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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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trieb des Handels war für den Athener nicht ehrenvoll; der Detailhändler
war tief verachtet und selbst der Großhandel konnte zum Vorwürfe ge¬
macht werden und wurde fast ausschließlich von Fremden, Schutzverwand-
ten und Freigelassenen betrieben; allein mit Rh oder el und Bodmer el
(deren Entstehung von Manchen fälschlich in die neuere Zeit verlegt wird)
beschäftigten sich häufig reiche Athener. Die Kapitalien wurden dann theils
auf die Fracht, theils auf die Ausrüstung des Schiffes geliehen gegen Ver¬
pfändung der Ladung oder des Fahrzeugs. Nur Hoffnung aus Zinsen, die
bis zur Höhe von 36 Prozent stiegen, konnte natürlich zur Uebernahme eines
solchen Risikos bewegen; denn gewöhnlich erklärte der Gläubiger in der Ver¬
tragsurkunde, daß er für das Schiff oder die Ladung alle Gefahr auf sich
nehme und für den Fall des Untergangs auf Zinsen und Kapital Verzicht
leiste. So erzählt z. B. ein Bodmerist bei Demosthenes: "Da aber die
Schuldverschreibung wie dies bei allen solchen Fällen stattzufinden pflegt, die
Bestimmung enthielt, daß nur wenn das Schiff geborgen würde, das Geld
zurückzuzahlen sei, so beschlossen die Schiffer, um die Darleiher um das Geld zu
betrügen, das Schiff unterwegs in den Grund zu bohren." In diesem Falle
war das Geld in Syrakus aufgenommen worden, und man sieht also daraus,
daß diese Sitte nicht blos in Athen galt. Natürlich konnte es nun den
Gläubigern nicht einerlei sein, wohin die Fahrt des Schiffes ging, weil da¬
von die Dauer der Reise, also auch des Darlehns abhing, namentlich wenn
das' Geld für Hin- und Rückfahrt geliehen worden war. Die größere oder
geringere Gefährlichkeit der Mecresgegenden und besonders die Jahreszeit
wurden natürlich außerdem berücksichtigt, sowie die Fälle, in welchen sich den
Schiffern unterwegs günstigere Aussichten darbieten konnten in andern Häfen,
als im Vertrage bezeichnet waren. Wir geben hier einen Auszug aus einer
Schuldverschreibung über eine Ladung, wie sie sich in der Rede des Demo¬
sthenes gegen Lakritus findet: "Androkles aus Karystos (Euböa) und Naufikra-
tcs aus Sphettus (Attika) haben dem Artemon und Apollodorus aus Pha-
selis (Pamphilien) dreitausend Drachmen Silbers (750 Thlr.) geborgt zu einer
Fahrt von Athem nach Meute und Skione (Makedonien) und von da nach dem
Bosporus und, wenn sie wollten, an der linken Küste bis zum Dniepr und
zurück nach Athen zu 22V- Prozent und für den Fall, daß sie Anfang "Sep¬
tember aus dem Pontus zurücksegeln sollten, zu 30 Prozent, so. daß als
Unterpfand 3000 Krüge Wein gelten sollen. Die Rückfracht muß in demselben
Schiff geschehen und die Zahlung des schuldigen Geldes erfolgt binnen zwan¬
zig Tagen nach der Zurückkunst. Ausgenommen dabei ist der Verlust an
Waaren, die in der Gefahr über Bord geworfen oder den Feinden überlassen
werden müssen. Wenn aber das Schiff von irgend einem Unfälle betroffen wird,
der seinen Untergang zu Folge hat, so muß das Pfand gerettet werden, und was


trieb des Handels war für den Athener nicht ehrenvoll; der Detailhändler
war tief verachtet und selbst der Großhandel konnte zum Vorwürfe ge¬
macht werden und wurde fast ausschließlich von Fremden, Schutzverwand-
ten und Freigelassenen betrieben; allein mit Rh oder el und Bodmer el
(deren Entstehung von Manchen fälschlich in die neuere Zeit verlegt wird)
beschäftigten sich häufig reiche Athener. Die Kapitalien wurden dann theils
auf die Fracht, theils auf die Ausrüstung des Schiffes geliehen gegen Ver¬
pfändung der Ladung oder des Fahrzeugs. Nur Hoffnung aus Zinsen, die
bis zur Höhe von 36 Prozent stiegen, konnte natürlich zur Uebernahme eines
solchen Risikos bewegen; denn gewöhnlich erklärte der Gläubiger in der Ver¬
tragsurkunde, daß er für das Schiff oder die Ladung alle Gefahr auf sich
nehme und für den Fall des Untergangs auf Zinsen und Kapital Verzicht
leiste. So erzählt z. B. ein Bodmerist bei Demosthenes: „Da aber die
Schuldverschreibung wie dies bei allen solchen Fällen stattzufinden pflegt, die
Bestimmung enthielt, daß nur wenn das Schiff geborgen würde, das Geld
zurückzuzahlen sei, so beschlossen die Schiffer, um die Darleiher um das Geld zu
betrügen, das Schiff unterwegs in den Grund zu bohren." In diesem Falle
war das Geld in Syrakus aufgenommen worden, und man sieht also daraus,
daß diese Sitte nicht blos in Athen galt. Natürlich konnte es nun den
Gläubigern nicht einerlei sein, wohin die Fahrt des Schiffes ging, weil da¬
