner Anerkennung des Christenthums, so war es dasjenige Christenthum, welches Kant in seiner „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" darstellt und, wohl gemerkt, auch dieses nur, insofern es durch Kant veredelt war. — Die neue Auslegung der Götter Griechenlands, die übrigens nicht so neu ist als der Verfasser glaubt, widerlegt doch nicht im geringsten die Wahrheit, daß damals Schillers poetischer Empfindung das Christenthum widerstrebte. Uebrigens ist die Vergleichung des christlichen und griechischen „Todes" keine „Sophistik des Poeten", sondern nur eine Bearbeitung der Lessingschen Abhandlung „wie die Alten den Tod gebildet." — Daß der Verfasser die Aussage eines Mitschülers ans der Carlsschule, Schiller sei ein guter Christ gewesen, aber nicht sehr reinlich, als Beleg für Schillers Christen- thun anführt, ist doch wol nur scherzhaft gemeint. — Es ist in all solchen Definitionen viel Wortstreit, und man thut gut daran, sich zu erinnern, daß sie immer nnr eine relative Geltung haben.' Wenn der Verfasser behauptet, Schiller sei ein Nationaldichter der Deutschen, die Deutschen seien ein religiö¬ ses Volk, also müsse auch Schiller religiös gewesen sein, so vergißt er dabei, daß man von den Deutschen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in der Regel das Gegentheil behauptet, nämlich daß sie ganz und gar nicht religiös gewesen seien. In der Reihe der großen Denker und Dichter jener Zeit, von denen zu den Christen im heutigen Sinn, d. h. zu den biblisch Rechtgläubigen kein einziger gehörte, auch Jakobi. Haman und Lavater nicht — würde Schiller etwa, um den heutigen Ausdruck zu gebrauchen, im linken Centrum stehen. Er ist z. B. weniger christlich als Lessing, da dieser, so leidenschaftlich er zuweilen über das Christenthum sprach, sich doch beständig über das Christen¬ thum Gedanken machte. Dagegen steht er dem Christenthum weniger sern als Goethe, weil er Deist war und Goethe Pantheist. Aber auch das ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/425>, abgerufen am 23.07.2024.