von die Dauer der Reise, also auch des Darlehns abhing, namentlich wenn
das' Geld für Hin- und Rückfahrt geliehen worden war. Die größere oder
geringere Gefährlichkeit der Mecresgegenden und besonders die Jahreszeit
wurden natürlich außerdem berücksichtigt, sowie die Fälle, in welchen sich den
Schiffern unterwegs günstigere Aussichten darbieten konnten in andern Häfen,
als im Vertrage bezeichnet waren. Wir geben hier einen Auszug aus einer
Schuldverschreibung über eine Ladung, wie sie sich in der Rede des Demo¬
sthenes gegen Lakritus findet: „Androkles aus Karystos (Euböa) und Naufikra-
tcs aus Sphettus (Attika) haben dem Artemon und Apollodorus aus Pha-
selis (Pamphilien) dreitausend Drachmen Silbers (750 Thlr.) geborgt zu einer
Fahrt von Athem nach Meute und Skione (Makedonien) und von da nach dem
Bosporus und, wenn sie wollten, an der linken Küste bis zum Dniepr und
zurück nach Athen zu 22V- Prozent und für den Fall, daß sie Anfang «Sep¬
tember aus dem Pontus zurücksegeln sollten, zu 30 Prozent, so. daß als
Unterpfand 3000 Krüge Wein gelten sollen. Die Rückfracht muß in demselben
Schiff geschehen und die Zahlung des schuldigen Geldes erfolgt binnen zwan¬
zig Tagen nach der Zurückkunst. Ausgenommen dabei ist der Verlust an
Waaren, die in der Gefahr über Bord geworfen oder den Feinden überlassen
werden müssen. Wenn aber das Schiff von irgend einem Unfälle betroffen wird,
der seinen Untergang zu Folge hat, so muß das Pfand gerettet werden, und was


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[0402] trieb des Handels war für den Athener nicht ehrenvoll; der Detailhändler war tief verachtet und selbst der Großhandel konnte zum Vorwürfe ge¬ macht werden und wurde fast ausschließlich von Fremden, Schutzverwand- ten und Freigelassenen betrieben; allein mit Rh oder el und Bodmer el (deren Entstehung von Manchen fälschlich in die neuere Zeit verlegt wird) beschäftigten sich häufig reiche Athener. Die Kapitalien wurden dann theils auf die Fracht, theils auf die Ausrüstung des Schiffes geliehen gegen Ver¬ pfändung der Ladung oder des Fahrzeugs. Nur Hoffnung aus Zinsen, die bis zur Höhe von 36 Prozent stiegen, konnte natürlich zur Uebernahme eines solchen Risikos bewegen; denn gewöhnlich erklärte der Gläubiger in der Ver¬ tragsurkunde, daß er für das Schiff oder die Ladung alle Gefahr auf sich nehme und für den Fall des Untergangs auf Zinsen und Kapital Verzicht leiste. So erzählt z. B. ein Bodmerist bei Demosthenes: „Da aber die Schuldverschreibung wie dies bei allen solchen Fällen stattzufinden pflegt, die Bestimmung enthielt, daß nur wenn das Schiff geborgen würde, das Geld zurückzuzahlen sei, so beschlossen die Schiffer, um die Darleiher um das Geld zu betrügen, das Schiff unterwegs in den Grund zu bohren." In diesem Falle war das Geld in Syrakus aufgenommen worden, und man sieht also daraus, daß diese Sitte nicht blos in Athen galt. Natürlich konnte es nun den Gläubigern nicht einerlei sein, wohin die Fahrt des Schiffes ging, weil da¬ von die Dauer der Reise, also auch des Darlehns abhing, namentlich wenn das' Geld für Hin- und Rückfahrt geliehen worden war. Die größere oder geringere Gefährlichkeit der Mecresgegenden und besonders die Jahreszeit wurden natürlich außerdem berücksichtigt, sowie die Fälle, in welchen sich den Schiffern unterwegs günstigere Aussichten darbieten konnten in andern Häfen, als im Vertrage bezeichnet waren. Wir geben hier einen Auszug aus einer Schuldverschreibung über eine Ladung, wie sie sich in der Rede des Demo¬ sthenes gegen Lakritus findet: „Androkles aus Karystos (Euböa) und Naufikra- tcs aus Sphettus (Attika) haben dem Artemon und Apollodorus aus Pha- selis (Pamphilien) dreitausend Drachmen Silbers (750 Thlr.) geborgt zu einer Fahrt von Athem nach Meute und Skione (Makedonien) und von da nach dem Bosporus und, wenn sie wollten, an der linken Küste bis zum Dniepr und zurück nach Athen zu 22V- Prozent und für den Fall, daß sie Anfang «Sep¬ tember aus dem Pontus zurücksegeln sollten, zu 30 Prozent, so. daß als Unterpfand 3000 Krüge Wein gelten sollen. Die Rückfracht muß in demselben Schiff geschehen und die Zahlung des schuldigen Geldes erfolgt binnen zwan¬ zig Tagen nach der Zurückkunst. Ausgenommen dabei ist der Verlust an Waaren, die in der Gefahr über Bord geworfen oder den Feinden überlassen werden müssen. Wenn aber das Schiff von irgend einem Unfälle betroffen wird, der seinen Untergang zu Folge hat, so muß das Pfand gerettet werden, und was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/402>, abgerufen am 23.07.2024.